Entschlüsselung des Vogelflugs liefert weit reichende Erkenntnisse für die energieeffiziente Automatisierung

Von der Silbermöwe lernen

9. Juni 2011, 15:40 Uhr | Andreas Knoll
Von der Silbermöwe abgeschaut hat Festo bei der Entwicklung des »SmartBird«.
© Festo

Festo hat ein von der Silbermöwe inspiriertes Vogelmodell entwickelt, das den Vogelflug erstmals mit technischen Mitteln wirklichkeitsgetreu nachahmt. Der so genannte »SmartBird« startet, fliegt und landet eigenständig, wobei seine Flügel nicht nur auf und ab schlagen, sondern sich gezielt verdrehen.

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Erkenntnisse erhofft sich das Unternehmen davon für viele Aspekte der energieeffizienten Automatisierung.

Fliegen wie ein Vogel – für den Menschen war dies bisher nicht mehr als ein Traum. Was Vögel allein mit der Muskelkraft ihrer Flügel bewältigen – starten und landen, sich Auftrieb und Vortrieb verschaffen, sich in der Luft halten –, meisterte der Mensch bislang nur mit großem Energieaufwand. Jetzt aber hat der Mensch, genauer gesagt: die in Esslingen am Neckar ansässige Festo AG & Co. KG, immerhin ein Vogelmodell geschaffen, dessen Flug dem des »echten« Vogels nahe kommt.

Der 1,07 m lange und nur 450 g schwere »SmartBird« fliegt, gleitet und segelt durch die Luft wie sein natürliches Vorbild, die Silbermöwe. Er hat eine Kohlefaser-Leichtbaustruktur, und seine Verkleidung besteht aus extrudiertem Polyurethanschaum. Seine Flügelspannweite beträgt 2 m. Vor- und Auftrieb erzeugt er ausschließlich durch die Bewegung seiner beiden Flügel, was nur 23 W elektrische Leistung erfordert.

Die Flügelstruktur des »SmartBird«
Die Flügelstruktur des »SmartBird«
© Festo

Anders als bei bisherigen Schlagflügelapparaten schlagen die Flügel des »SmartBird« aber nicht nur auf und ab, sondern verdrehen sich gezielt. Möglich macht dies ein aktiver Gelenktorsionsantrieb (Digitalservo) pro Flügel - »aktiv« deshalb, weil der Antrieb die Torsion gezielt in Größe und zeitlichem Verlauf ansteuert. Für die Kopf- und Schwanzsteuerung sind zwei weitere Digitalservos eingebaut. In Verbindung mit einer komplexen Steuerungs- und Regelelektronik erreichen die Antriebe bisher unerreichte Wirkungsgrade im Flugbetrieb. So hat Festo bei Messungen elektromechanische Wirkungsgrade bis 45 Prozent und aerodynamische Wirkungsgrade bis 80 Prozent ermittelt. Als Motor für die Auf-und-Ab-Bewegung der Flügel dient ein bürstenloser Außenläufer des Typs »Compact 135« von Graupner. Ein 2-Zellen-Lithium-Polymer-Akku liefert die nötige Versorgungsspannung.

Funktionsweise des »SmartBird«

Der Flügelschlag des »SmartBird« umfasst zwei Bewegungen: Zum einen schlagen die Flügel auf und ab, wobei vom Rumpf bis zur Flügelspitze die Auslenkungen über eine Hebelmechanik größer werden. Zum anderen verdreht sich der Flügel so, dass die Flügelnase beim Aufschlag nach oben zeigt und der Flügel einen positiven Anstellwinkel hat. Die Steuerung des Ablaufs von Flügelschlag und Verdrehung erfolgt im Takt weniger Millisekunden und bewirkt optimale Strömungsverhältnisse der Luft am Flügel.

Der Flügelschlag des »SmartBird«: Schlagbewegung und Torsionsbewegung
Der Flügelschlag des »SmartBird«: Schlagbewegung und Torsionsbewegung
© Festo

Der Flügel besteht aus einem zweiteiligen Armflügelholm mit einer Achsaufnahme am Rumpfaustritt, einem Trapezgelenk und einem Handflügelholm. Das Trapezgelenk bewirkt eine Übersetzung von 1:3. Der Armflügel erzeugt den Auftrieb, der Handflügel nach dem Trapezgelenk den Vortrieb. Die Holme von Armflügel und Handflügel sind torsionssteif ausgeführt. Am Ende des Handflügels befindet sich der aktive Torsionsantrieb, der den gesamten Flügel gegenüber dem Holm über eine Außenflügelrippe verdreht.

Im Rumpf sind Akku, Außenläufermotor und Getriebe, die Kurbelmechanik sowie die Steuerungs- und Regelelektronik untergebracht. Der bürstenlose Motor schlägt die Flügel über ein zweistufiges Stirnradgetriebe mit der Untersetzung 1:45 auf und ab. Er ist mit drei Hall-Sensoren ausgestattet, um die genaue Flügelstellung bestimmen zu können. Vom Getriebe aus wird über ein Pleuelgelenk die Schlagleistung in den Handflügel geleitet. Die Kurbelmechanik hat keinen Totpunkt und erzeugt dadurch einen runden Lauf mit geringen Lastspitzen. Dies bewirkt einen ruhigen Flug.

Auch der Schwanz des »SmartBird« erzeugt Auftrieb. Er hat sowohl Höhen- als auch Seitenruderfunktion. Fliegt der Vogel geradeaus, stabilisiert die V-Stellung der beiden Schlagflügel den Vogel, analog zum herkömmlichen Seitenleitwerk eines Flugzeugs. Zum Einleiten einer Kurve wird der Schwanz schräg gestellt. Kippt der Schwanz um die Längsachse, bewirkt dies ein Gieren um die Hochachse.

Die On-Board-Elektronik ermöglicht eine präzise Ansteuerung der Flügeltorsion in Abhängigkeit von der Flügelposition. Ein Mikrocontroller berechnet dazu die optimale Einstellung der beiden aktiven Torsionsantriebe. Die Synchronisierung des Bewegungsablaufs zwischen der Schlagbewegung und der Torsionsbewegung erfolgt durch Auslesen der absoluten Position des bürstenlosen Außenläufermotors mittels dreier Hall-Sensoren. Die aktiven Torsionsantriebe verlangen eine präzise Abstimmung der beiden Bewegungsformen Schlagen und Verwinden und sind damit unter vollständiger und fortlaufender Kontrolle.

Eine bidirektionale Funkkommunikation mittels ZigBee-Protokoll erlaubt die Überwachung der Flügelposition und Flügeltorsion. Sie übermittelt Betriebsdaten wie den Akkuladezustand, die Leistungsaufnahme und die Steuereingaben des Piloten. Zudem lassen sich die Steuerparameter der Torsion während des Fluges in Echtzeit einstellen und somit optimieren. Dieses intelligente Monitoring ermöglicht es, zusammen mit der elektronischen Steuerung die Mechanik in Sekundenbruchteilen an neue Situationen anzupassen.


  1. Von der Silbermöwe lernen
  2. Nutzung für die Automatisierungstechnik

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