Der Unterschied zwischen Signalintegrität und EMV beim Leiterplattenentwurf

Kriterien für schnelle Boards

1. Dezember 2006, 16:03 Uhr | Dirk Müller
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Fortsetzung des Artikels von Teil 1

Was ist Power Integrity (PI)?

Unter Integrität der Versorgungsspannung versteht man die Qualität der Stromversorgung. Die Stromversorgung sollte so ausgelegt sein, dass immer genügend Energie zur Verfügung steht, um die Versorgungsspannungen stabil zu halten. Wenn ein großer Verbraucher sehr schnell schaltet, wird viel Ladung benötigt. Das kann dazu führen, dass die Versorgungsspannung lokal zusammenbricht und die Funktion anderer Bausteine beeinflusst.

Ein Schaltnetzteil kann nur mit seiner Schaltfrequenz – ca. einige 100 kHz – elektrische Ladung zur Verfügung stellen. Um auch in Hochgeschwindigkeits-Schaltungen genügend Ladung vorzuhalten, werden Abblock-/Stützkondensatoren eingesetzt. Jeder reale Kondensator hat eine Resonanzfrequenz, bei der er seine gespeicherte Ladung am besten abgeben kann. Je höher diese Resonanzfrequenz (Bild 3) ist, desto kleiner wird der Wirkungskreis des Kondensators, der Abstand zum Verbraucher. Diese beiden Einflüsse sind für die Platzierung von Abblockkondensatoren maßgebend. So ist die Platzierung eines Elektrolytkondensators mit einem Wirkungsradius von 30 cm bis 70 cm nicht kritisch. Wenn dagegen Keramikkondensatoren mit einer Resonanzfrequenz bis zu 800 MHz platziert werden, ist ein Wirkungsradius von max. 0,5 bis 1 cm für die Platzierung von erheblicher Bedeutung. Dies führt zu Design-Regeln, bei denen je ein Kondensator pro Versorgungsspannungsanschluss eines FPGAs oder Prozessors platziert werden muss. Sollen Frequenzen mit mehr als 800 MHz abgeblockt werden, kann dies nicht mehr mit Kondensatoren als Bauteil erfolgen. Stattdessen eignet sich ein Plattenkondensator in der Leiterplatte, gebildet aus einer Versorgungsspannungs- und einer Masse-Lage (embedded capacity) mit sehr geringem Abstand, z.B. 100 µm.

PI-Simulationsprogramme wie z.B. Allegro PI von Cadence helfen bei der richtigen Wahl und Anzahl der Kondensatoren. In der Simulation lassen sich die Stabilität des Versorgungssystems darstellen und die Wirkungsradien der jeweiligen Kondensatoren anzeigen. Ziel ist es, die Qualität der Stromversorgung sicherzustellen, damit bei gleichzeitigem Schalten von Bauteilen die Funktion der Schaltung gewährleistet werden kann (Simultaneous Switching Noise, SSN). Die Abblockkondensatoren lassen sich so optimieren, dass überflüssige Kondensatoren eingespart und damit auch die Kosten pro Baugruppe reduziert werden.

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Bild 2: Simulierte Signalübertragung zwischen zwei Spartan-FPGAs von Xilinx als Sender (hellblaue Kurve) und Empfänger (graue Kurve) mit einer Leiterbahnlänge von 10 cm bei einer Impedanz von 56 Ohm.

Was ist elektromagnetische Verträglichkeit (EMV)?

Bei der elektromagnetischen Verträglichkeit betrachtet man nicht die Qualität eines Signals, wie es vom Empfänger gesehen wird, sondern es geht vielmehr um die Wechselwirkung der gesamten Schaltung. In der ersten EMV-Simulation wird üblicherweise nur die Geometrie der Leiterplatte betrachtet. Denn schon alleine Form und Größe einer Leiterkarte, unabhängig von deren Bestückung oder Entflechtung, haben entscheidenden Einfluss auf die EMV. Die gesamte Karte wird mit verschiedenen Frequenzen angeregt und zum Schwingen gebracht. An so genannten Resonanzfrequenzen gerät die Karte in große Eigenschwingungen. Dies ist vergleichbar mit der Auslegung von Antennen – durch Form und Größe einer Antenne verändert sich das Abstrahl- und Empfangsverhalten. Wenn also bekannt ist, dass viele Signale auf der Leiterplatte mit z.B. 100 MHz übertragen werden und die Leiterplatte eine Resonanzfrequenz bei ebenfalls 100 MHz hat, dann ist vorhersagbar, dass diese Baugruppe mit Sicherheit später EMV-Probleme bereiten wird. Schon sehr früh im Entwicklungsstadium lassen sich dann Form oder Größe der Leiterplatte bzw. deren Kupferflächen verändern und so die Resonanzfrequenz in einen Bereich verschieben, der nicht so schädlich ist.

Die zweite Analyse der EMV ist das so genannte Nahfeld. Hier werden die Einflüsse von nicht idealen Stromversorgungs- und Masse-Lagen untersucht. Jedes Signal hat immer einen Rückstrompfad. Dabei wählt der Strom stets den Weg des geringsten Widerstands, was bei hohen Frequenzen den Weg der geringsten Impedanz darstellt. Ist der Weg für den Rückstrompfad durch einen Schlitz unterbrochen, so teilt sich der Strom auf und fließt um die Unterbrechung herum. Mit Hilfe von Simulationens-Software wie z.B. PCBMod von SimLab [2] lassen sich solche kritischen Stellen in den Versorgungslagen lokalisieren (Bild 4) und ggf. durch Änderungen der Signalführung oder durch andere Formen der Ausschnitte in den Versorgungslagen entschärfen.

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Bild 3: Nur der "Flächenkondensator" aus Versorgungsspannungs- und Masse-Lage in der Leiterplatte ist schnell genug, um als Stützkondensator im GHz-Bereich zu arbeiten.

Wo ist der Unterschied?

Der Unterschied zwischen SI, PI und EMV ist, dass bei der Signalintegritätsanalyse egoistisch die Auswirkungen auf ein Signal betrachtet werden, PI dagegen betrachtet das Gesamtsystem. EMV geht noch einen Schritt weiter, indem die Wechselwirkung nach innen und außen berücksichtigt wird. Auf die Frage, was denn wichtiger sei, kann nur geantwortet werden, dass alle drei Aspekte die Qualität der Baugruppe beeinflussen.

Wichtig ist, dass die Erkenntnisse aus den verschiedenen Simulationen so früh wie möglich im Design-Prozess eingearbeitet und in Form von Design-Regeln in einem so genannten Constraint Manager verwaltet werden. Nur so lassen sich beim Entflechten Verstöße gegen diese komplexen Zusammenhänge anzeigen.

Literatur

[1] www.cadence.com/products/si_pk_bd/index.aspx
[2] www.simlab.de
[3] www.flowcad.de

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Bild 4: Das Simulationsergebnis einer 30 cm langen Leiterbahn bei 1,25 GHz zeigt die Stromdichte-Verteilung entlang der Leiterbahn (rot = maximal, dunkelblau = minimal).

Dipl.-Ing. Dirk Müller wurde in Bremen geboren und studierte an der FH Emden Elektrotechnik mit der Vertiefungsrichtung Technische Informatik. Seit 2001 ist er für den Vertrieb von Cadence-PCB-Layout- und Simulations-Software verantwortlich. Im November 2003 gründete er zusammen mit weiteren Cadence-Mitarbeitern in München die FlowCAD EDA-Software Vertriebs GmbH, die er als Geschäftsführer leitet.
dirk.mueller@flowcad.de


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