Welche Aufgaben und Funktionen verbleiben in Zukunft für die klassischen Industrial-Ethernet-Systeme und Feldbusse?
Dr. Oliver Kleineberg: Weil die etablierten Industrial-Ethernet-Systeme weit verbreitet sind, werden OPC UA und TSN sie nicht verdrängen. TSN selbst ist nicht an eine reine Nutzung durch OPC UA gebunden. Jede Nutzerorganisation kann frei entscheiden, als Transporttechnik auf Schicht 2 ebenfalls TSN einzusetzen, etwa anstelle des heute zugrunde liegenden Standard Ethernet. Die Feldbustechnik wird allein wegen ihrer großen Verbreitung am Markt noch sehr lange eine Rolle spielen – allerdings ergibt sich mit TSN erstmals eine vollständig herstellerneutrale Kommunikationstechnik auf Ethernet-Basis, die ähnliche Zeitgarantien wie Feldbusse bei wesentlich höheren Übertragungsraten bereitstellen kann. Ob und wie TSN sich auch im Feldbusbereich durchsetzen wird, wird der Markt entscheiden – abhängig unter anderem von Kostenfaktoren und technischen Einschränkungen wie Verlustwärme und Reichweite.
Sebastian Sachse: Wir sind davon überzeugt, dass sich OPC UA TSN innerhalb kurzer Zeit als Kommunikations-Standard oberhalb der Steuerungsebene durchsetzen wird. Durch die Informationsmodelle bietet OPC UA TSN einen Mehrwert gegenüber den bisher verwendeten Protokollen. Betreiber von Maschinen und Anlagen haben diese Vorteile erkannt und fordern daher Maschinen und Anlagen mit OPC UA TSN. Industrial-Ethernet-Systeme wie Powerlink werden weiterhin für Motion- und Robotik-Anwendungen zum Einsatz kommen.
Thomas Brandl: Eine Umstellung der Feldebene auf TSN wird nicht innerhalb weniger Jahre erfolgen. Wichtig ist deshalb, dass eine Koexistenz möglich ist. Auf der Messe SPS IPC Drives 2016 wurde auf dem Stand von Sercos International gezeigt, wie sich Feldbus- und TSN-Kommunikation in einem Netzwerk integrieren lassen.
Heinrich Munz: Die herkömmlichen Feldbusse verbleiben auf dem Integration Layer und dienen dazu, herkömmliche, schon bestehende Anlagen in Industrie 4.0 zu integrieren. Wann welcher Feldbus von OPC UA TSN abgelöst wird, entscheidet der Anlagen- oder Maschinenbauer, also der Markt. Manche herkömmliche Feldbusse könnten in der Tat vollständig durch OPC UA TSN abgelöst werden, bei anderen ist dies nicht sinnvoll möglich. Zu den erstgenannten gehören diejenigen Feldbusse, die heute mit wenig bis gar keinen Manipulationen am herkömmlichen Ethernet auskommen und eine nur relativ weiche Echtzeit ermöglichen. Schwer ersetzbar sind die hart echtzeitfähigen Feldbusse etwa für Antriebslösungen, die mit intensiver proprietärer Hardware-Unterstützung die Bandbreite des Ethernets beispielsweise durch Summenrahmenverfahren bei hoher Deterministik fast vollständig verfügbar machen.
Rahman Jamal: Dies ist wohl eher eine Frage der Akzeptanz auf dem Markt und hat weniger mit der Technik zu tun. TSN kann sowohl hochperformante Anwendungen als auch kostengünstige Applikationen abdecken. Um es anders zu sagen, ist TSN die erfolgreiche Konvergenz von zeitkritischen, nicht zeitkritischen und Daten-Streaming-Anwendungen über ein einziges Netzwerk. Wir gehen davon aus, dass TSN zunächst in der Controller-Controller-Kommunikation genutzt werden wird.
Georg Stöger: Feldbusse sind weiterhin für die Anbindung von Komponenten erforderlich, die sich aus Kostengründen oder wegen Anforderungen wie etwa Low-Power nicht mit Ethernet ausstatten lassen. Für alle komplexeren und höherwertigen Komponenten ist mittelfristig mit einem Trend weg von dedizierten Industrial-Netzwerktechnologien hin zu offenen Systemen zu rechnen, weil das für Anbieter und Integratoren Vereinfachungen und für die Endkunden Einsparungspotenzial bedeutet.
Welche Aufgaben und Funktionen können die klassischen Industrial-Ethernet-Systeme in OPC-UA-TSN-Systemen oberhalb OPC UA TSN auf der Profilebene erfüllen?
Dr. Oliver Kleineberg: TSN ist in der Lage, für alle Industrie-Kommunikationssysteme auf Ethernet-Basis eine Standard-Infrastruktur zu etablieren. Wenn sich alle Beteiligten an die Kommunikations- und Konfigurationskonzepte von TSN halten, dann ist etwa ein Parallelbetrieb unterschiedlicher Ecosystems in einer Ethernet-Infrastruktur denkbar – weiterhin unter Berücksichtigung aller Echtzeit-Eigenschaften. Dies ist beispielsweise in stark heterogenen Anwendungen nützlich oder bei einer Migrationsstrategie hin zu OPC UA und TSN. Zusätzlich zur Parallelität ist es denkbar, dass bestimmte Profile oder Eigenschaften der „klassischen“ Systeme in OPC UA integriert werden.
Sebastian Sachse: Selbstverständlich müssen auch auf der Profilebene einheitliche Standards geschaffen werden, sonst wird es keine herstellerunabhängige Kompatibilität geben. Auch hier sind die Hersteller auf einem guten Weg, eine einheitliche Lösung für Antriebe, I/Os und Safety zu definieren.
Thomas Brandl: Durch die Definition von Profilen, etwa für Motion und Safety, wurde ein wichtiger Beitrag zur Interoperabilität geleistet, der unabhängig von den unterlagerten Mechanismen des Datentransports verwendet werden kann.
Heinrich Munz: Für Geräte, für die bereits historisch bedingt Geräteprofile auf Feldbusebene existieren, etwa elektrische Antriebe oder generische Input/Output-Geräte, ist es nicht sinnvoll, auf der grünen Wiese neue Companion Specifications zu erfinden. Vielmehr sollten die Erfahrungen und das Know-how der bestehenden Geräteprofile wiederverwendet werden.
Georg Stöger: Komponenten, die nicht direkt mit OPC UA erreichbar sind, werden weiterhin über Feldbusse und proprietäre Schnittstellen mittels Gateways an das System angebunden und können so Teil des Maschinenprofils und seiner Zugriffe mittels OPC UA sein.