Entwickeln die Kunden überhaupt noch so viel selbst? Geht der Trend nicht eher dahin, immer mehr fertige Subsysteme zu integrieren und das Hardware-Design einigen wenigen Spezialisten zu überlassen?
Doherty: Das kommt auf den Grad der Komplexität an. Intel hat uns schon vor 12 Jahren gesagt: Wenn jemand sein eigenes Board entwickeln will, dann könnt ihr ihn gerne beliefern, aber im Grunde genommen ist das Zeitverschwendung, ihr müsst mit dem Mainboard als Building Block anfangen. Intel ist natürlich ein Extrembeispiel, aber inzwischen beobachten wir diesen Trend auch im Hochfrequenzbereich bei den ganzen Funkmodulen. Oder nehmen sie Hochleistungs-LEDs: alle waren davon begeistert wie hell diese LEDs sind, aber niemand wusste, wie man sie in ein Leuchtendesign integriert. Wir haben dann teils mit eigenen Ressourcen, teils mit Partnerfirmen angefangen, uns um das Ökosystem zu kümmern: die Stromversorgung, die Kühlung, die Optik – und so konnten wir den Kunden eine Lösung anbieten. Genauso spielt sich das in anderen Bereich ab. Wir bieten die einzelnen Komponenten an, aber auch einsatzfertige Entwicklungsboards oder ganze Module, die in das Seriendesign übernommen werden können. Das lohnt besonders für die vielen kleineren Kunden, die niemals die Stückzahlen erreichen würden, bei denen sich ein Design auf Komponentenebene rechnen würde.
Genauso kann man solche Module als downloadbare Blöcke für die EDA-Tools anbieten. Dann ist der Ingenieur in der Lage, auch noch eigene Vorstellungen zu verwirklichen, z.B. ein Interface zu ändern – und trotzdem können wir seinen Aufwand um 80 Prozent reduzieren. Das ist ein ganz elementarer Bestandteil unserer Arbeit: Die Kunden wollen nicht nur Komponenten und Datenblätter. Sie wollen wissen, welche Komponenten gut zusammenpassen, was sich bewährt hat, sie wollen das Rad nicht neu erfinden. Diese Entwicklung und die zunehmende Integration schreiten immer stärker voran.
Als nächsten Schritt sehe ich dabei auch die Integration der Software kommen. Wir Distributoren werden auch immer mehr Software anbieten. Einige Mikrocontroller-Hersteller verlangen schon jetzt von uns, dass wir Software-Produkte in unser Inventar aufnehmen, genauso wie das bisher bei den physischen Produkten der Fall war – nur dass der Kunde das Produkt dann herunterladen kann.
Im Internet kann der Kunde mit jeder Bestellung zu einem neuen Händler wechseln. Was unternehmen Sie, um ihre Kunden bei der Stange zu halten?
Doherty: Natürlich gibt es technische Entwicklungen, die diese Dynamik immer wieder antreiben. Aber es gibt auch Sachen, die sich nicht verändern und die für das Geschäft sehr wichtig sind und dazu zählt Vertrauen. Was sich ändert, ist das Medium, über das Vertrauen übermittelt wird. Wir haben zwar keine große externe Verkaufsorganisation, aber ich wage mal zu behaupten, dass die meisten Kunden uns vertrauen. Sie vertrauen den Informationen, die wir bereitstellen, sie vertrauen den Produkten, die wir in unser Liefersortiment aufgenommen haben, sie vertrauen darauf, dass wir genügend Inventar auf Lager haben, wenn sie uns in ihre Lieferkette aufnehmen. Unser deutliches Bekenntnis zu einer ausgiebigen Lagerhaltung gibt vielen Kunden die Gewissheit, dass sie auch bei unvorhergesehenem Bedarf schnell von uns beliefert werden.
Ist es weiterhin Ihre Strategie, alle Kunden weltweit aus ihrem Zentrallager im mittleren Westen der USA zu beliefern, oder planen sie, auch lokale Logistikzentren zu eröffnen?
Doherty: Diese Frage diskutieren wir immer wieder, und bisher sind wir immer zum gleichen Ergebnis gekommen: Der Nachteil mehrerer Standorte wäre, dass wir unser Angebot verkleinern müssten. Ich glaube, das wäre nicht das, was unsere Kunden wollen. Wir haben 1,2 Millionen Artikelnummern unter einem Dach ab Lager. Vor drei Jahren waren es noch 600.000. So ein Wachstum, das kann man nur an einem Ort verwalten. Für unsere Kunden sind die Auswahl, die Breite des Angebots und die Verfügbarkeit am wichtigsten. Das sind ja nicht nur Nummern, das ist unser Lagerbestand. Die Ware ist 48 bis 72 Stunden nach der Bestellung beim Kunden.
Natürlich gibt es Fälle, wo das schneller gehen muss: zum Beispiel wenn ein Computer oder ein Kopierer ausfällt. Aber für diese sehr speziellen Fälle gibt es Firmen, die das mit hunderten von Standorten weltweit abdecken. Dafür ist dann ein wesentlich kleineres Produktsortiment nötig als wir es haben.
Unser jetziges Konzept gibt uns die nötige Flexibilität, auf verschiedenste Kundenanforderungen zu reagieren, denn auch die Kunden müssen ja immer flexibler werden. Sie entwickeln die Produkte in Deutschland, benötigen hier eine kleine Menge von Samples, dann haben sie vielleicht eine kleinere Fertigungslinie in Ungarn und verlegen später die Herstellung großer Stückzahlen nach Asien. Für uns bedeutet das, dass wir nur die Lieferadresse ändern müssen, anstatt irgendwo Lagerbestände auf- oder abzubauen.
Dave Doherty
kann auf mehr als 30 Jahre Erfahrung zurückblicken. Mit Abschlüssen als BSEE vom Worcester Polytechnic Institute (Massachusetts) und einem MBA vom Babson College in Wellesley, Mass. begann er seine berufliche Laufbahn bei der Digitial Equipment Corp. Führungspositionen im Vertrieb bei Toshiba und Exar schlossen sich an. Später wurde er Vice President Semiconductor and Product Marketing bei Arrow Electronics. 2008 wechselte er zu Digi-Key, war Executive Vice President Global Operations und wurde im Juli 2015 zum President und COO von Digi-Key ernannt.