Die erste Überlegung beim Umgang mit hoher Spannung ist die räumliche Dimension. Die Bauteile sind groß, die Leiter müssen vergleichsweise hohe Abstände zueinander haben. Dabei sind zwei Kenngrößen unbedingt zu beachten – Kriechstrecke und Luftstrecke.
- Die Kriechstrecke ist die Distanz, die ein Lichtbogen über eine Oberfläche zurückzulegen vermag – etwa zwischen zwei Leiterbahnen oder über die Oberfläche eines Verbindungselements oder IC.
- Die Luftstrecke ist die Distanz, die ein Lichtbogen durch die Luft zurücklegen kann – etwa von einem Pin des Verbinders oder IC zum nächsten.
Die Anforderungen an Kriech- und Luftstrecken hängen von der Spitzenspannung ab, und diese beträgt bei einem sinusförmigen Wechselstrom das 1,4-fache des Effektivwerts. Dazu kommt ein erheblicher Sicherheitsfaktor. Es wäre zu schön, wenn man Luftstrecke und Kriechstrecke passend zu jeder Spannung einfach so angeben könnte. Das kann man aber leider nicht, weil diese Werte von vielerlei Faktoren abhängen.
- Geht es dabei um potenzielle Lebensgefahr oder nur um einen Geräteausfall? Die entsprechenden Vorschriften unterscheiden sich von Land zu Land.
- Die Anwendung an sich: Geht es also um ein wissenschaftliches, industrielles oder medizinisches Gerät – oder sogar um ein Konsumgerät?
- Geplanter Einsatzort (Meereshöhe und Luftfeuchtigkeit). Trockene Luft auf Meereshöhe hat eine Durchschlagfestigkeit von etwa 4 kV/cm oder 10 kV/Zoll.
- Beschaffenheit der Oberfläche: Leiterplattenmaterial, Beschichtung (so vorhanden), mögliche Verschmutzung der Oberfläche verschiedenster Art
Es macht somit erhebliche Mühe, die erforderlichen Mindestabstände für einen konkreten Anwendungsfall zu ermitteln. Möglicherweise muss man einen erfahrenen Berater hinzuziehen – speziell dann, wenn das zu entwickelnde Produkt vor Herstellung und Verkauf eine formale amtliche Zulassung braucht.
Wie sieht es mit passiven Bauteilen aus?
Bei Entwicklungen für Kleinspannungen braucht man sich um die Spannungsfestigkeit passiver Bauteile – ob nun Widerstände, Kondensatoren oder Spulen in diskret aufgebauten Schaltungen oder Außenbeschaltungen von ICs – meistens nicht zu kümmern. Trotz alledem sind diese Bauteile für eine bestimmte Maximalspannung spezifiziert. Oberhalb dieser Spannung kann es sein, dass das Bauteil nicht mehr nach Spezifikation funktioniert, es still und leise immer schlechter arbeitet oder mit einem Knall sein Leben aushaucht.
Ein Elko könnte beispielsweise mit „10 µF/15 V (DC)“ angegeben sein; das Bauteil sollte dann niemals mit einer höheren Spannung als 15 V (DC) beaufschlagt werden. Wie lange das Bauteil eine Überspannung aushält, hängt – außer von der Höhe der Überspannung – auch vom Fabrikat ab. Eine Überspannung kann das Bauteil binnen Millisekunden zerstören; es kann die Überspannung aber auch einige Minuten aushalten. Sofern die Antwort auf diese Frage wichtig ist, muss der Entwicklungsingenieur das Datenblatt im Detail studieren. Beaufschlagt man den genannten Elko mit 100 V, so entsteht vermutlich intern ein Lichtbogen zwischen den Kondensatorplatten, der sie kurzschließt und die Speicherfunktion zerstört. Die meisten Entwicklungsingenieure arbeiten deshalb mit einem Sicherheitsfaktor von 2 oder 3. Sie würden also in einer Schaltung für 1000 V Betriebsspannung passive Bauteile einsetzen, die für 2000 oder 3000 V spezifiziert sind.
Der umspritzte radiale Multilayer-SXP-Kondensator von AVX beispielsweise (Bild 2) ist bei Mouser Electronics in verschiedenen Spannungsklassen bis hinauf zu 3000 V verfügbar. Die größte Baureihe der Familie, SXP4, bietet Kapazitätswerte von 100 bis 2200 pF. Sie misst 22,4 × 16,3 × 5,84 mm³, die Anschlüsse haben einen Abstand von 19,8 mm zueinander.