Europa startet Aufholjagd für Galliumnitrid. GaN-Pionier IR bringt die ersten Produkte auf den Markt.
Galliumnitrid ist der nächste Game-Changer der Leistungselektronik. Als International Rectifier vor gut zwei Jahren seine ersten Samples und Roadmaps vorstellte, da wurde das vom Wettbewerb zwar registriert, aber als »zu leicht« befunden. Galliumnitrid wurde als interessante Nischenlösung dargestellt, die sich aber hauptsächlich an Niederspannungs-Applikationen und damit vor allem an Consumer-, aber eben nicht an Industrie- und Automotive-Anwendungen richtete.
Inzwischen hat IR die ersten diskreten FETs auf den Markt gebracht, und auch der Konkurrenz dürfte klar geworden sein, warum sich IR zu Beginn auf Niederspannungslösungen konzentriert hat: An ihnen lassen sich auf etwas einfachere Art der Umgang und die Prozesstechnik der neuen Halbleitertechnik »erlernen«, bevor man sie dann auf Halbleiterlösungen für Spannungen über 600 V überträgt.
Als Game-Changer haben sich in den letzten dreißig Jahren sowohl International Rectifier als auch Infineon Technologies bereits erfolgreich betätigt: IR schuf als MOSFET-Pionier ein völlig neues Produktsegment, und Infineon hat mit seinen Superjunction MOSFETs der CoolMOS-Baureihe neue Marken gesetzt. Nun scheint durch die gesamte Leistungshalbleiter-Branche klar zu sein: Wer keine Karten in Sachen Galliumnitrid hat, der dürfte sich in Zukunft deutlich schwerer tun, sich gegen den Wettbewerb zu behaupten.
So ist es auch wenig verwunderlich, dass zum Jahresende 2010 eine ganze Welle von Forschungs- und Kooperationsinitiativen in Gang gesetzt wurde, deren einzi-ges Ziel es ist, Europa zu einer strategischen Unabhängigkeit auf dem Gebiet der Wide-Band-Gap-Halbleiter zu verhelfen. Welche Bedeutung diesem Programm für die europäische Leistungshalbleiter-Industrie und ihre Kunden im Bereich der Leistungselektronik zukommt, lässt sich aus dem Namen ableiten: »Last Power«.
Europa mag vielleicht spät auf die neue Technologie reagieren, doch die nun aufgelegten Programme wie »Neuland« oder »Power GaN Plus« oder »Berlin WideBaSe« haben meist nicht nur Galliumnitrid im Fokus, sie beziehen auch Verbindungshalbleiter wie Siliziumkarbid, Aluminiumnitrid oder Zinkoxid in ihre Forschungsaktivitäten ein.
Dass nun offenbar auch die entscheidenden Gremien vom möglicherweise Branchen verändernden Charakter der neuen Technologie überzeugt sind, dürfte vor allem damit zu tun haben, dass der Entwicklung sehr energieeffizienter Systeme – von der Consumer-Elektronik bis zu elektrischen Hausgeräten und von industriellen Anwendungen bis zur Heim-Automation – heute eine zentrale Bedeutung zukommt.
Es wird interessant sein zu verfolgen, wie die asiatischen Halbleiter-Spezialisten auf die sich nun entfaltende Dynamik reagieren. Nachdem Unternehmen wie Rohm Semiconductor vor knapp zwei Jahren in die Siliziumkarbid-Technologie eingestiegen sind, ist wohl kaum davon auszugehen, dass sich Asiens Halbleiterspe-zialisten bei Galliumnitrid ähnlich viel Zeit lassen werden. Das Jahr 2011 dürfte darum nicht nicht nur bei Wide-Band-Gap-Halbleitern mit der einen oder anderen Überraschung aufwarten.