Kommentar

Wie der Phönix aus der Asche

3. Dezember 2010, 12:53 Uhr | Engelbert Hopf
Engelbert Hopf, Chefreporter Markt&Technik
© Markt&Technik

Seien Sie ehrlich, mit einer Marktentwicklung wie in diesem Jahr hätten Sie zu Beginn 2010 nicht zu rechnen gewagt, oder? Nach dem Absturz des Jahres 2009 schienen selbst ansonsten unerschüt­terliche Optimisten plötzlich an so etwas wie die Grenzen des Machbaren zu glauben. Wer Steige­rungsraten, wie sie in den letzten Monaten aus den verschiedensten Teilbereichen der Elektronik­branche gemeldet wurden, Anfang dieses Jahres prognostiziert hätte, wäre bestenfalls belächelt, aber wohl kaum Ernst genommen worden.

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Wer hätte auch erwarten können, dass letztlich der Bedarf von eineinhalb Jahren in 365 Tage ge­packt wird und das bei Anfangs teils eingemotte­ten Produktionslinien und entlassenen Ferti­gungsmitarbeitern? Zwar mag die Devise »Cash is King« 2009 vor allem für Aktien notierte Unterneh­men von entscheidender, weil existentieller Be­deutung gewesen sein, was jedoch passiert, wenn zeitlich verschobener Bedarf unvermittelt auf eine leergefegte Lieferketten trifft, war dann speziell Anfang dieses Jahres in einem global angelegten Feldversuch zu beobachten.

Natürlich gab es die Ausnahmen: zumeist mit­telständische Global Player und Hidden Champi­ons, die unabhängig von Banken und Aktionären den Mut hatten, auch im tiefsten Abschwung der Weltwirtschaft an ihr Produkt, ihre Dienstleistung zu glauben und entsprechend zu investieren. Dass sie nun überproportional von der Markterholung profitieren, ist weniger ihrer schieren Größe als vielmehr dem Wettbewerbsfaktor unternehmeri­sches Risiko geschuldet. Wären diese Unterneh­mer schief gelegen, hätten es natürlich alle ge­wusst, dass das nicht gut gehen kann!

Wohl dem also, der alles richtig gemacht hat, und der sich über ein Soft-Landing freuen kann und keinen Double-Dip oder Peitscheneffekt mehr fürchtet. Dass es durchaus Unternehmen gibt, die zwar das Jahr 2009 überstanden haben, aber letzt­lich nicht mehr die Substanz und Energie gehabt haben, um den Wahnsinn des Jahres 2010 zu über­stehen, hat erst wieder die jüngste Vergangenheit im Umfeld der electronica 2010 gezeigt.

Auch wenn alle Wirtschaftsfaktoren auf grün stehen und die Chronisten sehr tief in ihre Archive steigen müssen, um Vergleichswerte für die opti­mistische Zukunftseinschätzung der deutschen Industrie- und Elektronikbranche zu finden, ist nicht gesagt, dass jedes Unternehmen, dass den Absturz 2009 irgendwie noch überstanden hat, nun auch wirklich noch in den Genuss kommt, die Früchte seiner Anstrengungen aus den letzten 24 Monaten zu ernten.

Dass es so wie in den letzten Monaten auch mit dem Exportbeschleuniger schwacher Euro nicht weiter gehen kann, glauben inzwischen aber auch Berufoptimisten nicht mehr. Im saisonellen Zyklus läuft derzeit alles wie gewohnt: Asien schwächt sich im Bereich Consumer und Compu­ter ab, ein Lageraufbau, so Hersteller und Distri­butoren, ist aber nach wie vor trotzdem nicht zu beobachten. So wird es zwar zum Jahreswechsel zu buchhalterischen Korrekturen kommen, aber noch scheint sich nichts aufzubauen, was die wei­tere konjunkturelle Entwicklung der Elektronik­branche in naher Zukunft gefährden könnte.

Konstantes Wachstum auf deutlich niedrigerem Niveau, so sehen derzeit die Prognosen in fast allen Bereichen der Halbleiter- und Elektronik­branche aus. Selten dürfte die Aussichten für das nächste Geschäftsjahr besser gewesen sein, als Ende 2010. Bleibt zu hoffen, dass sich die Ver­besserung der wirtschaftlichen Rahmenbedingun­gen in absehbarer Zeit auch in einer besseren Bedarfsplanung auf der Kundenseite niederschlägt. Dass Hersteller mit einem Auftragshorizont von drei Monaten nicht unbedingt dazu neigen, große Investitionen in den Ausbau ihrer Fertigung täti­gen, dürfte eigentlich jedem einleuchten.

Wenn also 2011 in vielen Bereichen der Elek-tronikbranche unter dem Motto »Rückkehr zu Normalität« steht, dann sollte dass auch dazu bei­tragen, dass Spiel zwischen Bedarf und Ferti­gungskapazität wieder in eine bessere Balance zu bekommen. Eine Balance, an der beide Seiten in­teressiert sein und arbeiten müssen, sonst werden im nächsten Jahr die Krokodilstränen über lange Lieferzeiten, stabile ASPs und Kunden, die angeb­lich immer noch zu kurzfristig ordern, einfach nicht mehr glaubhaft sein.

Ihr Engelbert Hopf


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