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Wird Mainline-Linux noch echtzeitfähig?

12. August 2014, 16:34 Uhr | Joachim Kroll
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Funktionierendes Ökosystem notwendig

Der beeindruckende technologische Erfolg des Echtzeit-Linux-Kernel darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass diese Software-Entwicklung – genau wie bei anderen Komponenten des Linux-Kernels und übrigens auch wie bei Open-Source-Software im Allgemeinen – ein funktionsfähiges Ökosystem benötigt. Für den Einsatz des Linux Kernel in Servern, in Smartphones und speziell auch in der Telekommunikation funktioniert das Ökosystem hervorragend: Firmen, die in den betreffenden Branchen auf bestimmte Linux-Komponenten angewiesen sind, stellen entweder eigenes Personal zur Mitarbeit an den jeweiligen Open Source Communities frei oder werden Mitglied in dafür geschaffenen Interessengemeinschaften wie z.B. in der in den USA ansässigen Linux Foundation. Auf diese Weise beteiligen sich die Nutznießer der Software an deren Entwicklung – es entsteht also die klassische Balance von Geben und Nehmen in einer Community. Und so funktionierte zunächst auch die Implementierung der Echtzeiteigenschaften des Linux Kernel; denn es waren am Anfang Firmen wie IBM und Red Hat, die in einer konzertierten Aktion einen großen Teil der Kosten geschultert haben, weil Echtzeit-Linux für Kundenprojekte zwingend benötigt wurde. Inzwischen sind deren Anforderungen weitgehend erfüllt, und die fehlende Mainline-Konsolidierung der restlichen Komponenten ist hier nicht von Nachteil, denn die Systeme können von einem kleinen Spezialisten-Team individuell und im Rahmen eines abgesetzten Geschäftsmodells betreut werden. Das entsprechende Produkt der Firma Red Hat heißt MRG (Messaging/Realtime/Grid); es enthält den Echtzeit-Linux-Kernel, ist aber nur für x86-Systeme (32 und 64 bit) verfügbar und nur für eine relativ geringe Anzahl von Systemen zertifiziert.

Linux in der Industrie

Ganz anders sieht es bei der Verwendung von Linux in der Industrie aus: Hier werden Echtzeiteigenschaften und andere branchenspezifische Erweiterungen in mehreren Architekturen und in vielen hundert unterschiedlichen Systemen benötigt, so dass eine zuverlässige und nachhaltige Entwicklung nur gewährleistet werden kann, wenn die fehlenden Komponenten in den Hauptentwicklungszweig des Linux Kernel aufgenommen werden. Linus Torvalds hat dies wiederholt bestätigt; allerdings macht er die Aufnahme weiterer Komponenten davon abhängig, dass ihm die Mitarbeit eines Teams entsprechend qualifizierter Kernel-Entwickler zugesagt wird. Das Ende 2005 für diesen Zweck gegründete Open Source Automation Development Lab (OSADL) ist kontinuierlich gewachsen und vereint heute eine beträchtliche Anzahl an Industrie-Unternehmen. Die verfügbaren Mittel des OSADL werden seit einiger Zeit für die Qualitätssicherung des Echtzeit-Linux-Kernel eingesetzt. Wenn bis Ende des Jahres 2014 die in Aussicht gestellten weiteren Mitgliedschaften zustande kommen, kann OSADL ab 2015 erstmals auch Mittel für den teilweisen Aufbau des geforderten Teams bereitstellen. Um das komplette Team zu finanzieren, ist allerdings die Mithilfe einer noch größeren Community erforderlich.

Kürzlich hat sich Thomas Gleixner skeptisch zu Echtzeit-Linux geäußert und eine Verlangsamung der Entwicklung befürchtet, falls eine nachhaltige Finanzierung nicht gewährleistet werden kann. OSADL tritt dieser Befürchtung mit dem weiteren Aufbau seiner Community entgegen. Aus den Anfängen der Echtzeitfähigkeit für Mainline Linux können wir lernen, dass eine Gruppe interessierter Parteien in der Lage ist, die für eine bestimmte Branche erforderlichen Linux-Technologien zu entwickeln, die dann tatsächlich in den Mainline Kernel einfließen, wodurch diese langfristig und nachhaltig bereitgestellt werden. Wenn man dieses Modell für die aktuelle Situation übersetzt, bedeutet dies, dass die große Anzahl an industriellen Linux-Nutzern sich ebenfalls verstärkt am Aufbau eines entsprechenden Ökosystems beteiligen sollte, damit die noch fehlenden Echtzeit-Komponenten komplett integriert werden und die nachhaltige Pflege der Echtzeiteigenschaften im Hauptentwicklungszweig des Linux Kernel gesichert ist.

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