Neue Medizinnorm – Unerwünschte Nebenwirkungen?

13. Juni 2007, 13:54 Uhr | Steve Elliott
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Neue Medizinnorm – Unerwünschte Nebenwirkungen?

Warum hat die neue Ausgabe der IEC 60601-1 Einfluss auf die Auswahl der möglichen Stromversorgung? Theoretisch kann ein Gerät, welches nur die IEC 60950 einhält, für manche medizinischen Anwendungen eingesetzt werden. Dies hat den Anschein, dass Kosteneinsparungen für medizinisches OEM-Equipment möglich wären, da dann nur eine Basisisolierung nötig wäre. Versorgt jedoch das Gerät Teile, welche MOPP benötigen, wird eine sekundärseitige Isolierung erforderlich, um die Isolationsund Ableitstromanforderungen zu erfüllen. Ergibt die Risikoanalyse, dass der Patient das Equipment unabsichtlich berühren kann, oder dass das Risiko eines absichtlichen Kontakts akzeptabel ist, kann ein Gerät, welches nur MOOP bietet, eingesetzt werden.

Leider ist hier aber noch eine bedeutsame Problematik, dass ein solches Gerät die Erdableitstromanforderungen für Medizingeräte innerhalb der Patientenumgebung erfüllen muss. Dies erfordert möglicherweise eine Modifikation, beispielsweise eine Reduzierung des Ableitstroms. Dies lässt sich mit kleineren Y-Kondensatoren am Eingang erreichen, was aber immer zu schlechteren EMV-Ergebnissen führt. Dadurch kann ein zusätzlicher Filter, entweder im Netzteil oder extern, erforderlich werden. Dadurch müsste für das gesamte Equipment der zeitund kostenintensive Prozess der Sicherheits- und/oder EMV-Zulassungen nochmals durchgeführt werden.

Ein weiterer Punkt sollte bedacht werden, wenn der Einsatz von nach IEC 60950 zertifizierten anstatt nach IEC 60606-1 zertifizierten Geräten in Betracht gezogen wird. Der Einsatz eines IEC- 60950-Gerätes kann die Einsatzmöglichkeiten von Medizingeräten in manchen Applikationen einschränken oder durch Wettbewerbsnachteile den möglichen Marktanteil reduzieren. Dies ist schon heute bei der zweiten Ausgabe der IEC 60601-1 der Fall, wenn Hersteller ihre Geräte nach dieser Norm entwickeln, um die Endkundenforderungen zu erfüllen, selbst wenn es technisch nicht erforderlich ist. Dies gilt beispielsweise für Geräte, die in einer Praxisumgebung eingesetzt werden können.

Was sagen die über 200 Seiten der Norm vom kommerziellen Gesichtspunkt aus aber wirklich aus? Sobald die Risikoanalyse durchgeführt ist, haben medizinische OEMs zwei Möglichkeiten bei den Netzteilen:

  • Einsparung einiger Euros durch den Einsatz eines nach der IEC 60950 zertifizierten Gerätes, anstatt eines nach IEC 60601-1 zertifizierten. Dies limitiert aber den möglichen Einsatz in Geräten und damit das mögliche Marktvolumen. Unter Umständen muss man aber auch das Netzteil modifizieren, um die Anforderungen an den Ableitstrom zu erfüllen. Dies birgt das Risiko einer kostenintensiven Wiederholungszulassung.

  • Suche nach kosteneffektiven Netzteilen, welche die IEC 60601-1 erfüllen. Vor fünf Jahren waren solche Geräte nicht sehr verbreitet. Durch neue Komponenten und Entwicklungstechniken konnten Stromversorgungshersteller in den letzten Jahren Geräte entwickeln, die sowohl Industrie-, IT- als auch medizinische Spezifikationen erfüllen. Die durch diesen Umstand erreichten größeren Stückzahlen reduzierten die Preise für medizinische Netzteile.

Ein Netzteil in der Leistungsklasse von 60 W bis 100 W kostet bei einigen hundert Stück etwa 50 US-Dollar. Beim Wechsel auf ein nur für IT-Equipment zertifiziertes Netzteil ist eine Preisreduzierung von mehr als fünf Dollar sehr unwahrscheinlich. Außerdem schränkt ein solcher Schritt die Flexibilität beim Einsatz ein, erhöht aber die Wahrscheinlichkeit einer kostspieligen Modifikation zur Einhaltung des Ableitstroms. Diese Punkte können einen negativen Einfluss auf den Ruf des Medizingeräteherstellers haben und unter unglücklichen Umständen den Patienten einem Risiko aussetzen. Daher stellt sich die Frage: Ist es wert, für eine geringe mögliche Einsparung die Sicherheit des Patienten und die Herstellerreputation zu riskieren? rh

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Bild 1. Für Patienten- und Anwenderkreise gelten in der dritten Ausgabe der IEC 60601-1 unterschiedliche Isolationslevels. Nur bei direktem Patientenkontakt muss das Gerät wie bisher eine doppelte Isolierung vorweisen.

Autor:

Steve Elliott ist Industry Director für den Medizinbereich bei XP Power

XP Power
Telefon 04 21/63 93 30
www.xppower.com


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