Ensslen nennt auch das Beispiel DHL: »Dort verdoppelt sich alle vier Jahre das Paketvolumen. Die bekommen aber keine neuen Zulieferer mehr. Was tut DHL? Die Firma arbeitet jetzt an Robotik-Lösungen, um ihre Zulieferer zu unterstützen.« Ziel sei es, dass die Zulieferer auch mit mehr Paketen die Treppen hochgehen können und so pro Mitarbeiter mehr Volumen umgesetzt werden kann. »DHL arbeitet intensiv daran, die Probleme der ‚letzten dreckigen Meile‘ in den Griff zu bekommen, und hat dazu ein eigenes Forschungszentrum in Aachen eingerichtet.«
Auch Prof. Mainzer hält die Angst, dass es durch die kollaborative Robotik zu menschenleeren Fabriken kommt, für Unsinn. Er weist aber darauf hin, dass der Einzug dieser Technik in den allgemeinen Produktionsprozess zu einer beschleunigten Veränderung von Berufsbildern führen wird: »Der Preis für die Entlastung des Menschen wird darin bestehen, dass die Mitarbeiter in sehr kurzen Zeitabständen immer wieder etwas Neues hinzulernen werden müssen.« Man müsse die Leute dazu aus täglich gleichen Produktionsroutinen herausholen und sie auf die kommenden Innovationsschübe aufmerksam machen. Prof. Mainzer sieht darin eine Aufgabe, die sowohl die Politik, die Unternehmen und die Gewerkschaften als auch die duale Ausbildung in Deutschland betrifft. »Jedem Schüler deshalb eine Programmiersprache beizubringen halte ich für Unsinn, aber die Menschen müssen die Zusammenhänge verstehen, die mit dem verstärkten Einsatz kollaborativer Robotik auf sie zukommen.«
Auch Prof. Glück weist auf die Herausforderung der sich wandelnden Berufsbilder hin und auf die Wichtigkeit, die Belegschaft in den Entscheidungsprozess zur Einführung kollaborativer Robotik einzubeziehen. Er gibt aber auch zu, »dass es denjenigen, der irgendwo hinten irgendwas verpackt, dann wohl nicht mehr geben wird«. Er fordert aber, dass diesen Menschen dann die Möglichkeit geboten werden muss, in der Qualitätskontrolle oder in der Inspektion zu arbeiten.
Dr. Hoene macht abseits des klassischen Produktionseinsatzes auf einen möglichen Einsatz kollaborativer Robotik auch in der Medizin und Rehabilitation aufmerksam: »Bei Schlaganfallpatienten besteht die Chance, dass andere Gehirnregionen die Aufgaben ausgefallener Gehirnregionen übernehmen, doch setzt dies intensives Training voraus, bei dem Bewegungsabläufe 30.000 bis 40.000 Mal wiederholt werden müssen. Dafür gibt es aber ganz einfach zu wenige Physiotherapeuten.« Es gebe nun Überlegungen zu Reha-Robotern, bei denen bestimmte Kraft-Wege programmiert würden und der Patient dann zu Hause üben könne. Auch Prothesenhersteller, so Dr. Hoene, beginnen inzwischen, in diese Richtung zu entwickeln.
Trotz aller positiven Aspekte der kollaborativen Robotik dürfe man aber auf keinen Fall Beruhigungspillen verteilen, mahnt Prof. Mainzer. »Es wird sicher auch Verlierer dieser Entwicklung geben, und klar ist auch, dass Arbeitsplätze, die in den betroffenen Industrien wegfallen, von den jeweiligen Branchen mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht wieder aufgefangen werden können.« Letztlich führe jedoch vor allem auch vor dem Hintergrund der demografischen Entwicklung in Deutschland kein Weg an der Einführung der kollaborativen Robotik vorbei, beispielsweise in der Produktion: »Wir brauchen die damit verbundene Effizienzsteigerung, um unsere Sozialsysteme für die heute 40- und 45-Jährigen zu erhalten. Warum Effizienzsteigerung notwendig ist, um unsere Sozialsysteme zu erhalten, muss die Politik den Menschen klarmachen.«
Prof. Glück verweist in diesem Zusammenhang darauf, dass Deutschland statistisch seit den 1950er Jahren einen jährlichen Produktivitätszuwachs von 2 bis 3 % erreicht habe. »Trotzdem gibt es heute aber mehr Arbeitnehmer und Jobs in Deutschland als in den 1950er Jahren. Würde man diese Entwicklung vor dem Hintergrund unserer demografischen Entwicklung auf die nächsten 50 Jahre hochrechnen, dürfte dann eigentlich kaum noch jemand arbeiten.«
Prof. Mainzer macht jedoch darauf aufmerksam, was die Veränderungen durch die Einführung der kollaborativen Robotik im Zusammenhang mit den jeweiligen Rahmenbedingungen einzelner Branchen zu tun haben werden: »Der Automobilbau ist nach wie vor das Arbeitspferd der deutschen Wirtschaft und er ist mit seinen technischen Anforderungen an die Robotik auch von entscheidender Bedeutung für die weitere Entwicklung dieser Zukunftsbranche.« Käme es nun vor dem Hintergrund des VW-Diesel-Gate und seiner Auswirkungen in absehbarer Zeit zu einer Ablösung des Verbrennungsmotors, hätte das dramatische Konsequenzen für die daran hängende hochkomplexe Zulieferkette. »Der Batteriebau für E-Mobility ist ein wunderbares Beispiel für die vollautomatisierte Fabrik. Die Zulieferkette des Verbrennungsmotors dagegen wäre aufgrund des hohen Anteils händischer Produktionsschritte ein ideales Betätigungsfeld für den Einsatz kollaborativer Robotik.«
Intensiv beschäftigte die Diskussionsteilnehmer im Rahmen der Veranstaltung auch das Thema „autonomes Fahren“. Aus Sicht von Prof. Mainzer fällt auch das autonome Fahren letztlich unter den Aspekt kollaborative Robotik. Auch Ensslen ist der Ansicht, dass AEVs als mobile Roboter gesehen werden sollten – eine Ansicht, die die Mehrzahl der übrigen Teilnehmer nicht unbedingt teilte. Einig war man sich aber, dass es juristische Sicherheit für den Einsatz kollaborativer Robotik geben muss. Prof. Mainzer verwies darauf, dass beispielsweise die Münchner Rück vor der Entscheidung von Verkehrsminister Alexander Dobrindt davon ausgegangen war, dass die Verantwortung vom Fahrer auf den Programmierer des autonomen Fahrzeugs übergehen würde. Prof. Mainzer verwies darauf, dass die Diskussion in diesem Rechtsbereich in den USA, aber auch in den skandinavischen Ländern ganz anders verlaufe.
Schmid forderte, »dass in Europa auf jeden Fall etwas passieren muss, damit die Unsicherheit beim Einsatz kollaborativer Robotik verschwindet und sich die Industrie wirklich wieder auf die Entwicklung konzentrieren kann«. Ähnlich die Forderung von Prof. Glück: »Es muss endlich gelingen, den Rechtsrahmen für die Anwender kollaborativer Robotik hinzubekommen. Für die Roboter- und Gerätehersteller ist es unerträglich, wie lange das dauert, bis wir hier Rechtssicherheit haben.« Auch für den Markt sei das schlecht, »weil der Werksleiter nicht weiß, ob er so ein Gerät rechtssicher betreiben kann. Letztlich wird man im Stich gelassen.«
Sorgen macht den Diskussionsteilnehmern aus verschiedenen Gründen auch der Wettbewerb, speziell aus China: »Wenn ich sehe, in welchem Maße und mit welcher Geschwindigkeit beispielsweise China das Thema ‚Industrie 4.0‘ aufnimmt, dann wird unser Vorsprung immer kürzer.« Gleichzeitig zeige ein Gang über die Hannover-Messe, was alles an Robotern kopiert werde. »Wenn da dann mal was passiert, dann ist das sorgsam aufgebaute Image der führenden Hersteller zerstört.« Prof. Mainzer rät, in diesem Zusammenhang auf Solidität Made in Germany zu setzen: »Es geht nicht nur darum, wer am schnellsten vorne ist: Solidität, die Tatsache, dass es sich um ein sicheres Produkt handelt, muss nach draußen kommuniziert werden.«
Bei der Frage, welche Forderungen die Branche an die Politik habe, plädierte Ensslen für eine Verbesserung der Rahmenbedingungen für Start-ups: »Deutschland ist nach wie vor unterentwickelt, was Technologie-Start-ups angeht, und wenn wir nicht in einem Tech-nologiemuseum enden wollen, müssen wir daran etwas ändern.« Schmid fordert weniger Normen und Spezifikationen, dafür eine schnellere Umsetzung durch die Industrie. Ähnlich fällt der Appell von Ryll aus: »Wir sollten nicht zu viel regulieren, denn wer heute die Entwicklung der Norm anhält, der baut alte Maschinen.« Dr. Hoene schließlich fordert, weltweit einheitliche Sicherheitsstandards voranzutreiben, das Sicherheitsniveau dabei aber nicht zu hoch zu legen, »um dem, der die Maschine bedient, auch noch etwas Eigenverantwortung zu überlassen«. Schließlich, so sein etwas drastisches Argument, »würde sich auch ohne Verbot niemand einen Schweißbrenner ins Auge halten«.