Genauigkeit von Multimetern

Do it yourself

3. Mai 2016, 13:24 Uhr | Von Klaus Höing
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Fortsetzung des Artikels von Teil 1

Warum sollte man all dieses tun?

Darauf gibt es eine einfache Antwort: Zeit-, Kostenersparnis und weniger Schwierigkeiten. Sind diese Ersparnisse das Geld wert, das die Einrichtung eines Transferstandard-Labors bei einem mittelständischen Betrieb rechtfertigt? Ja, bei Weitem!

Bereits im Studium wird gelernt, dass Messungenauigkeiten und Messtoleranzen im Blickfeld des Ingenieurs sein müssen. Im besten Fall sind die Messungenauigkeiten vernachlässigbar. Der Zeitdruck mit „Time to Market“ entbindet jedoch nicht davon, sich über die Messungenauigkeiten ins Bild zu setzen. Denn wird ein in der Entwicklung befindliches Produkt oder eine Stichprobe aus der Produktion entnommen, das bei der Qualitätskontrolle durchfällt, führt dies unweigerlich zur Nachentwicklung und damit zu Zeitverzögerungen.

Und der härteste Qualitätskontrolleur ist der Kunde. Nicht auszudenken, wenn ein Fehler öffentlich wird und es vielleicht sogar zu Rückrufaktionen kommt. Jedem ist sofort klar, dass diese notwendigen Aktionen einer Gewinnvernichtung gleichkommen – abgesehen vom Image-Schaden. Mit einem perfektionierten Prozessablauf, der auch die Messgenauigkeit einschließt, wären derartige Fehler vermeidbar.

Ein weiterer Aspekt ist, die Präzision der eigenen Qualitätsmesszeuge zu verbessern. Das präzise 8½-stellige Multimeter 3458A von Keysight, das in vielen Standardlabors weltweit eingesetzt wird, kann beispielsweise auf einen Fehler kleiner 1 ppm geführt werden, wenn es täglich gegen einen Präzisionswiderstand kalibriert wird. Die meisten Keysight-Multimeter haben eine weitere Stelle in der Auflösung, die über den GPIB-Bus ausgelesen werden kann. Und wenn das Gerät gegen den Haus-Standard kalibriert ist, kann diese verdeckte Stelle sehr wohl genutzt werden.

Grundsätzliche Überlegungen

Kalibration ist das Vergleichen eines Gerätes (DUT; Device Under Test) gegen eine sehr genau bekannte Referenz. Das erscheint simpel – ist es aber nicht. Voraussetzung ist, dass die Referenzen sehr genau und stabil sind und man ihren Fehler kennt.

Jede Referenz hat eine Voraussetzung: Sie muss den Wert liefern, den man von ihr kennt. Über einen Referenz-Widerstand mit einem Nominalwert von 10 Ω soll bekannt sein, dass er in Wirklichkeit einen Widerstand von genau 9,9999828 Ω hat. Dieser Wert ist der Referenzwert, wogegen das DUT gemessen wird. Hat man nun ein Multimeter mit einer Widerstandsmessfunktion mit entsprechender Auflösung und Genauigkeit, so erwartet man eine Anzeige mit genau diesem Zahlenwert. In Wirklichkeit wird es jedoch nicht diesen Wert anzeigen, was zwei Gründe haben kann:

  • Es hat sich der Referenzwert geändert oder
  • das Multimeter zeigt nicht den exakten Wert an.

Zum ersten Punkt: Es ist offensichtlich, dass sich auch die Referenz ändern kann. Wichtig ist und es muss darauf geachtet werden, dass Referenzen ihren Wert erhalten und man ihren Wert genau kennt. Ferner muss sichergestellt werden, dass die Referenz in regelmäßigen Intervallen überprüft beziehungsweise kalibriert wird. Und hier ist nicht nur wichtig, dass der jeweilige Referenzwert bekannt ist, sondern dass auch die vorhergehenden Referenzwerte, also die Historie der Referenzwerte, dokumentiert sind. Von den Herstellern wird typischerweise ein einjähriger Kalibrationsrhythmus angegeben, wobei manche Referenzen sogar in einem 90-Tage-Intervall kalibriert werden müssen. Durch den Vergleich des aktuellen Referenzwertes zum vorhergehenden Referenzwert lässt sich die Alterung pro Intervall ermitteln und mit den Alterungen aus den Vorintervallen vergleichen. Mit dieser Information kann dann die Referenz deutlich genauer spezifiziert werden. Ein einfaches Beispiel soll dieses verdeutlichen:

Der oben genannte Widerstand soll seinen Wert um –0,0000072 Ω pro Jahr oder –7,2 ppm/Jahr reduziert haben (Anmerkung: dieser Wert wäre sehr hoch für einen Referenz-Messwiderstand). Dann lässt sich nachrechnen, dass sich der Widerstandswert um ca. 0,02 µΩ/Tag bzw. –0,02 ppm/Tag verändert. Nach der letzten Kalibrierung muss dann nur noch die Anzahl der bereits verstrichenen Tage mit dieser Widerstandsänderung multipliziert werden und vom letzten Kalibrationswert subtrahiert werden, um einen genaueren aktuellen Referenzwert zu erhalten. Der Referenzwert lässt sich also tagesgenau errechnen.

Ein anderer Einflussfaktor ist die Umgebungstemperatur. Kalibrationslabore nutzen klimatisierte Räume. Die meisten Referenzwerte sind auf 23 °C spezifiziert. Kann die Temperaturstabilität für die Messdauer nicht eingehalten werden, so ist es wichtig zu wissen, wie hoch der Einfluss der Temperatur auf die Referenzgröße ist. Geschickt ist es natürlich, wenn die Temperatur einen vernachlässigbaren Einfluss auf die Referenz hat.

Zum zweiten Punkt: Das Multimeter kann 10 Ω messen mit einer Genauigkeit von 0,0036 % beziehungsweise 36 ppm. Vorausgesetzt, das Multimeter zeigt diese 10,000000 Ω an, heißt das für den tatsächlichen Messwert, dass er im Bereich von 9,99982 Ω bis 10,00018 Ω liegen kann. Ist also der Referenzwiderstand exakt 10 Ω, kann das Multimeter Werte in diesem Bereich anzeigen und dennoch ist das Multimeter in Spezifikation.

Wird nun das Multimeter gegen eine reale Referenz mit ebenso einer Unsicherheit gemessen, so müssen diese Unsicherheiten addiert werden, was dem schlechtesten Messwert entspricht (Worst Case). Entsprechend dem angeführten Beispiel hat das Multimeter eine Unsicherheit von 36 ppm, der Referenzwiderstand eine Unsicherheit von 0,1 ppm. Wenn also das Multimeter gegen diesen Referenzwiderstand gemessen wird, braucht man sich in diesem Fall keine Gedanken über den Referenzwert des Widerstandes zu machen. Um eine nutzbare Referenz zu haben, muss die Genauigkeit dieser Referenz um einige Faktoren besser sein als das DUT. Eine Daumenregel besagt, dass im Minimum eine vierfach bessere Genauigkeit erforderlich ist. Hier gilt allerdings auch der empirische Grundsatz: Je mehr, desto besser.


  1. Do it yourself
  2. Warum sollte man all dieses tun?
  3. Die notwendigen Komponenten für einen DC-Kalibriermessplatz

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