Dr. Norbert Kuschnerus, Dr. Wolfgang Morr
Seit rund zwei Jahren versuchen einige Anbieter von Automatisierungssystemen die Wireless-Technologie mit aller Kraft in die Automatisierung von Prozessanlagen zu drücken. Die Vision der Hersteller: Die Kommunikation zwischen Feldgeräten und Prozessleitsystemen vollständig über Wireless-Netzwerke zu realisieren. Die Namur (Interessengemeinschaft Automatisierungstechnik der Prozessindustrie) reagiert bisher sehr zurückhaltend. Der Grund: Die für Anwender entscheidenden Fragen nach den Vorteilen und dem wirtschaftlichen Einsatz sind nicht ausreichend beantwortet.
Für einzelne Spezialanwendungen ist die Antwort in Bezug auf Wireless klar: Wenn die Applikation Mobilität, Flexibilität oder die Überwindung größerer Entfernungen verlangt – kurzum: wenn Drähte stören – haben Wireless-Lösungen Vorteile. Typische Beispiele sind die Kopplung eines Transportsystems, Automatisierungslösungen in Laboratorien mit häufig wechselnder Instrumentierung oder die Anbindung eines entfernten Tanklagers. Solche Spezialanwendungen werden schon seit fast zehn Jahren drahtlos instrumentiert. Diese „exotischen“ Anwendungen sind aber eindeutig nicht das große Geschäft, das sich die Anbieter von Wireless-Netzwerktechnologien versprechen.
Selbst wenn die Wireless-Technologie insgesamt einen Kostenvorteil bieten würde, ein Investor geht das Risiko einer neuen Infrastruktur nur ein, wenn deren Zuverlässigkeit nachweisbar derjenigen der traditionellen Technologie entspricht. Denn der geringe Kostenvorteil von Wireless wäre bereits aufgezehrt nach einer einzigen Störung, die ein Herunterfahren der Anlage auslöst.
Der Nutzen muss messbar sein
Keine Frage, ein sich immer wieder neu organisierendes Wireless-Netzwerk klingt sehr vielversprechend im Hinblick auf seine Zuverlässigkeit. Trotzdem, die genannten Aspekte machen deutlich, warum die Namur und die Prozessindustrie gegenüber der Wireless-Technologie eher zurückhaltend sind. Die Akzeptanz wäre sicher größer, wenn Wireless sowohl in den Spezialanwendungen als auch für den gesamten Prozess zu deutlichen Verbesserungen der Prozessführung beitragen würde, das heißt, die Anlagen-Performance hinsichtlich Ausbeute, Durchsatz, Produktqualität, Anlagennutzung, Sicherheit oder Zuverlässigkeit spürbar erhöhen würde. Zudem müssten diese Automatisierungskonzepte sich mit einer Verkabelung, traditionell oder über Feldbus, gar nicht oder nur sehr schwer realisieren lassen. Solche Konzepte sind aber bisher nicht absehbar und es wird sehr viel Phantasie, Ideen und Entwicklergeist erfordern, sie zu schaffen. Auch die Namur wird sich mit diesen Fragen in einem Arbeitskreis auseinandersetzen und die Ergebnisse als Empfehlungen ihren Mitgliedsunternehmen zugänglich machen. Ob es dem Arbeitskreis gelingt, vielversprechende Konzepte für die Wireless-Technologie zu definieren, ist allerdings ungewiss. sk