Ein weiterer Kritikpunkt zu TTIP ist das Investitionsschutzabkommen, das vorsieht, dass Unternehmen gegen Staaten vor intransparenten Schiedsgerichten klagen können. »Diesen Weg braucht es nicht. In allen Ländern der geplanten Freihandelszone haben wir eine verlässliche Rechtsordnung«, so die Ansicht von ebm papst.
Wie ist es nun um die Harmonisierung der Standards bestellt, die ursprünglich in der Elektronik-Industrie viele Erwartungen geweckt hat? »Die Harmonisierung von Standards ist bestenfalls zum Scheitern verurteilt, schlechtestenfalls eröffnet sie den US-Firmen einen einfachen Zugang zum europäischen Markt, ohne dass sich etwas für den Export EU nach USA vereinfacht«, unterstreicht Guido Körber, geschäftsführende Gesellschafter des Hard- und Softwareunternehmens Code Mercenaries. »Der Grund dafür ist, dass der Großteil der nicht harmonisierten Standards nicht der Kontrolle der US-Regierung unterliegt.« Daher können sie nicht durch einen Vertrag mit der US-Regierung verhandelt werden. In den USA liegen viele Standards in der Kontrolle der Bundesstaaten oder im privatrechtlichen Bereich, etwa das Thema UL. »Ich saß im letzten Jahr bei einem Roundtable mit dem US-Verhandlungsführer Bryant Trick zusammen, der für das Thema „Regulatory Issues“ zuständig ist. Auf die Fragen, wie denn die diversen Standards harmonisiert werden sollen, wo doch die Kontrolle nicht bei der US-Regierung liegt, antwortete er letztlich: „Everything we negotiate applies only to federal USA. For the states we hope for a trickle down effect”«, berichtet Körber.
Abgesehen davon bleibt die Frage, wie eine Verhandlungsdelegation nun im Ad-hoc-Verfahren über technische Standards entscheiden und diese kompatibel machen will. »In Europa nahmen die Harmonisierung und Umsetzung mehr als zehn Jahre in Anspruch, weil die Auswirkungen zu teilweise deutlichen Änderungen von Produkten mit all den notwendigen Investitionen geführt haben. Vor allem sind auch die Fragen der Produkthaftung und Rechtsicherheit zu klären, z.B. bei Schadensfällen während der Übergangszeit«, gibt der Sprecher von ebm papst zu bedenken. Ein großer Unterschied zwischen USA- und EU-Regulierungen ist beispielsweise das Gesetz über gefährliche Chemikalien – REACH. »In der EU gibt es über 200 verbotene Chemikalien in Elektronik-Produkten. Für Kosmetikprodukte gibt es sogar 1200 verbotene Stoffe. In den USA hingegen sind nur zwölf chemische Stoffe in Kosmetikprodukten verboten«, erklärt Steve Roberts, Technical Director von Recom Engineering.
UL soll europäische Prüfergebnisse anerkennen
Wolfgang Reichelt, Managing Director CEO von Block Transformatoren-Elektronik, beeinflusst selbst nationale und internationale Normen als Obmann in Deutschland und Sekretär bei IEC. Er ist nicht gegen TTIP, sieht aber auch keine Möglichkeit, die unterschiedlichen Normen schnell anzupassen. Seine wichtigste Forderung geht in Richtung UL: »Wir fordern, dass UL die Prüfergebnisse der Europäischen Prüfstellen anerkennt, damit wir von den hohen Prüfkosten herunter kommen.« Die Situation um UL in den USA ist paradox: UL ist eine privatwirtschaftliche US-amerikanische Institution und eine Marktmacht, die Standards setzt und zertifiziert. Beides ist dort miteinander eng verwoben. Lange Zeit gab es in den USA keine anderen Zertfitizierer, inzwischen dürfen auch andere Institute in den USA nach UL zertifizieren. »Weil UL eine Privat-Organisation ist, muss sie internationale Standards wie IEC nicht akzeptieren, also schafft sie immer ihre eigene Versionen«, so Roberts. Die UL-Zertifizierung ist zwar nicht gesetzlich vorgeschrieben, weil sie ja keine IEC-Norm ist, sondern freiwillig. »Sie wird aber von vielen Kunden verlangt, weil sie die Gefahr von Haftungklagen verringert. Ich hoffe, dass TÜV oder GS künftig in den USA genauso zählen wie UL und dass die Amerikaner ihr Haftungsrecht abmildern. Aber entscheidend ist letztlich nicht, was gilt, sondern dass man weiß, was gilt«, so Hansen.
Klaus-Dieter Walter bezeichnet UL-Zertifizierungen daher mit Recht »als Lizenz zum Gelddrucken«. So musste SSV bei den letzten Zertifizierungen an den Produkten selbst und den Prozessen nichts verändern, trotzdem verursachten Zertifizierung und Fertigungsstätten-Audits relativ hohe Kosten, die die Wettbewerbsfähigkeit schwächen. »Wenn durch TTIP nicht gewährleistet wird, dass ein in der EU zugelassenes Mikroelektronikprodukt (CE, elektrische Sicherheit) ohne weitere Zulassungen legal in den USA vermarktet werden darf, ist TTIP zumindest für viele deutsche KMUs nutzlos«, betont Walter. »Umgekehrt muss man sich eigentlich mal fragen, warum es in der EU keine vergleichbaren Hürden für US-Unternehmen gibt. Weil CE ein Herstellerzertifikat ist, entstehen einem US-Unternehmen praktisch keine Zusatzkosten durch Zertifizierungen und Zulassungen bei der Vermarktung eines vergleichbaren Produktes in der EU.«
Für Leistunngselektronik-Produkte hingegen gibt es laut Thomas Grasshoff, Head of Strategic Marketing von Semikron, in Europa gar keine vergleichbaren Tests, wie von UL durchgeführt. »Deshalb werden die UL-Listings für Materialien und Isolationsanforderungen wahrscheinlich bestehen bleiben. TÜV- und CE-Zertifizierung gibt es für unsere Produkte nicht und damit auch keine doppelten Zertifizierungen.«