Augmented Reality

Datenbrillen nach Maß

25. Mai 2018, 12:21 Uhr | Helmuth Lemme
Prof. Dr. Ingo Herold von der Westsächsischen Hochschule Zwickau mit modularer AR-Brille. Der mechanische Träger - hier eine Schutzbrille - ist austauschbar.
© R. Herold

Erweiterte Realität überzeugt in der Theorie. Bisher entspricht aber kaum eine Datenbrille wirklich den Anforderungen ihrer Träger. Ein Baukastensystem soll die Probleme lösen.

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Mit einer Datenbrille bleiben für die eigentliche Arbeit die Hände frei. Ein Servicetechniker erhält beispielsweise Montagehinweise oder Konstruktionspläne, ein Radfahrer Navigationshinweise, ein Kinobesucher Untertitel in einer anderen Sprache.

Vor allem im indus­triellen Bereich haben sich diese Geräte mittlerweile weit verbreitet und das Angebot an verschiedenen Modellen ist groß. Manche verfügen auch über eine Kamerafunktion. Zur Anbindung an einen feststehenden Rechner dient üblicherweise eine Bluetooth-Verbindung. Die reale Praxis mit diesen Geräten ist dann jedoch nicht immer die reine Freude. Die Probleme sind verschiedenster Art.

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Probleme nicht nur für Brillenträger

Modulare Datenbrille

Modulares System
© R. Herold
Modulare Datenbrille mit Kopfband als mechanischem Träger.
© R. Herold
Modulare Datenbrille mit Schutzhelm als mechanischem Träger.
© R. Herold

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Zunächst schon einmal rein mechanisch: Brillenträger tun sich mit einer zweiten Brille meist schwer. Eine Ausführung mit eingebauten Linsen der passenden Stärke wäre nur als Einzelanfertigung möglich – und mit entsprechenden Kos­ten verbunden. Kollisionen gibt es auch mit Augenschutzbrillen oder Helmen.

Zwingend ein kleiner Akku

Zur Stromversorgung von Display, Ansteuerung und Mikrocomputer dient ein Akku. Und deren Laufzeit ist bei den gängigen Modellen viel zu kurz. Einen vollen achtstündigen Arbeitstag hält kaum ein Modell durch und zwischenzeit­liches Aufladen erfordert zu viel Zeit. Ein Wechselakku verkompliziert die Konstruktion. Akkus mit größerer Kapazität sind ebenfalls ausgeschlossen, da sie die Brille zum bequemen Tragen zu schwer machen.

Zur Infor­mationsverarbeitung verwenden die meisten Modelle einen gängigen Smartphone-Prozessor. Der benötigt eine hohe Leistung und wird im Betrieb warm. Das spürt der Anwender am Kopf, was beim längerem Tragen durchaus unangenehm werden kann.

Auch die letzte Möglichkeit, eine Variante mit größerem Akku und Prozessor im separatem Gerät in der Westentasche oder am Gürtel sowie einem Kabel am Hals, ist unbeliebt.

Fest verbauter Prozessor veraltet schnell

Schließlich bereitet der Prozessor auch noch Software-Probleme. Die verwendeten Betriebssysteme durchlaufen eine rasante Innovation und veralten schnell. Sie müssten ständig aktualisiert werden, aber das geht bei vielen Brillen nicht.

Das ganze Produkt ist damit schnell überholt und wäre reif für den – sowieso schon überhand nehmenden – Elektronikschrott. Aber die Hardware ist teuer und langlebig. Kurz und gut: Die derzeit auf dem Markt angebotenen Datenbrillen erfüllen kaum die wirk­lichen Anforderungen der Anwender.

Modulares AR-System mit tauschbarem Rechner

Mit dieser Problematik beschäftigt sich seit Jahren Prof. Dr. Rigo Herold an der Westsächsischen Hochschule in Zwickau. Nach seiner Erkenntnis eignet sich praktisch keine Brille für alle Zwecke, sondern jede ist mehr oder weniger eng spezialisiert. In vielen Gesprächen mit Anwendern hat er deren tatsächliche Bedürfnisse ermittelt und daraufhin sein eigenes Konzept entwickelt.

Die Grundidee: ein modulares Baukastensystem, in dem die Brillen individuell ganz nach den Anforderungen des einzelnen Kunden zusammengesetzt werden. Dabei können die modularen Komponenten mechanisch an verschiedene Träger wie zum Beispiel Kopfbänder, Schutzhelme, Stoßkappen oder Schutzbrillen in verschiedenen Konfigurationen angebracht werden.

Die Befestigung erfolgt so, dass es mit einer bereits getragenen Brille keine Kollision gibt: entweder an einem Kopfband (Bild 2 in Bildergalerie) oder an einem Schutzhelm (Bild 3 in Bildergalerie) oder einer Augenschutzbrille, die vom Arbeitsschutz ohnehin vorgeschrieben ist.

Minimale Elektronik am tragbaren Gerät

Um die Stromaufnahme so niedrig wie möglich zu halten, ist die Elektronik auf das absolute Minimum reduziert. Vorhanden ist nur das Bluetooth-Modul ohne Rechner und die Display-Ansteuerung. Als Display dient ein stromsparendes Mikro-OLED mit vorgesetzter Linse.

Das System kann über Standard-Datenschnittstellen mit jedem beliebigen Computer unabhängig von dessen Betriebssystem zusammenarbeiten. Alle Rechenfunktionen laufen extern ab. So hält der Akku einen achtstündigen Arbeitstag lang durch, und am Kopf ist keine Erwärmung mehr spürbar.

Optional ist ein Kameramodul montierbar, das eigenständig arbeitet und einzelne Bilder oder Video-Datenströme über eine WiFi-Verbindung überträgt. Die Kamera kann dann beispielsweise einen Barcode lesen und an den Rechner senden. Das kann eine SmartWatch oder ein Tablet -PC sein. Der Rechner schickt daraufhin die entsprechenden Daten an die Brille.
 

Serienproduktion in Deutschland

Für die Serienproduk­tion hat Herold aus der Hochschule eine eigene Firma ausgegründet: »data glasses Zwick­-au UG (haftungsbeschränkt)«. Die Zielgruppe sind professionelle Anwender. Es sind bereits Kooperationen mit mehreren interessierten Firmen angelaufen. Die Produktion der Brillen soll komplett in Deutschland stattfinden.


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