Welche Vorteile erwarten Sie durch den Einsatz des IP im Fahrzeug?
Steinberg: IP ist ein industrieweiter Standard, und auf der Grundlage von IP haben sich zahlreiche weitere Standards etabliert, die den speziellen Anforderungen verschiedenster Anwendungsbereiche genügen. So gibt es z.B. eine Reihe von Protokollen, die auf der Basis von IP praktisch alle erdenklichen Dienste realisieren: TCP und UDP für Basisdienste, HTTP für das World Wide Web, VoIP und SIP für Telefonie, RTP für Multimediaströme, NFS und FTP für Dateizugriffe, SMTP für E-Mails oder UPnP für die Vernetzung von Unterhaltungselektronik.
Darüber hinaus können die grundlegenden Übertragungstechnologien wie z.B. Ethernet (optisch oder elektrisch), WLAN oder Ultrawideband ausgetauscht werden, ohne dass grundsätzliche Änderungen oder Anpassungen an der Anwendungs-Software durchgeführt werden müssen. Auch bei der Entwicklungsinfrastruktur gibt es eine Reihe von Vorteilen, wie z.B. ein vielfältiges und differenziertes Angebot an Werkzeugen. Hinzu kommt, dass bei der Entwicklung von IP-basierten Komponenten auf eine große Wissensbasis zurückgegriffen werden kann und bereits viele Software-Entwickler mit der Technologie vertraut sind.
In welchem Verhältnis steht „IP over FlexRay“ zu Ihrer Vision „Ethernet als alleiniger Fahrzeugbus“?
Steinberg: Wir sehen auch in Zukunft nicht zwingend Ethernet als alleinigen Fahrzeugbus. Unsere Vision ist die von IP als alleiniges und übergreifendes Protokoll. Bussysteme wie FlexRay sind speziell für Felder wie die Fahrwerks- oder Antriebselektronik entwickelt worden und erfüllen deren Anforderungen aktuell perfekt. Ganz abgesehen davon, dass wir in der Zwischenzeit Migrationsszenarien darstellen müssen.
IP und FlexRay sind dabei genauso wenig widersprüchlich wie IP und Ethernet. Wie ich schon vorhin aufgezeigt habe, sehen wir IP als die wesentliche Konvergenzschicht an. Mit FlexRay haben wir einen automotive-zertifizierten Bus im Fahrzeug, der als Träger für das Internet-Protokoll sehr gut genutzt werden kann. Je nach Anforderung, z.B. an die Datenrate, kann das am besten geeignete Übertragungsmedium mit IP eingesetzt werden.
Kann das IP auch für sicherheitskritische Systeme eingesetzt werden?
Steinberg: Ja, wir sehen auch das Potential, IP im Bereich der Echtzeit-Kommunikation einzusetzen. Um dieses Ziel zu erreichen, werden Mechanismen benötigt, die geringe Latenzzeiten für den zeitkritischen Datenverkehr garantieren können.
Der Trend, IP- und Ethernet-basierte Kommunikationssysteme auch für die Echtzeit-Kommunikation zu nutzen, hat sich übrigens auch in anderen Branchen wie der Luftfahrtindustrie oder Automatisierungstechnik etabliert. Mittlerweile ist hierfür eine Vielzahl kommerzieller Lösungen wie beispielsweise AFDX, EtherCat, Ethernet Powerlink oder Profinet verfügbar. Wir analysieren diese Entwicklungen sehr genau und interpretieren das für die Fahrzeugumgebung.
Gibt es Anwendungen, die sich nicht für IP eignen?
Steinberg: Aus technologischer Sicht sehe ich da keine Einschränkungen. Allerdings ist immer unter Kosten- und Optimierungsgesichtspunkten zu prüfen, ob z.B. ein Low-Cost-Steuergerät, das über den LIN-Bus angebunden ist, noch mit einem zusätzlichen IP-Protokoll ausgestattet werden soll.
Welche Punkte sprechen derzeit gegen einen Einsatz von IP im Fahrzeug?
Steinberg: Bereits heute gibt es IP im Fahrzeug. Das zentrale Gateway im aktuellen BMW 7er beispielsweise ist bereits mit einem IP-/Ethernet-Anschluss ausgerüstet. Wir gehen davon aus, dass IP schrittweise in das Fahrzeug eingeführt wird und sich in Zukunft in immer mehr Anwendungsdomänen etabliert. Auch zukünftige MOST-Varianten werden das IP-Protokoll implementiert haben.
Bis wann ist mit einer Serienreife zu rechnen?
Steinberg: Noch befinden wir uns mitten in der Forschung. Und natürlich würde eine Serienentwicklung eine schrittweise Einführung voraussetzen. Wir sprechen also über einen größeren Zeithorizont, bis unsere Vision Wirklichkeit wird. Erste Bausteine wird es vielleicht aber schon in den nächsten Jahren geben.
Das Interview führte Stephan Janouch