Wird TSN zu Echtzeit mit Zykluszeiten bis hinunter zu 31,25 µs (und in Zukunft vielleicht noch kürzer) fähig sein?
Dr. Oliver Kleineberg: Die IEEE-Arbeitsgruppe hat TSN so spezifiziert, dass es auch anspruchsvollste Anforderungen erfüllen kann. TSN kann die physikalischen Gesetze natürlich nicht außer Kraft setzen, etwa die Ausbreitungsgeschwindigkeit auf einem elektrischen oder optischen Medium. Vor allem wegen der höheren Übertragungsraten von 1 GBit/s und mehr, die mit TSN zur Verfügung stehen, gehen wir aber davon aus, dass wir die Leistungsfähigkeit der bestehenden Systeme erreichen und auch überschreiten können. Hierbei kommt allerdings der skalierbare Ansatz von TSN ins Spiel: Weil TSN als Baukastensystem konzipiert ist, muss nicht jedes Gerät zwangsläufig alle technischen Eigenschaften umsetzen, sondern nur die, die für die Anwendung auch wirklich nötig sind. So lässt sich das gesamte TSN-Ecosystem bedarfsgerecht und kostenoptimiert designen.
Sebastian Sachse: In aktuellen Versuchsaufbauten haben wir Zykluszeiten von deutlich unter 2 ms und einen Jitter von bis zu 100 ns erreicht. Damit sind wir gleichauf mit den meisten Feldbussen, aber noch nicht im Bereich von Echtzeit-Protokollen wie Powerlink. Allerdings haben wir Potenzial für Optimierung identifiziert, um die Lösung deutlich zu beschleunigen. Gemäß Aussagen der Firma TTTech sind theoretisch sogar Zykluszeiten von 10 µs möglich. Ob und wann diese Werte erreicht werden, wird sich in den nächsten 1-2 Jahren herausstellen.
Thomas Brandl: Technisch ist das möglich, allerdings sehen wir diese kurzen Zykluszeiten nicht in Verbindung mit OPC UA.
Heinrich Munz: Die Frage geht aus unserer Sicht nicht in die richtige Richtung. Sie müsste vielmehr lauten, ob die Endgeräte noch höhere Zykluszeiten überhaupt verarbeiten können. Daher ist die Antwort: Ja, TSN kann problemlos Zykluszeiten bis hinunter zu 31,25 µs und darunter ermöglichen. Die Genauigkeiten der verteilten Uhren und der Time-Triggered Sende-Slots von TSN können bei weit unter 1 µs liegen. Die Auflösung der Zeitraster für das Time-Triggered Senden beim Ethernet Controller i210 von Intel liegt bei einem Vielfachen von 25 ns als kleinste Granularität.
Jedoch: Welcher kleine Mikrocontroller in einem Automatisierungsgerät kann innerhalb von 31,25 µs ein Telegramm empfangen, verarbeiten und innerhalb desselben Zyklus wieder zurücksenden? Welcher Master kann innerhalb des einen Zyklus die Antwort von n Teilnehmern, die alle geantwortet haben, verarbeiten?
Außerdem muss man bedenken, dass wir es an vielen Stellen noch eine geraume Zeit mit 100-MBit/s-Ethernet-Infrastruktur zu tun haben werden. Bei 100 MBit/s dauert die Übertragung einer üblichen Ethernet-Telegrammgröße von 1500 Bytes bereits etwa 120 µs. Welchen Sinn hat es dabei, von 31,25 µs Zykluszeit zu sprechen? Die Übertragung von 375 Byte würde bereits die Zykluszeit beanspruchen.
Dann kommt noch hinzu, dass anders als bei Summenrahmenverfahren bei TSN wie bei herkömmlichen entsprechenden Feldbussen jedes Telegramm vom Empfänger empfangen, bearbeitet und dann gegebenenfalls eine Antwort gesendet werden muss. Derart hohe Anforderungen an Zykluszeiten bleiben – wie oben beschrieben – herkömmlichen Feldbussen mit proprietärer Hardware-Unterstützung vorbehalten. OPC UA TSN ist in erster Linie für Peer-to-Peer-Controller-zu-Controller und Controller zu intelligenten Drives bzw. I/Os im Sub-µs-Bereich (125 µs bis 1 ms) sinnvoll.
Rahman Jamal: Von den Netzwerkfähigkeiten her ist TSN natürlich in der Lage, Zyklusraten von 31,25 µs zu erreichen. Betrachtet man es von einem praktischen Standpunkt aus, so gehört jedoch mehr dazu als die reine Netzwerkfähigkeit. Auch Anwendungen, Geräte usw. müssen dazu in der Lage sein, diese Schleifenraten zu bewerkstelligen.
Die Zustellungszeiten für Ethernet-Pakete liegen weit unter diesem Niveau, besonders wenn man bedenkt, dass schnellere Netzwerke im GigE-Bereich und darüber unterstützt werden. So belaufen sich Bit-Zeiten für ein 64-Byte-Frame mit Übertragungsraten im GigE-Bereich auf 512 ns, die physikalische Verzögerung beträgt 1-2 µs, die Schaltverzögerung kann in etwa 1 µs betragen. Dies bedeutet, dass Geräte, zwischen denen sich genau ein Switch befindet, Daten im Bereich von <10 µs untereinander austauschen können. TSN ist sowohl in einer Reihenschaltungstopologie als auch in einer Sternkonfiguration einsetzbar, wodurch sich die Anzahl an Switch Hops zwischen den Knoten auf ein Minimum reduzieren lässt. Der TSN-Standard wird für diese Schleifenraten keine Einschränkung darstellen. Die Einschränkung wird eher bei den Unternehmen liegen, die Produkte herstellen, die diese Schleifenraten unterstützen; unter anderem wird dies auch Einfluss auf die Fähigkeit der Endknoten haben, die Daten innerhalb weniger µs zu verarbeiten und darauf zu antworten.
Georg Stöger: Ja, abhängig von den Datenraten am Netzwerk – für TSN gibt es keine technologischen Beschränkungen auf 100 MBit/s wie bei vielen Ethernet-Feldbussen, und auch 10 GBit/s sind mit TSN realisierbar, wenn entsprechende Komponenten erhältlich sind. Zudem sind angesichts der Fähigkeiten von Switch-Chips Zykluszeiten von 30 µs und weniger durchaus darstellbar.