Nach 545 Mio. Euro im Vorjahr dürfte ein zweistelliger Zuwachs Semikron pünktlich zum 60-jährigen Firmenjubiläum 2011 über die 600-Mio.-Euro-Grenze tragen. CEO Dirk Heidenreich setzt auf Flexibilität, um das Familienunternehmen sowohl für extremes Wachstum als auch für wirtschaftliche Abschwungphasen zu wappnen.
Zwar rechnet Heidenreich mit einer Verlangsamung des Wirtschaftswachstums ab Mitte 2012. Im Leistungselektronikbereich geht er aber für die nächsten zehn Jahre von einem kontinuierlichen 15- bis 20-prozentigen Wachstum aus.
Markt&Technik: Semikron erzielt bereits fast ein Drittel seines Umsatzes mit erneuerbaren Energien. Ihr Fokus liegt dabei auf der Windkraft. Welche Folgen hat da der Brownout Anfang des Jahres in China auf ihr boomendes Windkraftgeschäft in China?
Dirk Heidenreich: Durch den rasanten Aufbau und Inbetriebnahme von Windparks in China kam es Anfang des Jahres zu Netzinstabilitäten. Ursache waren Lastwechsel mit Spannungssprüngen im Netz. Bisher haben die Windkraftanlagen in China keine Steuerungs- und Pfufferfunktion wahrgenommen. Das ändert sich jetzt mit der verpflichtenden Einführung der Fault Ride Through-Funktionalität. Damit ist es je nach Lastsituation möglich, die Windkraftanlage vom Netz zu trennen, einen weiteren Betrieb zu fahren, oder eine Blindleistungskompensation durchzuführen. Inzwischen werden bereits installierte Anlagen sukzessive nachgerüstet. Unsere im Windmarkt eingesetzten SKiiP-Produkte sind für diese Funktionalität ausgelegt. Damit kommt es zwar zu einem kurzfristigen Aufschub an Neuinstallationen aber wir gehen davon aus, dass die Pläne mit 18 GW Neuinstallationen pro Jahr ab Ende dieses Jahres weitergeführt werden. Wir sehen weiter ein rasantes Wachstum des Windmarktes in China, und gehen davon aus, dass chinesische Lieferanten in Zukunft verstärkt ins Ausland drängen werden.
Von der Windkraft zur E-Mobility: Warum haben Sie das ursprünglich zusammen mit Magna gegründete Joint Venture inzwischen voll übernommen?
Wir haben ein Zeichen im Automotive-Markt gesetzt: Semikron bietet Elektro- und Hybridtechnik aus einer Hand. Neben der VePoint-Übernahme haben wir ein Joint Venture mit der Firma Drivetek, einem Entwicklungsdienstleister für Controller Soft- und Hardware gegründet. Im Jahr 2010 haben wir den Entwicklungsspezialist für elektrische Steuer- und Antriebstechnik, die Compact Dynamics, mehrheitlich übernommen. Unterschiedliche Ansichten über die konkrete Zusammenarbeit mit Magna, führten schließlich dazu, dass wir uns dazu entschlossen haben, das Joint Venture zu 100 Prozent zu übernehmen.
Sie haben mit der SKiN-Technologie konsequent den letzten Schritt bei der Neudefinition der Aufbau- und Verbindungstechnik in der Leistungselektronik getan. Werden Sie sich als mittelständischer Hersteller gegen die proprietären Lösungen der großen Leistungshaltleiter- und -modulhersteller behaupten können?
Die Reaktionen auf die Vorstellung der SKiN Technologie auf der PCIM waren sowohl von Kunden wie Wettbewerbern sehr positiv und von hoher Anerkennung geprägt. Die SKiN Technologie ist die konsequente Fortführung der Technologieentwicklung weg von Löten und Bonddrähten um die Zuverlässigkeit, Kompaktheit und elektrische Leistungsfähigkeit der Leistungselektronik zu erhöhen. Als einer der größten Hersteller von Leistungselektronik geben wir den Innovationstakt vor und bieten mit unseren Lösungen den Kunden einen Wettbewerbsvorteil. Seit einem Jahr zeichnet sich ab, dass die Modulhersteller in der Aufbau- und Verbindungstechnik unterschiedliche Wege gehen. Der Markt und die Kostenseite wird entscheiden, welche Technologie sich durchsetzen wird. Wir sind überzeugt, mit der SKiN-Technologie einen Meilenstein in der Aufbau- und Verbindungstechnik präsentiert zu haben. Basierend auf dieser Technologie ermöglichen wir es unseren Kunden, bis zu 30 Prozent kompaktere und 10-mal zuverlässigere Umrichter zu bauen.
Haben sich die an den Start des e-Commerce-Portals SindoPower, vor zwei Jahren, geknüpften Erwartungen erfüllt? Ist ein weiterer Ausbau dieser Semikron-Tochter geplant?
Das wirtschaftliche Wachstum übertraf unsere Erwartungen deutlich. Allerdings war und ist es uns wesentlich wichtiger, dass sich die Kunden bei SindoPower durch das Applikationsingenieurteam gut beraten fühlen. Daher erweitern wir SindoPower jetzt im August auch mit dem Standort Zhuhai. Dieser Schritt erlaubt es den Kunden, SindoPower 24 Stunden an fünf Tagen die Woche zu erreichen, und während der chinesischen Geschäftszeiten findet die Beratung auch, neben den sonst möglichen sieben anderen Sprachen, in Chinesisch statt. Neben einem Euro-Konto in der EU, können die Kunden auch auf ein US-Dollar-Konto in RMB in China einzahlen. Beliefert werden die Kunden in diesen Ländern DDP. Daher hat der Kunde keine Zollformalitäten zu erledigen. Eine weitere Eröffnung steht bis Ende des Jahres mit SindoPower Brasilien an. Im Zubehörbereich fokussiert sich SindoPower auf relevante Produkte rund um die Leistungselektronik von namhaften Herstellern. Der Semistack Kit, der es den Kunden erlaubt, einen kompletten Bausatz eines Stacks aus einer Hand zu beziehen und selbst zu montieren haben wir ebenfalls auf der PCIM vorgestellt.
Ist mit der Eröffnung des neuen High-Tech-Logistikzentrums, nach dem Bau der neuen Fab, nun der Ausbau des Standortes Nürnberg abgeschlossen?
Wir haben so geplant, dass wir in Nürnberg die Möglichkeit haben, den Standort noch weiter auszubauen, und werden das auch tun, wenn es notwendig wird, um weiter wachsen zu können. Weltweit beläuft sich die Höhe der Investitionen der letzten zwei Jahre auf 114 Mio. Euro und auch international gilt für uns, dass wir dort in unsere Standorte investieren und ausbauen, wo wir es strategisch zur Stärkung und Sicherung von nachhaltigem Wachstum für sinnvoll erachten.
Für die gesamte Industrie war 2010 ein Boomjahr. Für wie nachhaltig halten sie die Markterholung? Mit welcher Entwicklung rechnen Sie für das laufende Geschäftsjahr?
Ich persönlich glaube, dass wir uns momentan auf einem sehr hohen Niveau befinden, das entsprechend der Annahme, dass die markt- und weltwirtschaftliche Entwicklung ein stetiges Auf und Ab bildet, so nicht dauerhaft gehalten werden kann. Schon jetzt gibt es Anzeichen, die auf eine Verlangsamung der Wirtschaft ab Mitte 2012 hindeutet. Wichtig ist für mich dabei vor allem, dass wir als Unternehmen so flexibel aufgestellt sind, dass wir sowohl für extremes Wachstum, wie wir es gerade erleben, aber ebenso für wirtschaftliche Abschwungphasen gewappnet sind. Die Märkte in Europa, Asien und den BRIC-Staaten entwickeln sich ähnlich stark und wir sind auch hier gut aufgestellt, da wir in allen wichtigen Märkten mit Tochterfirmen vor Ort sind.
Wie schätzen Sie mittel- und langfristig die weitere Entwicklung der Leistungselektronik ein? In welchen Applikationsbereichen wird sie zukünftig noch mehr Bedeutung erlangen?
In den nächsten 10 Jahren werden die Märkte der Leistungselektronik weiter jährlich um 12 bis 15 Prozent wachsen. Dieses Wachstum wird durch steigende Energiekosten und die Forderung nach Energieeinsparung vorangetrieben. Die Erschließung alternativer Energiequellen im Wind- und Solarbereich wird weiter zunehmen. In diesem Segment gehen wir von einem durchschnittlichen Wachstum von 20 bis 25 Prozent aus. Stärkere Bedeutung wird das Thema Elektromobilität bekommen. Eine zunehmende Elektrifizierung im Fahrzeugbereich bei Elektro- und Hybridantrieben eröffnet neue Märkte. Wir greifen hier auf unsere langjährige Erfahrung bei Flurförderfahrzeugen und Hybridbussen zurück. Auf Basis unserer neuen Technologien bieten wir für den Fahrzeugbereich Systeme aus Umrichter und DC/DC-Wandler an. Die Elektrifizierung wird auch noch andere Applikationen betreffen. Denken sie dabei nur an den Ersatz hydraulischer Antriebe durch elektrische.
Lange Zeit war die Leistungshalbleiterei ein Betätigungsfeld für einen kleinen Kreis von Spezialisten. Wird sich das in Zukunft, unter anderem durch die wachsende Bedeutung neuer Materialien wie SiC und GaN verändern?
Im Chipbereich gibt es neue Entwicklungen speziell bei Widebandgap Materialien. Durch ihren Einsatz ist eine Steigerung des Wirkungsgrades von Umrichtern beziehungsweise eine Kostenreduzierung bei Filtern wegen höherer Schaltfrequenzen möglich. Wenn sich daraus auch ein Kostenvorteil für den Anwender ergibt, werden sich die neuen Materialien durchsetzen. Aktuell rechnet sich ihr Einsatz nur bei Solarwechselrichtern und in der Medizintechnik. Ob die neuen Chiplieferanten auch zu neuen Modulherstellern werden, hängt von deren Fähigkeiten in der Aufbau- und Verbindungstechnik ab. Aufgrund der jahrzehntelangen Erfahrungen der existierenden Player, ist die technologische Eintrittsbarriere in dieses Produktsegment jedoch sehr hoch. Für Unternehmen, die in diesen Markt einsteigen wollen, ist der Zukauf von Know-how sicher eine Option.