Brillenbasierte VR-Systeme bewältigen anspruchsvolle Aufgaben und sind auch für KMUs erschwinglich - ein Überblick zum Stand der Technik und erste Anwendungsfälle.
In Wissenschaft und Forschung ist Virtual Reality (VR) bereits seit vielen Jahren in einer Reihe von Fachdisziplinen etabliert. Die Technik wird zum Beispiel erfolgreich zur Therapie von Angstpatienten, für das Rapid Prototyping oder zum virtuellen Training und E-Learning eingesetzt. Der Begriff Virtual Reality wurde um 1987 von dem US-amerikanischen Informatiker Jaron Lanier geprägt und ist laut Gabler Wirtschaftslexikon wie folgt definiert: „Virtuelle Realität (Virtual Reality, VR) ist eine computergenerierte Wirklichkeit mit Bild (3D) und in vielen Fällen auch Ton. Sie wird über Großbildleinwände in speziellen Räumen (Cave Automatic Virtual Environment, kurz CAVE) oder über ein Head-Mounted-Display (Video- bzw. VR-Brille) übertragen.“ Doch die Anfänge von VR führen weit vor diese Begriffsdefinition zurück.
Bereits 1957 konnte Morton Heiligs „The Sensorama“ multisensorische Illusionen (visuell, auditiv, olfaktorisch und taktil) erzeugen und dem Benutzer so einen Blick in eine virtuelle Welt gewähren. Doch wie Steve Bryson, ein wichtiger Pionier der VR-Entwicklung, mit seinem Statement „If I turn my head and nothing happens, it ain’t VR.“ (wenn ich meinen Kopf drehe und nichts passiert, dann ist es kein VR) verdeutlichte, fühlt sich eine virtuelle Umgebung erst dann natürlich für den Menschen an, wenn zwischen ihm und der VR eine direkte Kopplung besteht. Als Meilenstein der VR-Geschichte zählt daher der Durchbruch von Ivan Sutherland im Jahr 1968. Durch die Anbindung eines Head Mounted Displays (HMD) an einen Computer konnte er dem Benutzer zum ersten Mal computergeneriertes Bildmaterial relativ zu dessen Kopfausrichtung präsentieren.
Nach diesem einschlägigen Ereignis durchlebte die VR mehrere Hypes, vor allem mit den Versuchen der Spieleindustrie Anfang der 1980er- und 1990er-Jahre, mit den Versuchen der Spieleindustrie VR als Massenmedium auf dem Konsumentenmarkt zu etablieren. Start-ups wurden gegründet, Vorhersagen einer virtuellen Revolution getroffen und viele etablierte Unternehmen, wie Sega, Disney und General Motors investierten massiv in die Technologie. Innovative Ideen wurden geboren und weitreichende Konzepte entworfen, doch die Technik war noch nicht ausgereift genug. Vor allem der Bereich der Displaytechnologie war noch nicht in der Lage, die benötigten hochauflösenden Bilder darzustellen – geschweige denn, dass diese von den damals aktuellen Computersystemen in der benötigten Zeit hätten berechnet werden können. Diese und weitere K.-o.-Kriterien, beispielsweise die Ergonomie der damaligen HMDs, verhinderten den Einzug der Technik in die Wohnzimmer und ließen kaum Anwendungsfälle in der Industrie zu. Die Revolution blieb daher aus und die meisten Neugründungen endeten im Konkurs.
VR konnte sich damals zwar nicht im Endverbrauchermarkt etablieren, blieb aber weiterhin ein wichtiger Bestandteil der industriellen und akademischen Forschung. Erst mit der Erfindung der Cave Automatic Virtual Environment (CAVE)-Systeme im Jahr 1992 wurde es möglich, die vielen Hardware-Einschränkungen der damaligen HMDs zu umgehen. CAVE-Systeme (Bild 1) können virtuelle Welten mittels Stereoprojektion auf bis zu sechs Wände simulieren.
Diese CAVE-Systeme waren schon damals sehr leistungsstark und konnten ernsthafte industrielle Problemstellungen, wie die dreidimensionale Visualisierung von Daten, bewältigen. Doch die dominierende Projektionstechnik der CAVEs ist sehr teuer und, bedingt durch ihren hohen Platzbedarf und den fortlaufenden Betriebskosten, nur zentralen Forschungseinrichtungen oder großen Industriekonzernen, zum Beispiel Automobilherstellern, vorbehalten.
Im Jahr 2012 löste Palmer Lucky einen erneuten Hype mit der erfolgreichen Finanzierung des HMDs Oculus Rift auf der Crowdfunding-Plattform Kickstarter aus. Der damals 21-Jährige kündigte ein HMD an, welches eine ernst zu nehmende Konkurrenz für die mehrere hunderttausend Euro teuren CAVE-Systeme darstellen sollte. Mit einem angestrebten Gesamtpreis von unter 1000 Euro richtet sich diese neue Generation von HMDs vornehmlich an Privatpersonen.
Begründet durch den raschen technischen Fortschritt der Displaytechnik und getrieben durch die Smartphone-Branche sind Displays inzwischen soweit ausgereift, dass hochauflösende Inhalte dargestellt werden können. Ebenso übertreffen heutige High-End-Workstations, in der Größe eines Desktop-PCs, die Leistung der damals lagerhallengroßen Computercluster um ein Vielfaches. Die VR-Revolution hält bis heute an. Die zehn größten Technologiekonzerne, darunter Apple und Microsoft, haben eigene VR-Entwicklungen angekündigt oder arbeiten mit dieser Technologie.
Auch Gartner platzierte im Juli 2016 Virtual Reality auf seinem Hype-Cycle als sich etablierende Technologie der nächsten fünf bis zehn 10 Jahre. Diese Annahme wurde durch viele technische Durchbrüche der Branche der letzten Jahre bestärkt. Im Jahr 2017 wurden aktuell bereits mehr als sieben neue HMDs angekündigt, Tendenz steigend.