Dass Framegrabber in Systemen mit Gigabit-Ethernet-Kameras nicht unbedingt nötig sind, wird als Argument nicht nur gegen die digitale CameraLink-Schnittstelle, sondern auch und vor allem gegen die analoge Kameratechnik ins Feld geführt. Viele Branchenexperten sehen digitale Gigabit-Ethernet-Kameras die herkömmlichen Analoggeräte verdrängen. »Die Gigabit-Ethernet-Schnittstelle ist jetzt in der Branche an dem Punkt, wo sie hochattraktiv ist und auch die Stückzahlen anfangen zu laufen«, stellt Schmidgall fest.
»Der allgemeine Preisrutsch bei den Kameras hat das Übrige getan, um Gigabit Ethernet für die Bildverarbeitung interessant zu machen als Alternative zur Analogtechnik. Was das Thema Kabellänge anbetrifft, ist Gigabit Ethernet die einzige Alternative in der Digitaltechnik.«
Einen interessanten Aspekt bringt Linkemann ins Spiel: »Als Basler vor einigen Jahren zusammen mit Sony versucht hat, FireWire in den Markt zu bringen, war das Ziel ebenfalls, Analog-Kunden in Richtung Digital hinüberzuziehen«, erklärt er. »Viele Kunden sind aber auf FireWire nicht so recht angesprungen.« Mittlerweile gebe es Gigabit Ethernet: »Dessen Protokoll ist genauso einfach oder kompliziert wie das FireWire-Protokoll, aber jeder kennt das Ethernet-Kabel, weil er damit ins Internet geht oder ein Netzwerk betreibt«, fährt Linkemann fort. »Und so erstaunlich das ist: Dann haben die Leute kein Problem damit.«
Keppler sieht Gigabit Ethernet derzeit hauptsächlich in Anwendungen mit vielen Kameras: »Multikamera-Lösungen werden oft mit Gigabit-Ethernet-Kameras aufgebaut, weil sich die gesamte Infrastruktur dafür anbietet und weil es gut funktioniert«, verdeutlicht er. »Früher gab es bei den Kunden hier gewisse Vorbehalte, aber das hat sich weitgehend gelegt.«
Echter Determinismus erfordert Framegrabber
Einen gravierenden Nachteil von Gigabit Ethernet räumen allerdings auch die Fürsprecher ein: den fehlenden Determinismus. Für deterministische Echtzeit-Anwendungen ist Standard-Gigabit-Ethernet ungeeignet – nicht von ungefähr gibt es mittlerweile mehr als zwei Dutzend verschiedene Echtzeit-Ethernet-Standards für die industrielle Automatisierung. Als Ausweg aus dem Dilemma bietet sich eine schon oft totgesagte Komponente an: der Framegrabber. »Wenn Kunden mich fragen, wie sich das Problem der Latenzzeiten bei Gigabit Ethernet lösen lasse, sage ich ihnen: ›Nehmen Sie einen Framegrabber, dann geht das einfacher‹«, betont Bernhard Mindermann, Geschäftsführer von Mikrotron. »Da finde ich erstaunlich viel Verständnis, immer mehr eigentlich. Außerdem gibt es ja nach wie vor Raum für andere Schnittstellen, auch für CameraLink – schon bald wird es ein viel schnelleres CameraLink geben, für das es ebenfalls Raum gibt.«
Und gerade in CameraLink liegt der eigentliche Schlüssel für kompromisslosen Determinismus: »Das Determinismus-Argument ist vollkommen richtig – es ist unser Argument, mit dem wir noch Framegrabber verkaufen können«, erläutert Rauscher. »Wer ein exakt deterministisches Verhalten will, braucht eine CameraLink-Kamera mit Framegrabber«, stellt er klar »Allein schon wegen des Determinismus wird es für CameraLink weiterhin einen Markt geben, vor allem in Verbindung mit Hochgeschwindigkeits-Kameras oder Zeilenkameras.«
Der verbesserte Determinismus ist jedoch nicht das einzige Argument für Framegrabber auch bei Gigabit-Ethernet-Kameras. Ein weiteres sind die riesigen Datenmengen, die in manchen Anwendungen entstehen: »Framegrabber können auch für Gigabit-Ethernet-Kameras Entlastung bringen, vor allem in Mehrkamera-Systemen«, legt Michael Noffz, Marketingleiter von Silicon Software, dar. »Es kommen durchaus Anfragen nicht nur von Endkunden, sondern auch von Kameraherstellern, inwieweit Framegrabber Entlastung schaffen können.«
Analog ist noch nicht tot
Noch vor zwei Jahren waren laut Aussagen von Experten nach Stückzahlen 85 Prozent aller verkauften Industriekameras analog und nur 15 Prozent digital. Durch die Verbreitung der Gigabit-Ethernet-Schnittstelle dürfte sich dies inzwischen geändert haben: »Ein über die vergangenen Jahre bis heute konstanter Trend ist der Rückgang des Marktanteils analoger Kameratechnik«, konstatiert Meinrad Simnacher, Geschäftsführer der deutschen Niederlassung von Leutron Vision in Konstanz. »Ihr Anteil ist nach wie vor bedeutend, aber über die Jahre ist doch ein starker Rückgang sichtbar.«
Ihre Vorteile hat die Analogtechnik freilich unabhängig davon: »Mit analogen Kameras lassen sich nach wie vor gute Lösungen aufbauen: Datenübertragung und Stromversorgung gehen über ein Kabel, man hat einen soliden Stecker, zeitkritische Anwendungen sind handhabbar, und die Kabellänge ist ebenso wenig ein Problem wie das parallele Grabben von vier oder mehr Kameras.«