Audi-Chefelektroniker Dr. Schleuter zieht sich aus dem operativen Geschäft zurück

Der Vernetzer

10. Dezember 2008, 10:28 Uhr |
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Gab es beim A8 für Sie ein Lieblingsthema?


Dr. Schleuter: Mein Herzblut hängt natürlich am gesamten System, aber auch speziell am MMI und den Infotainment-Umfängen. Die Infotainment-Software umfasst etwa die Hälfte der gesamten Fahrzeug-Software, demzufolge gab es dort die größten Herausforderungen. Diese in Zusammenarbeit mit unseren Zulieferern zu bestehen, bescherte uns das größte Glücksgefühl.


Dr. Schleuter: Es gab Kleinigkeiten, die man im Nachhinein vielleicht ändern würde, aber richtig große Fehler gab es nicht. Das liegt aber sicher auch an unserem Arbeitsstil. Unsere Entscheidungen wurden und werden nicht cheforientiert aus dem Elfenbeinturm heraus getroffen, sondern waren eng mit der Mannschaft abgestimmt. Es gab viele Beteiligte, die ihre berechtigten Stimmen hatten und uns so halfen, zur richtigen Entscheidung zu kommen. 1997 habe ich deshalb einige Leitsätze geprägt: Effizienz, d.h. die Dinge richtig zu tun. Als Steigerung dann: Effektivität, d.h. die richtigen Dinge tun, und als weitere Steigerung: Begeisterung und Leidenschaft, d.h. Energie bei den Mitarbeitern freisetzen. Unser Erfolgsschlüssel war die Beteiligung der Mitarbeiter an den Entscheidungen. Diese können Hinweise geben, wenn etwas nicht optimal läuft. Das ist speziell unsere ungewöhnliche Stärke, die so bei anderen nicht zu finden ist. Und darauf bin ich stolz. Wir haben uns von einer hierarchischen zu einer Netzwerk-Organisation gewandelt. Darin ist jeder Einzelne viel stärker gefordert, sich aktiv zu beteiligen. Unsere Mitarbeiter sind dadurch eher stärker belastet als in anderen Unternehmen, können aber gleichzeitig stolz auf die Teile sein, für die sie selbst verantwortlich sind.

Was ist die Quintessenz Ihrer langjährigen Entwicklungserfahrung?
Dr. Schleuter: Eine meiner Maximen ist: Komplexe Technologien zu beherrschen bedeutet „Vernetzen von Menschen und Systemen“. Man kann versuchen, alles rechnergestützt zu erledigen, aber wenn die Menschen mit ihrer Seele nicht dabei sind, wird alles schwieriger. Sie und ihre Begeisterung sind der Katalysator, um Dinge schneller und effektiver zu machen und auch zu hinterfragen. In vielen Fällen reicht es, Checklisten abzuarbeiten, aber oft hilft es mehr, Menschen einzubinden und ihnen und ihrer Kreativität Freiräume zu lassen. Zudem ist es wichtig, neue Mitarbeiter äußerst schnell in das bestehende Team zu integrieren. Letzteres wurde zu einer unserer Kernkompetenzen.

Was sind im Elektronik-Bereich für Sie die aktuellen Themen?
Dr. Schleuter: Wir sind Qualitätsfanatiker. Für uns zählt, was beim Endkunden ankommt. Unter Qualitätsgesichtspunkten spielt Re-use eine große Rolle. Unsere Architektur ist seit dem A8 prinzipiell bei allen Fahrzeugen gleich, auch wenn die einzelnen Busse weiterentwickelt wurden. Wir werden demnächst FlexRay einführen – damit sind wir zwar nicht Erster; bei Bussystemen muss man das aber auch nicht sein. Der Komfort-CAN wird auf 500 kbit/s erweitert und entspricht damit unserem Antriebs-CAN. Später werden wir von MOST25 auf MOST150 umsteigen – evolutionär weiterentwickelt auf der gleichen Basis. Damit verfügen wir über ein sehr gut erprobtes Gesamtsystem, das aber bereits sehr intelligente Funktionen enthält. Seit dem A8 können wir auf einfache Weise Software-Updates über eine CD und den MOST-Bus vornehmen – nicht über Werkstatt-Tester, wie bei anderen OEMs üblich. Gleichzeitig sind wir aber sehr kostengetrieben, was einer der Gründe ist, weshalb wir noch nicht auf Ethernet umgesattelt haben. MOST und FlexRay sind fester Bestandteil unserer Fahrzeugarchitektur und werden evolutionär weiterentwickelt – unter Berücksichtigung von Kostenthemen. Zudem wird die EE-Architektur konzernweit betrachtet, d.h., wir kooperieren hier sehr eng mit VW. Diese Zusammenarbeit hat sich in den letzten Jahren verstärkt und in einem „Industriebaukasten“ manifestiert. Über die entsprechenden Skaleneffekte lassen sich dadurch, auch im Elektronik-Bereich, Kosteneinsparungen erzielen, die u.a. auch für die gute finanzielle Situation des VW-Konzerns verantwortlich sind.

Wie realistisch sehen Sie die Einführung von By-wire-Systemen in näherer Zukunft?
Dr. Schleuter: By-wire ist eine spannende Technologie, aber für mich sind derartige Anwendungen in größeren Stückzahlen noch nicht realistisch. Schon aus Gründen der Produkthaftung bin ich eher skeptisch. Andererseits gibt es in den USA regelmäßig Wettbewerbe, bei denen autonomes Fahren schon auf hohem Niveau gezeigt wird und an denen sich der VW-Konzern erfolgreich beteiligt hat. Eine Umsetzung der genutzten Systeme in serienreife Technik wird aber mindestens noch fünf bis zehn Jahre in Anspruch nehmen und dann auch nur langsam vonstatten gehen.

Was ist für Sie die Antriebsart der Zukunft?
Dr. Schleuter: Der Verbrennungsmotor wird sicher auch in 20 Jahren noch den größten Marktanteil haben. Beim Elektroantrieb sehe ich, und wahrscheinlich auch die meisten anderen OEMs, einen deutlichen Vorteil bei der Batterietechnik gegenüber der Brennstoffzelle. Trotzdem werden auch E-Fahrzeuge mit Batterien als Energiespeicher noch eingeschränkte Reichweiten aufweisen. Große Batterien für Reichweiten auf dem Niveau eines konventionellen Fahrzeuges sind einfach zu schwer und zu teuer. Vielleicht wird es Elektro-Stadtfahrzeuge mit mittlerer Reichweite geben und komplementär dazu Plugin-Hybride für kurze Strecken. Das ist ein spannendes Feld, nicht zuletzt durch die verschiedenen Kooperationen zwischen OEMs, Zulieferern und Batterieherstellern.

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Die Vernetzung verschiedener Bereiche, etwa Entwicklung, Produktion, Einkauf und Kundendienst, im Rahmen einer Netzwerk-Organisation ist eines der Kernelemente, auf die Dr. Schleuter den Erfolg Audis zurückführt.

  1. Der Vernetzer
  2. Gab es beim A8 für Sie ein Lieblingsthema?
  3. Wird der Elektronik-Anteil in Fahrzeugen trotzdem weiter steigen, oder ist eine Sättigung abzusehen?

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