Unsicherheit, das ist die derzeit vorherrschende Gefühlslage in der Branche. »Es ist heute einfach noch nicht abzusehen, wie sich die Situation in Japan in den nächsten Wochen entwickeln wird«, stellt Konrad Beck, Senior Vice President Corporate Sales bei TDK-EPC nüchtern fest, »es lässt sich eben einfach nicht ausschließen, dass da Aspekte auftauchen, an die heute noch keiner denkt«. Beck und seinen Kollegen ist sehr daran gelegen, in der aktuellen Verunsicherung nicht durch unbedachte Äußerungen oder Aktionen für zusätzliche Verunsicherung bei den Kunden zu sorgen.
TDK unterhält seine größten Fertigungsstandorte in Akita, an der Westküste der Hauptinsel Honshu. Beeinträchtigt wurde dort die Produktion nur durch die Stromabschaltungen. Epcos wiederum produziert nicht selbst in Japan, bezieht von dort aber verschiedene Komponenten, die von Klebebändern zum Tapen bis zu Folien für Kondensatoren reichen. »Wir stehen seit dem Ereignis in ständigem Kontakt mit unseren Lieferanten in Japan in Kontakt, und setzen alles daran, bei Bedarf auf alternative Versorgungswege auszuweichen«, schildert Beck die Situation bei Epcos, »sollten sich Versorgungsengpässe abzeichnen, gehen wir proaktiv auf unsere Kunden zu und informieren sie darüber«.
Von den anwesenden Unternehmen, hat es Murata offenbar direkt am härtesten getroffen. Reinhard Sperlich, Geschäftsführer bei Murata Europe, berichte von insgesamt drei Fabs, die durch Erdbeben und Tsunami in Mitleidenschaft gezogen wurden. Betroffen sind nach Sperlich ein Werk für Wickelgüter, ein Zulieferwerk in Sendai und ein Werk für Polymer-Aluminium-Kondensatoren. Je nachdem wie stark die Werke betroffen sind, geht der Murata-Manager davon aus, dass die Produktion dort wohl ab Mitte/Ende Mai wieder auf vollen Touren laufen wird.
Dass der Ausfall der Produktionen dazu führen könnte, dass Murata Marktanteile verliert, glaubt Sperlich nicht. »Wenn sie für bestimmte Produkte einen Weltmarktanteil von rund 50 Prozent haben«, meint er lächelnd, »dann kann ein Wettbewerber, der ein ähnliches Produkt fertigt vielleicht einen Lieferausfall von ein paar Prozent ausgleichen, wenn er den die benötigten Rohstoffe bekommt«. Auch Sperlich verweist bei seiner Argumentation noch einmal darauf, dass in der betroffenen Regionen keine 0815-Produkte gefertigt werden, sondern Leading-Edge-Bauelemente, »die in dieser Form vielleicht noch Taiyo Yuden oder TDK-EPC produzieren können«.
Im Fall Taiyo Yuden, versichert der dort als General Manager European Key Account tätige Harald Sauer, werden 70 Prozent der MLCCs außerhalb Japans produziert. In Japan selbst wird die Produktion derzeit nur von den Energieausfällen beeinträchtigt. »Da wir unsere Pulver für die Keramiken und Ferrite selbst herstellen, verfügen wir derzeit noch über einen Vorrat für die nächsten sechs bis sieben Wochen«, schildert er die aktuelle Situation in seinem Unternehmen. Für den April geht er von einer deutlichen reduzierten Produktion in Japan aus, die aber immer noch klar über 50 Prozent liege. Ab Mai, so seine Einschätzung, dürfte wieder alles normal laufen.
Wie bereits erwähnt, zählten Automobilhersteller wie General Motors, Opel oder auch PSA zu den Ersten, deren Bänder bereits kurz nach der Katastrophe in Japan still standen. Lassen sich Stillstandszeiten von einer Woche wohl noch mit Sonderschichten ausgleichen, so zeichnet sich inzwischen immer deutlicher ab, dass die Endkunden wohl spätestens ab der Jahrsmitte mit Lieferengpässen für die verschiedensten Endprodukte rechnen müssen. Nachdem Toyota erst in den USA die Bänder aufgrund fehlender Komponenten anhalten ließ, trifft es nun auch Europa. Vom 21. April bis zum 2. Mai wird die Produktion in Europa komplett für acht Tage eingestellt. Lagen die Lieferzeiten für Toyota-Fahrzeuge schon bislang bei 3 bis 4 Monaten, werden nach ersten Einschätzungen für Auris-, Avensis-, Verso- und Yaris-Kunden wohl vier weitere Wochen Wartezeit hinzukommen.
In diesem Zusammenhang stellt Quecke auch die Frage, wer die begehrten Bauteile erhalten wird, wenn die Auswirkungen japanischen Ereignisse, wahrscheinlich zeitlich verzöget, mit voller Wucht auf den Bauelementemarkt wirken werden. »Das Weihnachtsgeschäft läuft im Juni, Juli an«, stellt er fest, »werden die benötigten Mikrocontroller dann eher in das Automotive-Segment fließen, oder werden doch die Apples und Netbook-Hersteller dieser Welt die ihnen zugesicherte Ware erhalten«? Die Antwort auf diese Frage wird darüber entscheiden, wie massiv die Auswirkungen der Katastrophe auf den globalen Endkundenmarkt sein werden.
Nicht einschätzbar bei der Erstellung der verschiedenen Zukunftsszenarios ist die weitere Bedeutung des GAUs in Fukushima für die Bauelementebranche. Gut zwei Wochen nach der Katastrophe tauchten die ersten Befürchtungen kontaminierter Bauelemente am Markt auf. Die Unsicherheit sowohl auf Kunden-, wie auf Anbieterseite war. Zwar verweisen die Diskussionsteilnehmer auf Vorgaben des Bundesamtes für Strahlenschutz, auf Richtlinien des Bundesumweltministeriums und der EU, wirkliche Klarheit darüber, was erlaubt ist und was nicht, herrscht aber zwei Wochen nach der Katastrophe noch nicht.
So stellt sich die Frage, ob es etwa die Aufgabe eines Importeurs sein kann, zu überprüfen, ob die Ware den Bestimmungen entspricht oder nicht. Nach Auskunft des Bundesamtes für Strahlenschutz, so Quecke, sei dies eine hoheitliche Aufgabe. »Der deutsche Zoll hat die Aufgabe zu überprüfen, wie hoch die Kontamination ist und ob das Produkt eingeführt werden darf«, berichtet der TTI-Manager, »es kann auch nicht unsere Aufgabe sein, dem Kunden darüber Auskunft zu geben, ob und wenn ja wie hoch Ware eventuell kontaminiert ist«.
Knappmann zieht den Vergleich zu Falschgeld: »Wenn ich das in den Umlauf bringe, mache ich mich strafbar. Im Fall kontaminierter Bauelemente sagt das Gesetz zwar, ab wann etwas kontaminiert ist, aber nicht, ab welchem Kontaminationsgrad wir das nicht mehr in den Handel bringen können«. Fragt der Kunde jedoch gezielt nach, dann so Knappmann, »gilt die Kontamination als höhere Gewalt«.
Auch Beck verweist darauf, dass es in Deutschland gesetzliche Richtlinien gibt, die bestimmen, ab welcher Belastung ein Material als kontaminiert gilt und nicht mehr verarbeitet werden darf. »Das Strahlenschutzgesetz schützt in Deutschland Personen, die mit solchen Materialien in Berührung kommen, vor unzulässig hohen Strahlenbelastungen« erläutert er.
Stefan Fischer, Director Sales Central & East Europe bei Vishay Europe Sales versucht mit einem Verweis auf die Abermillionen Tonnen Ware, die Japan wöchentlich verlassen, deutlich zu machen, welche enorme Leistung allein schon stichprobenartig Überprüfungen darstellen. »Die volle Auswirkung dessen, was dort derzeit passiert und der Anstrenungen, die dort unternommen werden«, ist er sich sicher, »werden uns erst in den nächsten Wochen treffen«. Beck ist sich mit seinem Kollegen einig, dass die angesprochenen Überprüfungen nur stichprobenartig durchgeführt werden können.