Der Fahrrad- und Autoverkehr von Morgen

Mehr Miteinander in der städtischen Mobilität – eine Vision

22. September 2023, 8:00 Uhr | Autor: Toni Pavić, Redaktion: Irina Hübner
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Die städtische Mobilität von Morgen soll nachhaltiger und umweltfreundlicher sein. Welche Rolle wird die die Elektromobilität im Verkehrssystem der Zukunft spielen und wie lässt sich ein konstruktives Miteinander aller Verkehrsteilnehmenden erzielen?

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Stellen Sie sich eine Zukunft vor, in der Straßen nicht mehr von Staus und Autoabgasen dominiert werden, sondern von Fahrradklingeln und dem leisen Rauschen der E-Bike. In dieser Welt einer Fahrrad-First Stadt prägen sichere Fahrradwege das Stadtbild und tragen zu einer umweltfreundlichen, gesunden und nachhaltigen Gemeinschaft bei.

Doch so einfach ist es nicht. Das Auto gehört ebenso in unser Stadtbild, ist fest in unserer Wirtschaft verankert und darf bei einer Vision der Zukunft nicht fehlen. Was wir wirklich brauchen, ist ein friedliches und vor allem gut durchdachtes Miteinander aller Verkehrsteilnehmenden, das den Anforderungen an eine nachhaltige Mobilitätswende gerecht wird. Neben Fahrrädern und Autos sollten noch andere Elektro-Kleinfahrzeuge in das Verkehrskonzept einbezogen werden, um auch langfristig allen Mobilitätsbedürfnissen gerecht zu werden.

Dass dies keine utopische Zukunftsvision sein muss, zeigen die Beispiele anderer Länder. Einige Vorbilder für Vorreiter im Sinne der Mikro- und Elektromobilität (nicht jedoch zwangsläufig in Bezug auf Nachhaltigkeit und Umweltschutz) sind die Niederlande, Dänemark, Schweden, China und Frankreich. In der chinesischen Stadt Chengdu zum Beispiel wurde mit dem 100 km langen City Loop Eco Park ein wichtiger Schritt in Richtung grüne Fahrradstadt gemacht.

Schweden sticht heraus durch gut ausgeschilderte und gut ausgebaute Radinfrastruktur in den Städten, aber auch quer durchs Land sowie an den Küsten. Das dänische Kopenhagen ist schon lange Vorbild in Sachen Radverkehrswende und führt seit Jahren den gleichnamigen Copenhagenize Index für die fahrradfreundlichsten Städte an. Auf den Plätzen zwei und drei sind – nicht überraschend – die niederländischen Städte Amsterdam und Utrecht.

Stadtgestaltung für ein faires Zusammensein

Die Stadt von Morgen vereint alle Verkehrsteilnehmenden gleichermaßen und gleichwertig. Notwendig dafür ist zunächst ein umfangreiches Netzwerk von gut gepflegten Fahrrad- und Fußwegen, getrennt vom motorisierten Fahrzeugverkehr. Dafür braucht es die Entwicklung sicherer, umfangreicher und gut vernetzter Radfahrinfrastrukturen.

Die Umgestaltung von Straßen für Radfahrer sowie die Einführung verkehrsberuhigter Zonen wären ein (kleiner) Teil der Maßnahmen. Sichere Fahrradabstellanlagen würden Zeit und Ärger ob ungünstig abgestellter Räder und versperrter Durchwege ersparen. Die Einrichtung und Förderung von erschwinglichen, gut gewarteten Fahrradverleihsystemen (vor allem an den Stadträndern) könnten den Berufsverkehr entzerren, mehr Menschen vom Fahrrad überzeugen und auch den Tourismus nachhaltig beeinflussen.

Wie kann ein Miteinander aller Verkehrsteilnehmenden möglich werden?

Veränderung von Verhaltens- und Denkmustern

Der Übergang zu einer fahrradorientierten Stadt oder einer nachhaltigen städtischen Mobilitätslandschaft betrifft nicht nur die Infrastruktur und Politik, sondern vor allem die Menschen. Es ist entscheidend, eine kulturelle und verhaltensbezogene Veränderung zu fördern, bei der die Menschen das Fahrrad oder andere nachhaltige Verkehrsmittel für kurze Wege dem Auto vorziehen. Öffentliche Aufklärungskampagnen, Gemeinschaftsengagement und Anreize können eine entscheidende Rolle spielen.

Vor allem Aspekte wie Fahrradsicherheit und Etikette sollten hierbei beachtet werden, denn auf beiden Seiten gibt es Verhaltensmuster, die den Verkehrsfluss stören und die anderen Teilnehmer mitunter sehr frustrieren. Dazu gehören beispielsweise Parken auf dem Radweg und zu enges Überholen auf Seiten der Autofahrenden, aber auch Radfahrende, die sich nicht an die Fahrradampeln halten und bei Rot noch schnell über die Straße fahren – und damit die abbiegenden Autofahrer behindern, woraus sich schnell Stau entwickelt. Auch solche Verhaltensweisen müssen für ein faires Miteinander verändert werden. Diese Aspekte sollten schon im frühen schulischen Verkehrsunterricht thematisiert werden.

Gerechtigkeit und Zugänglichkeit

Alle Menschen sollten unabhängig von ihrem sozioökonomischen Status Zugang zu nachhaltiger und effizienter Mobilität haben. Dies beinhaltet Überlegungen zur Bezahlbarkeit von Elektrofahrrädern, Subventionen für einkommensschwache Personen und die Gewährleistung, dass die Infrastruktur gerecht über die gesamte Stadt – und nicht nur die touristischen Zentren – verteilt ist.

Wartung und Instandhaltung

Der langfristige Erfolg von fahrradorientierten Städten und Elektromobilitätsinfrastrukturen hängt von einer regelmäßigen Wartung ab. Dies betrifft nicht nur die physische Infrastruktur wie Straßen und Fahrradwege, sondern auch die Aktualisierung digitaler Komponenten wie Apps und Software, die zur Koordination dieser Systeme verwendet werden sollten. Natürlich sind hierbei auch eine zeitgerechte Planung und niedrige bürokratische Hürden sinnvoll.

Digitale Integration

In einer immer stärker digital vernetzten Welt müssen städtische Mobilitätslösungen nahtlos mit anderen digitalen Plattformen integriert werden. Egal, ob es sich dabei um intelligente Verkehrsmanagementsysteme handelt, die Staus reduzieren, oder um Apps, die den Nutzern die nächstgelegene Ladestation aufzeigen. Die Zukunft der städtischen Mobilität wird eng mit Technologie verknüpft sein. Die frühe Sammlung und Analyse von Daten über Verkehrsmuster (aller Verkehrsteilnehmenden), Infrastrukturnutzung und Sicherheit ist dabei entscheidend und kann den Nutzen der eingesetzten Technologie immens steigern.

Resilienz und Anpassungsfähigkeit

Städte und ihre Verkehrssysteme müssen widerstandsfähig gegen unerwartete Herausforderungen sein – sei es durch Klimaereignisse, technologische Störungen oder globale Pandemien. Eine Planung für solche Eventualitäten stellt sicher, dass das Mobilitätssystem sich anpassen kann. Auch Themen rund um Cybersicherheit werden bei mehr und mehr vernetzten Strukturen immer wichtiger.

Feedback-Mechanismen

Ein Feedback-System, in dem Bürger Probleme melden, Verbesserungen vorschlagen und am Planungsprozess teilnehmen können, trägt maßgeblich dazu bei, ein städtisches Mobilitätssystem zu schaffen, das seinen Verkehrsteilnehmenden wirklich dient.

Welche Rolle wird die Elektromobilität in der Mobilität von Morgen spielen?

Elektro- und Mikromobilität werden vor allem in der Zukunft des Transports eine transformative Rolle spielen. Dafür sprechen insbesondere die Reduzierung von Emissionen, die dadurch resultierende Minderung des Klimawandels, erhöhte Energieeffizienz und Verringerung der Lärmbelastung, aber auch technologische Innovationsmöglichkeiten, die Erschließung neuer wirtschaftlicher Möglichkeiten sowie die Verkehrsgerechtigkeit.

Technologische Innovationen spielen eine wichtige Rolle, um die Mobilitätszukunft zu gestalten. Neben Fahrrädern und Autos werden vor allem Elektro-Kleinfahrzeuge das Stadtbild prägen. Insgesamt ist die Elektromobilität ein wichtiger Bestandteil, aber nicht die alleinige Lösung im Hinblick auf die Mobilitätswende. Nur ein ganzheitlicher Ansatz erzielt letztendlich umfassende und nachhaltige Umweltverbesserungen.

Der Weg zu einem nachhaltigen, effizienten und fahrradorientierten städtischen Mobilitätssystem ist vielschichtig. Er erfordert eine Kombination aus zukunftsweisenden politischen Strategien, innovativen Technologien und vor allem dem kollektiven Willen der Gemeinschaft. Dazu gehören diverse Mobilitätsoptionen, integrierte Mobilitätsplattformen, eine sichere Radinfrastruktur, Sharing-Angebote, intelligente Parklösungen sowie effiziente Lösungen für die sogenannte letzte Meile.

In der Stadt von Morgen werden Fahrräder und andere kleine Elektrofahrzeuge in der Verkehrshierarchie als Hauptverkehrsmittel im Stadtzentrum gesehen. Dabei wird das Auto natürlich weiterhin für längere Strecken eine Rolle spielen. Doch erst, wenn alle Verkehrsteilnehmenden an einem Strang ziehen, ist eine nachhaltige Verkehrswende möglich.
 

 

Toni Pavić, Lemmo.
Toni Pavić, Lemmo.
© Lemmo

Der Autor

Toni Pavić
ist Head of Branding & Partner bei Lemmo – dem Unternehmen hinter dem E-Bike Lemmo One. Bei HJUL Outerwear, einem Unternehmen für urbane Fahrradbekleidung, verantwortet er als Gründer und Head of Design darüber hinaus seit über einem Jahrzehnt das Design der Produkte und des Unternehmens. Pavić ist ausgebildeter Bauingenieur und Architekt mit Spezialisierung auf Straßen und Eisenbahnen (Verkehr/Infrastruktur). Mehr als 14 Jahre verbrachte er in der Architektur und verantwortete große Bauprojekte in den Regionen EMEA und APAC. Im Laufe seiner Karriere war er in zahlreichen Projekten tätig, beriet verschiedene Fahrradhersteller und interessierte sich schon früh für alle Themen rund um Mikromobilität.


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