Streitpunkt MES

31. Juli 2008, 13:20 Uhr | Bianca Scholten
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Fortsetzung des Artikels von Teil 1

Streitpunkt MES

Zu diesen verschiedenen Szenarien haben die Befragten sehr unterschiedliche Meinungen:

MES ist eine typische IT-Schicht und sollte daher auch in der Verantwortung der IT liegen. Bis zu einem gewissen Grad kann das Engineering den Betrieb unterstützen, hat aber keine Verantwortung über die Infrastruktur. Letztere wird – wie Änderungen am System auch – immer in der Verantwortung der IT bleiben. Der Engineering-Abteilung fällt die Rolle des Vermittlers zwischen der Produktion und der IT-Abteilung zu.

Einige der Befragten aus dem IT-Umfeld äußerten sich kritisch zur Produktreife von MES-Software. Anders als im ERP-Umfeld fehlen Standard-Funktionen, die zuerst konfiguriert werden müssen. Allerdings muss diese Meinung an der Arbeitsweise gespiegelt werden: Üblicherweise werden bei ERP-Projekten die Geschäftsprozesse analysiert und dem ERP-System angepasst. Bei einem MES-Projekt funktioniert das nicht, da ein Umbau der Produktion nicht in Frage kommt. Aus diesem Grund sind bei der Implementierung einer MES-Lösung meist umfangreiche Anpassungen notwendig. Das erweckt aus IT-Sicht den Anschein von Unausgereiftheit. Da jede Produktion anders und meist auf Basis von Papier und Office-Anwendungen wie Excel und Word organisiert ist, geht daran kein Weg vorbei. Deshalb sind 30 bis 50 % des Budgets eines MES-Projektes allein für die Datenanalyse, Schnittstellenanpassungen und den Aufbau von einheitlichen Berichten zu veranschlagen. Etwa 30 bis 60 % der zu realisierenden Aufgaben können mit den Standard-Funktionen der MES-Systeme abgebildet werden. Der Rest – immerhin noch 20 bis 40 % müssen individuell erstellt werden. Aufgabe der MES-Anbieter wird sein, diesen Anteil weiter zu verringern, beispielsweise mit Best-Practise-Lösungen. Ein Problem, das viele IT-Organisationen nicht beachten, sind die Lebenszyklen eines MES: Innerhalb von drei Jahren müssen zwischen 30 und 50 % der Funktionen angepasst werden. Die Ursache liegt in der Produktion, welche lebt und ständig erweitert wird – zum Beispiel durch neue Maschinen, oder die Einführung eines kontinuierlichen Verbesserungsprozesses. Wer das nicht berücksichtigt, kann schlussfolgern, MES-Lösungen seien nicht ausgereift.

Die ideale Konstellation

Ideale Voraussetzungen für eine MES-Implementierung sind gegeben, wenn das Unternehmen die strategische Entscheidung getroffen hat, wer für das MES-Projekt und dessen Pflege verantwortlich ist: die IT, das Engineering oder beide gemeinsam. Die gewählte MES-Lösung sollte mit ihren Standard-Funktionen bereits möglichst viele Anforderungen erfüllen und dennoch über genügend Flexibilität zur Anpassung an die Besonderheiten der Produktionsabläufe verfügen. Fehlt nur noch ein auf die MESLösung spezialisierter Systemintegrator, der das Know-how von IT und Engineering kombiniert und das MES-Projekt realisiert. sk

Bianca Scholten

leitet das ISA-95/MESCompetence Center bei Ordina in Rosmalen (NL).

bianca.scholten@ordina.nl

Ein oft erwähntes Argument pro IT als führende Abteilung ist deren zentrale Stellung innerhalb des Unternehmens. Die IT managed bereits die komplette Infrastruktur eines Unternehmens einschließlich der Geschäftsprozesse. Zudem ist die IT für die Wartung und Pflege der PCs zuständig, auf denen die MES-Funktionen zu installieren sind. Aus der zentralen Stellung heraus kann die IT eine einheitliche MES-Strategie entwickeln, unternehmensweit implementieren und in die IT-Strategie integrieren. Das führt zu standardisierten Funktionen und vermeidet doppelte Implementierungen.

Dieses Potenzial hat die Automatisierungstechnik nicht. Historisch gesehen konzentriert sie sich auf lokale Projekte, das heißt auf Maschinen- und Hallenebene. Dieses Manko verdeutlich das reale Beispiel: Eine Engineering-Abteilung hatte eine OEE-Funktion (Overall Equipment Effectiveness) für eine Produktionslinie implementiert, die aus unternehmerischer Sichtweise völlig unnötig war. Der Grund: Die Produktionslinie war sowieso nicht ausgelastet und daher ungeeignet für eine Produktivitätsoptimierung. „Solche unnötigen Maßnahmen sind die Folge, wenn die Investitionen nicht zentral koordiniert werden“, gab einer der Teilnehmer zu Protokoll. Die Meinung, dass die Technik nicht über genügend Informationen verfügt, die richtigen MES-Funktionen an den korrekten Stellen zu implementieren, vertritt auch ein andere Teilnehmer: „Woher soll die Engineering-Abteilung wissen, wie hoch die Kosten und Gewinne der Kopplung von MES und LIMS (Labor-Information-Management-System) sind oder ob die Auftrags- und Materialverfolgung besser durch das Warehouse-Management-System, das ERP-System oder doch durch das MES unterstützt werden?“

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Bild 2: Funktionsmodell der MES-Ebene nach der ISA-95-Spezifikation.

  1. Streitpunkt MES
  2. Streitpunkt MES
  3. Die IT sagt, wo es langgeht
  4. Die Teilnehmer der Umfrage

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