Automatisierung

Das verflixte siebte (Konjunktur-)Jahr

5. Januar 2011, 16:24 Uhr | Florian Güldner, Analyst bei der ARC Advisory Group
Florian Güldner, ARC Advisory Group: »Die Automatisierungsmärkte werden bereits 2011 das Niveau von 2007/2008 wieder erreichen.«
© ARC Advisory Group

Die Automatisierungsbranche wird auch in den beiden kommenden Jahren ein beachtliches Wachstum erzielen. Treibende Faktoren sind die günstige konjunkturelle Lage, der Übergang zur energieeffizienten Produktion, die Erzeugung und Verteilung von Energie aus erneuerbaren Quellen, das Vordringen der IT in die Produktion und die integrierte Sicherheitstechnik. Auch öffentliche Infrastrukturprojekte werden eine gewisse Rolle spielen.

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Ein Konjunkturzyklus dauert im Durchschnitt sieben Jahre. Das heißt in anderen Worten: Ökono­men und Analysten stellen sich alle sieben Jahre die Frage, ob man wieder dort sei, wo man vor sieben Jahren schon war. Wenn ja, würde die Automatisierungs­branche in wenigen Jahren einen Boom erleben. Wiederholt sich also das Geschehene?

Wo waren wir?

Von Zeit zu Zeit muss man über das Vergangene reden, um seinen Standpunkt zu bestimmen. Das gilt besonders für die Konjunktur­forschung. Die Grafiken 1 und 2 zeigen die Entwicklung des euro­päischen Automatisierungsindex von ARC, der die Entwicklung des Umsatzes der europäischen Auto­matisierungstechnik-Anbieter auf Quartalsebene widerspiegelt. Die grünen Säulen zeigen dabei das Wachstum zur Vorjahresperiode, die rote Linie den Absolutwert des Index.

Die Entwicklung des europäischen Automatisierungsindex der ARC Advisory Group von 2003 bis 2010
Die Entwicklung des europäischen Automatisierungsindex der ARC Advisory Group von 2003 bis 2010
© ARC Advisory Group

2003 bis 2005: In diesen Jah­ren verlief der Umsatz stabil, und die Branche stagnierte de facto während der Erholung nach der 2000/2001-Rezession, die durch das Platzen der New-Economy-Blase ausgelöst wurde. Schon in dieser Krise zeigten die Kapital­märkte, dass sie für die Realwirt­schaft nicht nur Allokator von Risiken sein können, sondern auch Verursacher schwerer Ver­werfungen.

2006 bis 2007: In diesen Jahren erlebte der europäische Automati­sierungsmarkt das stärkste Wachs­tum seit Erfindung der SPS. Bei Maschinenherstellern wie System­integratoren übertrafen die Auf­tragseingänge die Umsätze, und es baute sich langsam ein großes Backlog auf, das gerade in den Pro­zessindustrien den Fall dämpfen sollte. Während die Automatisie­rungsbranche jubelte, gerieten zu dieser Zeit schon die ersten Finan­zinsitute in Schieflage, Northern Rock ging pleite, und die Immobi­lienkrise begann langsam aber si­cher in Finanzkreisen für Unruhe zu sorgen.

Die Entwicklung des europäischen Automatisierungsindex der ARC Advisory Group von 2003 bis 2010, verglichen mit der Entwicklung des BIP sowie der Investitions- und Konsumausgaben
Die Entwicklung des europäischen Automatisierungsindex der ARC Advisory Group von 2003 bis 2010, verglichen mit der Entwicklung des BIP sowie der Investitions- und Konsumausgaben
© ARC Advisory Group

2008: In diesem Jahr drehte der Wind, die Weltwirtschaft rutschte in eine Rezession, weil die Verwer­fungen im Bankensektor einen Rückgang der Konsumenten-Nach­frage bewirkten. Die Nachfrage ging im Wesentlichen bei privaten Investitionsgütern wie Möbeln, Automobilen und elektronischen Geräten zurück. Vor allem die Au­tomobilindustrie zog gleich meh­rere Industrien, darunter vor allem die chemische Industrie, mit in den Abgrund. Weil die betroffenen In­dustrien einen eher kurzen Inves­titionszyklus haben, sahen sich Automatisierungstechnik-Anbieter mit der prekären Lage konfrontiert, dass die Nachfrage auf breiter Front einbrach und gleichzeitig die Banken nicht in der Lage waren, mit günstigen Krediten über die Durststrecke hinwegzuhelfen.

Die Investitionen waren bereits Anfang 2008 negativ, die Automa­tisierungsbranche schrumpfte, erstmals seit Jahrzehnten, im drit­ten Quartal 2008 gegenüber dem Vorquartal. Im vierten Quartal war auch das Wachstum zum Vorjahrs­wert negativ.

2009: Die Automatisierungs­branche reagierte unterschiedlich auf diesen Schock. Gerade in Deutschland, wo die Erfahrung des Ingenieurmangels vielen noch in den Knochen steckte, wurden Mitarbeiter eher gehalten als ent­lassen. Die Kurzarbeit erleichterte dies den Unternehmen.

Besonders stark litten Auto­matisierer, die primär auf kurz­fristiges Produktgeschäft einge­stellt sind, etwa die Sensorik­branche. Sick musste 2009 einen Umsatzrückgang von 19 Prozent verkraften und führte im Dezem­ber 2008 Kurzarbeit ein. Balluff folgte mit der Kurzarbeit im Früh­jahr 2009 und Leuze Electronic im Sommer. Bei Wenglor waren insgesamt rund 360 Mitarbeiter von der Kurzarbeit betroffen, bei ifm waren es 550. Laut dem AMA Fachverband für Sensorik wur­den in Deutschland aber nur 3 Prozent der Arbeitsplätze in der Sensorikbranche abgebaut.

Insgesamt, schaut man auf die Kurven, entwickelten sich in die­ser Krise, zumindest in Europa, Investitionen, BIP, Konsumnach­frage und Automatisierungs­märkte parallel. Das früher pos­tulierte Nachhinken der Automa­tisierungsmärkte ist nicht zu er­kennen.

2010: In diesem Jahr fand das große Aufatmen statt. Das Wachs­tum zum Vorquartal drehte schon im vierten Quartal 2009 in den positiven Bereich zurück, der Vergleich zum Vorjahr erst im ersten Quartal 2010. Die rasche Erholung, die im Index zu sehen ist, vollzog sich auf breiter Front. Bis auf wenige Ausnahmen ha­ben viele Firmen bereits wieder einen Umsatz erreicht, der iden­tisch ist mit dem der frühen Boomjahre.

 

Wo sind wir?

Eine Frage, die oft zu Streitigkei­ten führt, ist die der Standortbe­stimmung. In welcher Phase des Konjunkturzyklus wir uns befin­den, ist nämlich nicht immer klar zu definieren. Die ARC Advisory Group ist der Meinung, dass sich die Automatisierungsmärkte in starkem Aufschwung befinden. Die anfangs aufgeworfene Frage, ob die Situation nun eine Wieder­holung von 2003 sei, kann mit einem entschiedenen Nein beant­wortet werden. Hier die entspre­chenden Gründe:

1. Die Automatisierungsmärkte erlebten einen solchen Einbruch um das Jahr 2000 herum nicht.

2. Die Dynamik veränderte sich, und der Automatisierungsmarkt reagierte parallel zu den großen wirtschaftlichen Kenngrößen.

3. Die Krise von 2007/2009 ist kaum mit der von 2000/2001 zu vergleichen, sie war in jeder Hin­sicht globaler und schwerwiegen­der.

4. Die Automatisierungsmärkte sind stärker von China und ande­ren Schwellenländern abhängig.


  1. Das verflixte siebte (Konjunktur-)Jahr
  2. Was treibt uns an?
  3. Wohin gehen wir?

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