Fehler vermeiden

VNAs richtig kalibrieren

27. Oktober 2015, 13:08 Uhr | Von Christian Sattler
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Welcher Genauigkeitsgrad kann erreicht werden?

Eine im Zusammenhang mit der VNA-Kalibrierung oft gestellte Frage betrifft die Genauigkeit, die erreichbar ist. Gewöhnlich spezifizieren Messgerätehersteller den Restfehler, wie beispielsweise Richtschärfe, Quellenanpassung, Lastanpassung und Transmission im Datenblatt (Tabelle). Im Allgemeinen sind diese Werte abhängig vom verwendeten Kalibrierungs-Kit, dem Kalibrierungsverfahren und dem Frequenzbereich. Während diese Werte das gesamte System spezifizieren, sagen sie nichts über die tatsächliche Messunsicherheit für ein individuelles Bauteil aus.

 Frequenzbereich (GHz) Richtfaktor (dB)Quelltoranpassung (dB)Lastanpassung (dB)
  0,00007 bis 0,01  >40  >40  >40
  0,01 bis 2,5  >43  >47  >43
 2,5 bis 20

>50

>47 >50
 20 bis 40 >48 >47 >48

Beispiele für Restfehler des Vektornetzwerkanalysators MS4644B von Anritsu nach einer 12-Term-Kalibrierung.(


Aus diesem Grund hat Anritsu ein kostenloses Software-Paket mit der Bezeichnung „Exact Uncertainty” veröffentlicht. Es ermöglicht dem Anwender, die Messtoleranzkurven für Transmissions- und Reflexionsmessungen zu berechnen und grafisch darzustellen, wenn der VectorStar bzw. die Lightning-VNA-Familie von Anritsu eingesetzt wird. Das Software-Paket berücksichtigt unterschiedliche Kali­brierverfahren und -Kits sowie weitere Messbedingungen, zum Beispiel die ZF-Bandbreite.

Der möglicherweise größte Vorteil des Software-Pakets besteht darin, dass es dem Anwender erlaubt, das eigentliche Messobjekt mit seinen individuellen S-Parametern zu spezifizieren. Es ist allgemein bekannt, dass jeder S-Parameter eines Zweitors durch die anderen drei Parameter beeinflusst wird. Daher werden die Berechnungen zur Messgenauigkeit viel realistischer, wenn das wahre Verhalten des Messobjekts berücksichtigt wird.

Die Darstellung der Toleranzkurve eines VNA lässt sich am besten an einem Beispiel illustrieren. Bild 3 zeigt die in der Realität erreichbare Messgenauigkeit bei Reflexionsmessung für einen 10-dB-Verstärker mit einer Eingangsanpassung von 20 dB. Hierbei kam ein Vektornetzwerkanalysator MS4644B von Anritsu zum Einsatz. Der Messaufbau bestand aus Testportkabeln mit einer Länge von 60 cm, und es herrschte im Verlaufe der Messung eine Temperaturdrift von 5 °C vor. Die Kalibrierung wurde mit Hilfe des AutoCal-Moduls 36585K von Anritsu über einen Frequenzbereich von 20 GHz bis 40 GHz durchgeführt. Die Kurve zeigt, dass die Messgenauigkeit für Reflexionsmessungen unter diesen Bedingungen zwischen ±0,7 dB und ±0,9 dB liegt.

Messunsicherheit der Messgröße bei Reflexionsmessungen für einen 10-dB-Verstärker
Bild 3. Messunsicherheit der Messgröße bei Reflexionsmessungen für einen 10-dB-Verstärker
© Anritsu

Es sollte angemerkt werden, dass die Messpraktiken des Anwenders ebenso einen spürbaren Effekt auf die erreichbare Messgenauigkeit haben. Die Verwendung eines Drehmomentschlüssels ist für gute und wiederholbare Kalibrierergebnisse obligatorisch. Der Umgang mit Verbindern und deren Reinigung sollten sorgsam erfolgen. Auch müssen die Kalibriernormale regelmäßig geprüft werden. Üblicherweise sollte ein Kalibrierungs-Kit alle zwölf Monate vom Hersteller überprüft und gegebenenfalls neu vermessen werden.

Bei seiner täglichen Arbeit kann der erfahrene VNA-Anwender auch bekannte Bauteile vermessen, die ihm ein bestimmtes Maß an Zuversicht geben, dass seine Kalibrierung gültig ist. Dies lässt sich beispielsweise durch das Messen bekannter Bauteile – etwa Komponenten eines Kalibrierungs-Kits – erreichen, die während des Kalibrierungvorgangs nicht zum Einsatz gekommen sind.

Wenn auch diese Methoden die offiziellen Verifizierungsverfahren, bei denen ein eigens dafür vorgesehenes Verifizierungs-Kit verwendet wird, nicht ersetzen, so bieten sie dennoch eine wichtige Plausibilitätskontrolle und sollten im Anschluss an jede Kalibrierung durchgeführt werden.

Entwicklung neuer Kalibrierverfahren

Die geläufigen OSLT- und LRL-Kalibrierverfahren sind seit Jahrzehnten bekannt. In letzter Zeit wurden jedoch Versuche unternommen, den Genauigkeitsgrad der Kalibrierungen selber zu verbessern und den Kalibrierungsablauf zu vereinfachen.

Die Genauigkeit von Kalibrierungen zu verbessern bedeutet, die Restfehler zu verringern. Dies kann auf verschiedenen Wegen erreicht werden. Die Genauigkeit lässt sich durch die Fertigung besserer Kalibriernormale erhöhen. So hat sich die Qualität von Loads beispielsweise in den letzten Jahren spürbar verbessert. War es in der Vergangenheit noch üblich, für qualitativ hochwertige Messungen der Rückflussdämpfung eine Gleitlast (Sliding Load) zu verwenden, so ist heute ein Breitbandabschluss für ein gutes Kalibrierergebnis bis zu 70 GHz ausreichend.

Eine verbesserte Modellierung der einzelnen Kalibrierkomponenten kann außerdem die Kalibriergenauigkeit erhöhen. Während ein Leerlauf schon immer durch ein einfaches mathematisches Modell beschrieben wurde, wird üblicherweise angenommen, dass ein Breitbandabschluss ein ideales Bauteil mit einem Reflexionsfaktor von Γ = 0 ist. Um den Breitbandabschluss auf Kalibriersubstraten besser zu beschreiben, kommt zuweilen ein erweitertes Modell zum Einsatz, das aus einer Induktivität und einer Parallelkapazität besteht.

Weitere Verbesserungen lassen sich durch das individuelle Charakterisieren der Normale erreichen. Die sich daraus ergebenden S1P-Dateien für Open, Short und Load können während des Kalibriervorgangs anstelle der einfachen Modelle verwendet werden. Diese Methode wird oft als datenbasierte Kalibrierung bezeichnet. Eine wichtige Voraussetzung für die datenbasierte Kalibrierung ist die Fähigkeit zur Charakterisierung der Kalibriernormale mit einer höheren Genauigkeit als derjenigen, die mit der herkömmlichen modellbasierten Darstellung erreicht wurde.

Ein weiterer Trend im Bereich der VNA-Kalibrierung ist der Einsatz automatischer Kalibriermodule. Diese Module beinhalten einen Satz von Kalibriernormalen, die im Verlaufe des Kali­briervorgangs vom VNA ausgewählt werden. Anfänglich wurden die Kali­briermodule für die Fertigung entwickelt, um Kalibrierfehler durch Personal, welches nur über geringe Erfahrung verfügt, zu vermeiden. Heutzutage werden AutoCal-Module sogar im F&E-Bereich genutzt.

Jedes AutoCal-Modul benötigt eine interne Umschaltmöglichkeit zur Auswahl der entsprechenden Kalibriernormale. Mechanische Schalter, die in der Vergangenheit eingesetzt wurden, mindern die Genauigkeit erheblich, da diese eine begrenzte Wiederholbarkeit und Lebensdauer aufweisen. Heutzutage Zeit wird in den AutoCal-Modulen von Anritsu ein PIN-Diodenschalter genutzt. Damit wird sogar eine höhere Genauigkeit erreicht, als das bei einer Sliding-Load-Kalibrierung bei Frequenzen von bis zu 70 GHz der Fall ist.

 

Der Autor

Christian Sattler  
 

hat über 30 Jahre Erfahrung auf dem Gebiet Hochfrequenz- und Mikrowellentechnik. Nach dem Studium der Elektrotechnik und Nachrichtentechnik war er als Entwicklungsingenieur tätig. Als Serviceleiter und später als Vertriebs- und Applikationsingenieur arbeitete er sieben Jahre für die deutsche Niederlassung der US-Firma Wiltron. Seit 1995 ist er bei Anritsu angestellt. Neben mehreren Positionen in Deutschland war er drei Jahre als Strategic Marketing Manager für Anritsu Japan tätig. In seinem derzeitigen Aufgabengebiet als Business Development Manager General Purpose betreut er Deutschland und Benelux.

christian.sattler@anritsu.com



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