Kommentar

So kapieren sie es nie!

20. Dezember 2010, 9:51 Uhr | Iris Stroh

Wer in diesem Jahr im Vertrieb eines Halbleiterherstellers tätig war und die Tier-Ones der Automobilindustrie zu sei­nen Kunden zählte, war, gelinde gesagt, ein armes Schwein! Denn aufgrund der extrem großen Nachfrage, in Kombinati­on mit den leergefegten Lagern und den dadurch entstandenen Lieferproblemen, liefen nicht nur die Telefone heiß.

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Iris Stroh
Iris Stroh, Leitende Redakteurin Markt&Technik
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Nur um es noch einmal ins Gedächtnis zu rufen, wie kapriziös die Automobilin­dustrie sein kann: Mitte 2008 wurden die wirtschaftlichen Entwicklungen weltweit ignoriert und weiter bestellt, als hätte es Lehman Brothers nie gegeben. Gegen En­de 2008 schlug das Verhalten ins genaue Gegenteil um, und keiner kaufte mehr irgendetwas. Im schlimmsten Fall wurde bereits bestellte Ware am Werkstor abge­wiesen und zum Lieferanten zurückge­schickt. Wen interessiert schon partner­schaftliches Verhalten, wenn es ums ei­gene Überleben geht? Spätestens zu die­sem Zeitpunkt stieg jeder in der Wert­schöpfungskette auf die Bremse, Arbeits­konten wurden abgebaut, Werksferien verlängert, Produktionen zumindest vor­übergehend stillgelegt.

Dann wurden überall staatliche Hilfs­programme aus dem Boden gestampft, und die Automobilindustrie erholte sich wieder – wobei keiner der Erholung trau­te, jeder erwartete, dass die Automobilin­dustrie Jahre brauchen würde, bis sie wieder zu alter Stärke gelangte.

Dann strafte China alle Lügen, denn dort wurden plötzlich wieder Autos be­stellt, und nicht die kleinen, die man hier für salonfähig erklärt hatte. Nein, in Chi­na wollte man die dicken Schlitten, die mit allem ausgestattet sind, was im Kata­log zu finden ist. Es wurde wieder be­stellt, was das Zeug hält, Produktionen wurden wieder hochgefahren, die Werks­ferien wurden beendet und neue Über­stundenkonten angelegt. Doch halt, hier war noch ein klitzekleines Problem: Die Halbleiterhersteller brauchen Zeit, bis sie ihre Produktionen wieder hoch- und dann so eingefahren haben, dass sie mit gewohnter Ausbeute produzieren. Das ist zwar nichts Neues, aber das ist wohl wie mit Weihnachten: Wenn es endlich so weit ist, sind manche doch immer wieder überrascht.

Nachdem immer noch Verknappung vorherrscht, könnte man glauben, dass die Industrie zumindest jetzt nicht gleich wieder die gleichen Fehler begehen wird wie in der Vergangenheit. Aber das ist wohl zu viel erwartet. Denn jetzt, kurz vor Jahresende, werden die Lagerbestän­de wieder heruntergefahren, denn die Bilanzen müssen aufgehübscht werden, damit sie gut aussehen. Egal wie es An­fang des nächsten Jahres weitergeht: Wenn es eng wird, macht das nichts, es wird schon funktionieren.

Und da haben die Manager in den Industrie-Unternehmen nicht unrecht. Schlussendlich haben die Halbleiterher­steller stets alles unternommen, um die geforderten Halbleiter-Produkte zu pro­duzieren. Wenn es sein musste, wurde in die Fertigungen eingegriffen, auch wenn das sehr kostspielig ist und den Output einer Fabrik senkt. Kein Wunder also, dass sich ein Großteil der OEMs immer noch arrogant zurücklehnt und glaubt, der Nabel der Welt zu sein.

Denn wenn 10 Prozent des gesamten Halbleitermarktes schon ausreichen, dass eine ganze Industrie Kopf steht, dann kann die Automobilindustrie sich mit ih­ren 10 Prozent Umsatzvolumen wie ein König fühlen – und Könige sind nun mal kapriziös!


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