Doch was hat die kollaborative Robotik in den letzten drei Jahren so stark gepusht, dass sie nun im öffentlichen Interesse steht? Da ist zum einen die technische Seite. Für Prof. Klaus Mainzer, bis zu seiner Emeritierung 2016 Ordinarius am Lehrstuhl für Philosophie und Wissenschaftstheorie der TU München, ist die jüngste Entwicklung der kollaborativen Robotik vor allem »auf Fortschritte in der Materialtechnik, einen exponentiellen Zuwachs der Rechenleistung und die Integration der Sensorik zurückzuführen. Es ist sozusagen zusammengewachsen, was zusammengehört.«
Wirtschaftlich gesehen ist es vor allem der deutsche Mittelstand, der für die kollaborative Robotik ein noch kaum ausgeschöpftes Bedarfsreservoir bildet. »Die Vollautomatisierung ist heute in den Industrienationen weitgehend gesättigt«, stellt Prof. Markus Glück fest, Geschäftsführer Forschung & Entwicklung bei Schunk. »Dagegen bietet die Teilautomatisierung, vor allem in Form der Mensch-Roboter-Kollaboration, noch ein enormes Wachstumspotenzial. Das gilt an der Werkzeugmaschine ebenso wie an der Werkbank oder in der Medizintechnik.«
Aus Sicht von Ensslen ist die kollaborative Robotik eng mit dem Thema Industrie 4.0 verbunden. »Diese Roboter müssen vor allem einfach zu programmieren sein. Erst diese Eigenschaft ermöglicht den Einsatz im Mittelstand. Dort war es bislang undenkbar, dass da ein Systemintegrator kommt, der dann monatelang ein System aufbaut.« Wenn es statt Massenfertigung um Stückzahl 1 und High Mix/Low Volume gehe, brauche man kollaborative Robotik, die sich schnell an wechselnde Szenarien anpassen lasse.
Suchanek verweist darauf, dass Robotik bislang für kleinere Unternehmen auch deshalb keine Rolle spielte, »weil dort vor allem auch die Angst davor grassierte, was passiert, wenn was passiert.« Ein Traglastroboterarm, der sich mit 6 m/s durch den Raum bewegt, stellt da schon eine Herausforderung dar. »Zum Thema Sicherheit hat sich hier in den letzten Jahren viel getan«, versichert Schmid, »das können optische Sensoren sein; inzwischen gibt es aber auch sichere Ultraschallsensoren und sichere Kraftsensoren.« Diese Faktoren haben für ihn maßgeblich zum Durchbruch der kollaborativen Robotik beigetragen. Mindestens ebenso wichtig sei aber auch, dass nun erstmals auch wirklich Produkte zu einem vernünftigen Preis und mit guter Qualität zur Verfügung stünden. »Es gibt ein Produkt für eine Anforderung, und das ist der Treiber der aktuellen Entwicklung«, versichert er.
»Natürlich müssen die technischen Möglichkeiten und der Marktbedarf vorhanden sein«, pflichtet Ensslen bei, »aber es war einfach auch mal dringend notwendig, dass jemand ein Produkt gemacht und auf den Markt gebracht hat«. Heute ermöglichen Unternehmen wie das von Ensslen mitgegründete Synapticon, »dass jeder einigermaßen talentierte Systemintegrator einen kollaborativen Roboter in sechs Monaten aufbauen kann«.
Dass heute vieles einfacher geworden ist, führt Ensslen auch auf die Fortschritte im Halbleiterbereich zurück: »In der Vergangenheit hat beispielsweise KUKA viel mit FPGAs gearbeitet, um die Steuerung und Bewegung von Robotern durchzuführen. Das ist natürlich kostenintensiv. Heute werden echtzeitfähige Multicore-Mikroprozessor-Architekturen wie etwa ARM oder die X-Core-Architektur eingesetzt.« Hinzu komme, dass kollaborative Robotik durch Kleinstspannungsregelung geprägt sei und nicht durch Spannungen von 200 bis 400 V.