Bei Fahrzeugsteuerungs-Subsystemen lässt sich mittels Virtualisierung die Komplexität von Plattformsoftware reduzieren. Der Einsatz von FACE stellt eine Möglichkeit dar, um dies zu erreichen.
Fast jeder empfindet die Corona-Pandemie als eine disruptive Zeit. Die Automobilindustrie ist jedoch schon seit einiger Zeit von Disruptionen betroffen, wobei die wichtigsten sind:
➔Eine Verlagerung von menschlicher Steuerung hin zu autonomen Plattformen
➔ Eine Verlagerung von benzin- und dieselbetriebenen Motoren hin zu elektrischen Antrieben
➔ Eine Verlagerung der Wertschöpfung durch Hardware zur Wertschöpfung durch Software
Hinzu kommen allerlei Störungen in der Lieferkette durch politische Einflüsse wie die Spannungen zwischen China und Amerika, die hohe Anzahl an Übernahmen in der Soft- und Hardwareindustrie und nicht zuletzt der aktuelle Chipmangel. Es lässt sich schwer vorhersagen, welche der unzähligen Halbleiter-Start-ups, die sich auf Halbleiterkomponenten für KI-Anwendungen konzentrieren, erfolgreich überleben werden.
Wie kann die Automobilindustrie angesichts dieses hochkreativen aber chaotischen Umfelds die Kontrolle über ihre Wertschöpfungskette behalten? Einige Unternehmen wie Tesla haben begonnen, ihre eigenen System-on-Chip-Komponenten zu entwickeln, um eine gewisse Kontrolle über ihre Wertschöpfungskette auszuüben, und vermutlich werden andere diesem Beispiel folgen. Nicht jeder kann sich allerdings die dafür notwendigen Investitionen leisten. Jedoch kann die Automobilindustrie von den Entwicklern militärischer Systeme lernen. Denn mittels Technologien wie Virtualisierung lässt sich das Systemdesign erheblich vereinfachen.
Die Entwicklung von System-on-Chip-Komponenten ist eine unglaublich teure Investition. Sie erfordert Fähigkeiten, die den meisten Automobilherstellern fehlen. Die Auslagerung der Chipentwicklung an ein spezialisiertes Designhaus kann helfen. Trotzdem benötigt der Automobilhersteller genug Know-how, um eine System-architektur umfassend zu definieren, die sowohl für das Hier und Jetzt als auch für die gesamte Nutzungsdauer des Fahrzeugs überzeugend ist. Daneben muss er ausreichend Volumen fahren, um die Kosten zu rechtfertigen.
Viele Unternehmen, die Produkte in geringeren Stückzahlen herstellen, wie zum Beispiel autonome Ride-Sharing-Plattformen (für autonome Shuttle-Busse) und Lkw-Hersteller, werden auf Standardplattformen zurückgreifen müssen. Dabei ist es entscheidend, eine Strategie zu entwickeln, damit das Unternehmen nicht an einen bestimmten Anbieter gebunden ist.
Toyotas kürzliche Einführung von apex.os basiert mutmaßlich zum Teil auf dem Wunsch, weg von proprietärer Technologie hin zu einem Open-Source-Produkt zu migrieren (Robot Operating Systems, ROS). Abstrahiert man dies auf eine höhere Ebene, so wollen Kunden heute eine Plattform mit einer konsistenten, gut definierten und unterstützten API, die es dem Programmierer ermöglicht, Anwendungen zu erstellen, ohne dass er sich um die Minutien des Low-Level-Systems kümmern muss.
Die Automobilindustrie macht sich auf denselben Weg, den die Entwickler von militärischen Systemen schon seit einiger Zeit beschreiten. Dafür können sie einige der bereits gewonnenen Erkenntnisse nutzen, ehe sie mit Lösungen für ihre spezifischen Herausforderungen weitermachen.
Einst basierten die militärischen Systeme auf proprietären Anwendungen, Middleware, Betriebssystemen oder Hardware. Daraus ergaben sich Probleme wie lange Vorlaufzeiten, hohe Kosten und wenig Möglichkeiten zur Wiederverwendung vorhandener Technologien. Die Ausschreibung von Systemänderungen war unmöglich, da die einzigen Lieferanten, die Änderungen vornehmen konnten, die Lieferanten des ursprünglichen Systems waren. Das FACE Consortium (Future Airborne Capability Environment), eine Partnerschaft zwischen Industriezulieferern, Regierungsexperten, Akademikern und Kunden, wurde gegründet, um diese Herausforderungen anzugehen.
Ansätze zur Standardisierung der Verwendung offener Standards innerhalb militärischer Avioniksysteme versprachen, die Implementierungskosten zu senken, die Entwicklung zu beschleunigen, eine robuste Architektur und eine durchgängig hochwertige Softwareimplementierung zu gewährleisten und die Möglichkeiten der Wiederverwendung zu maximieren. Die US-Militärindustrie verwendete FACE, um verbindliche onformitätsanforderungen für missionskritische Systemsoftware für fast jedes anwendbare Militärprogramm festzulegen.
Obwohl FACE alle Aspekte des Softwareentwurfs für taktische Missionssysteme (Kommunikation, Flugsteuerung, Flugkarte und -planung, Cockpit-Displays usw.) adressiert und leitet, bestehen in der Welt der Fahrzeugsteuerung Vorbehalte gegenüber der Einführung von FACE. Die Notwendigkeit, sicherheitskritische Steuerungssysteme in harter Echtzeit zu liefern, hat Bedenken hinsichtlich der technischen Machbarkeit aufgeworfen, die durch die Komplexität des FACE Multicore Operating System Segment (OSS) behindert wird.
Den jüngsten Erfahrungen bei der Arbeit mit Fahrzeugsteuerungsprojekten nach, insbesondere solchen, die auf Multicore-Prozessoren basieren, hat sich die CPU-Virtualisierung als ein leistungsfähiges Werkzeug erwiesen. Dieses kann Betriebssysteme bei der Lösung von Integrationskonflikten zwischen Software- komponenten mit Plattformanforderungen ergänzen, die sich in Bezug auf API-Kompatibilität und architektonische Annahmen stark unterscheiden (Bild 1).
FACE sieht Virtualisierung in erster Linie als Tool zur Hardwarekonsolidierung. Aber je weiter die Entwicklung unbemannter Fahrzeuge voranschreitet, desto zwingender wird die Notwendigkeit, die Fahrzeugsteuerung und die Missionssystemberechnungen zu integrieren – und desto größer werden gleichzeitig die Bedenken. Angesichts ihrer Fähigkeit, die Kernprinzipien von FACE zu erfüllen, bei denen eine harte Echtzeitsteuerung unerlässlich ist, verdient die Virtualisierung weitere Beachtung.