Lizenzfreies Frequenzband für 5G

DECT-2020 für Massive IoT

11. Juli 2022, 6:00 Uhr | Kristian Sæther, Heikki Berg und Martin Lesund
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Fortsetzung des Artikels von Teil 1

Medium Access Control

Die aktuelle DECT-2020-Spezifikation des Medium Access Layer (MAC) definiert Punkt-zu-Punkt-Verbindungen, sternförmige und vermaschte Netzwerke. DECT-2020 verwendet eine 32-bit-Netzwerk-ID und eine 32-bit-Geräte-ID, um Netzwerke mit extrem hoher Knotendichte zu ermöglichen, für die es in der Praxis keine Obergrenze gibt. Die ersten 24 bit der 32-bit-Netzwerk-ID werden zur eindeutigen Identifizierung des Netzwerks verwendet. Die verbleibenden 8 niedrigwertigen Bits (LSBs) werden genutzt, um zwischen lokalen Funknetzen zu unterscheiden. In Kombination mit der 32-bit-Geräte-ID können bis zu vier Milliarden eindeutige Adressen innerhalb eines einzigen Netzes verwendet werden.

Aus dem Physical Layer Control Field, das auf dem Physical Control Channel der Bitübertragungsschicht übertragen wird, kann jeder Empfänger unter anderem die Netzwerk-ID, die Sender-ID und die Sendeleistung ermitteln. Auf diese Weise wissen alle Empfänger, welche Netze im lokalen Bereich aktiv sind, und können diese Informationen für die Frequenzkoordinierung nutzen. Dank dieser Schlüsselfunktion in den unteren Netzwerkschichten können verschiedene Netzwerke problemlos nebeneinander bestehen und im selben Gebiet zusammenarbeiten.

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Bild 2. Beispiele für DECT-2020-Netzwerke mit Leaf-, Sink- und Relay-Knoten
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In einem DECT-2020-Netz ist ein Gerät als Leaf-, Relay- oder Sink-Knoten definiert (Bild 2):

  • Sink Nodes (Senke) sind die Knoten mit einer Backbone-Verbindung.
  • Relay Nodes (Relais) sind die Knoten im Netz, die keine Backbone-Verbindung haben, aber den Verkehr ihrer angeschlossenen Leaf-Knoten an Sink-Knoten weiterleiten und um- gekehrt.
  • Leaf Nodes (Blatt) sind Knoten im Netzwerk, die keine Kinder haben. Leaf-Knoten sind mit Relay-Knoten oder direkt mit Sink-Knoten verbunden.

Bei der Gerätebereitstellung kann jedem Funkgerät die Rolle eines Leaf-, Relay- oder Sink-Knotens zugewiesen werden. Die Rollenauswahl kann jedoch auch autonom erfolgen und dazu dienen, selbstorganisierte, selbstheilende oder andere wichtige Netzmerkmale zu erreichen.

Wenn ein Relaisknoten aus irgendeinem Grund aus dem Netz entfernt wird oder verloren geht, kann das Netz die Daten zwischen dem betroffenen Sink und der Quelle wiederherstellen und umleiten, vorausgesetzt, es gibt einen anderen Knoten im Netz, der in ausreichender physischer Reichweite platziert ist, um die Rolle zu übernehmen.

Darüber hinaus könnte in einer Multi-Radio-Implementierung mit z.B. LTE- und DECT-Protokollstapeln auf demselben Gerät jeder beliebige Knoten bei Bedarf zum Sink-Knoten befördert werden, um z.B. Netzüberlastungsprobleme in einer Situation mit hohem Verkehrsaufkommen zu lösen.

All dies kann automatisch geschehen, ohne dass die Infrastruktur ausgetauscht oder ein Techniker vor Ort tätig werden muss. Außerdem fallen relativ geringe Hardwarekosten an, wenn zwei Protokoll-Stacks auf einem einzigen Gerät unterstützt werden. Dies vermeidet Kosten für den Betrieb und die Änderung der Netzinfrastruktur während der Betriebsdauer der Anwendung von sogar mehreren Jahrzehnten.

In einem vermaschten Netzwerk kann der Relaisknoten auch seine Rolle als Relais aufgeben und als Leaf-Knoten weiterarbeiten, um Energie zu sparen. Dies ist von Bedeutung, wenn eine relativ große Anzahl von Sink-Knoten im Netz eingerichtet wird, was eine wirtschaftlichere sternförmige Organisation ermöglicht.

Die Struktur des Netzwerks wird mit sogenannten Network und Cluster Beacons erfasst. Jedes Funkcluster, das von einem Relaisknoten angeführt wird, sendet diese Beacon-Signale in regelmäßigen Abständen aus. Der Zweck von Network Beacons ist es, den Netzwerkerkennungsprozess zu beschleunigen. Cluster-Beacons werden von jedem Clusterkopf ausgesendet. In der Praxis bedeutet dies, dass Funkgeräte entweder als Sink- oder Relaisknoten fungieren. Cluster-Beacons sind der »Broadcast-Kontrollkanal« des lokalen Funkclusters, der den angeschlossenen Funkgeräten sowohl Zugangsmechanismen als auch Seiten anzeigt.

Bevor ein Cluster-Beacon-Signal ausgelöst wird, wählt jedes Funkgerät – entweder im Sink- oder im Relaisknoten – den Betriebskanal selbständig aus, indem es die verfügbaren Funkkanäle überprüft und den am wenigsten belegten auswählt. Cluster können je nach Anwendungsfall mit unterschiedlichen Intervallen für die Beacon-Signale arbeiten. Hochverfügbare Echtzeitanwendungen wie die Fabrikautomatisierung können eine kürzere Beacon-Periode erfordern als z.B. die Verbrauchsmessung, bei der das Senden von Daten weniger zeitkritisch ist.

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Bild 3. DECT-2020-Netzwerkarchitektur für sternförmige Netzwerke und Punkt-zu-Punkt-Verbindungen
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Data Link Control Layer und Convergence Layer

Die Schichten Data Link Control (DLC) und Convergence (CVG) unterstützen eine flexible Systemarchitektur, wobei die DLC-Schicht die notwendigen Segmentierungs- und Paket-Routing-Funktionen für die MAC-Schicht bereitstellt und die Convergence-Schicht Anpassungsfunktionen zwischen den Protokollen der Anwendungsschicht und der DECT-2020-Funkschnittstelle bietet. Einen Überblick über die DECT-2020-Architektur in einer Punkt-zu-Punkt-Verbindung oder einem sternförmigen Netzwerk zeigt Bild 3.

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Bild 4. DECT-2020-Netzwerkarchitektur für ein vermaschtes Netzwerk
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Das folgende Bild 4 zeigt die Protokollarchitektur in einem vermaschten Netzwerk und Routing mit IPv6- und Nicht-IPv6-Anwendungen. Der Knoten in der Mitte empfängt die Pakete und leitet sie an den Randknoten mit Backbone-Verbindung weiter. Das Routing der Pakete findet also auf der DLC-Schicht statt.

Die DLC-Schicht kann in drei verschiedenen Dienstmodi arbeiten, die auf QoS- und Formatanforderungen der Anwendungsdaten basieren. Die Dienstmodi sind Transparent Mode, Segmentation Mode und DLC ARQ Mode.

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Bild 5. Details der DECT-2020-DLC-Schicht
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Der transparente Modus ist, wie der Name schon sagt, für die Konvergenzschicht transparent, sodass die Paketdaten für eine MAC-SDU (Service Data Unit) entsprechend dimensioniert sein müssen. Im Segmentierungsmodus wird die DLC-SDU in Pakete geeigneter Größe für unabhängige Übertragungen über MAC segmentiert und am anderen Ende zu vollständigen DLC-SDUs zusammengesetzt.

Der in Bild 5 dargestellte DLC-ARQ-Modus ist eine Weiterentwicklung des Segmentierungsmodus, bei dem der hybride ARQ-Mechanismus der MAC-Schicht ausschließlich dazu verwendet wird, die Notwendigkeit der erneuten Übertragung einzelner DLC-Segmente und nicht einer vollständigen DLC-SDU zu signalisieren.

Die Paketweiterleitung verarbeitet vollständige DLC-SDUs. Das Paket-Routing zum Backend (Uplink) basiert auf einer erweiterten Baumstruktur (Cluster Tree). Wenn ein Knoten Daten an das Backend sendet, verwendet er eine bestimmte Backend-Adresse (0xFFFFFFFE) als Zieladresse.

Die Paketweiterleitung vom Backend (Downlink) basiert auf selektivem Fluten (Flooding) in einem Cluster Tree. Die Paketweiterleitung zwischen Knoten in einer Cluster-Tree-Topologie verwendet selektives Hop-limited Flooding, bei dem ein Knoten nur dann Daten an ein Ziel sendet, wenn eine Verbindung zwischen den Knoten besteht. Und der Knoten selbst ist das Ziel des Pakets. Andernfalls werden die Daten mit einer begrenzten Anzahl von Sprüngen in die Funknachbarschaft gesendet.

Zusätzlich bietet die Konvergenzschicht einen Endpunkt-Multiplexing-Dienst, einen Übertragungsdienst mit Segmentierung und Wiederzusammensetzung, Neuübertragung, Flusskontrolle, Lebenszeitkontrolle, Duplikatentfernung, Zustellungsauftragsdienst und einen Sicherheitsdienst mit Verschlüsselung und Integritätsschutz. Die Konvergenzschicht arbeitet Ende-zu-Ende zwischen den Endgeräten, und die Zwischenknoten im Maschennetz verarbeiten die Nutzdaten der Konvergenzschicht nicht – wie in Bild 4 dargestellt.

Die fehlende Funktechnik für das IoT

DECT-2020 schließt eine Lücke bei Funknetzwerken. Viele IoT-Anwendungen werden bisher nicht realisiert, weil sie die Zuverlässigkeit und niedrige Latenz einer kabelgebundenen Verbindung benötigen, aber nur ohne die physischen Einschränkungen von Kabeln sinnvoll umgesetzt werden können, beispielsweise wegen der hohen Knotendichte im Bereich von 1 Mio. Knoten/km2.

Für viele IoT-Anforderungen bietet DECT-2020 eine elegante technische Lösung. In erster Linie bringt DECT-2020 eine neue Reihe von Fähigkeiten und Möglichkeiten in einen offenen und lizenzfreien Funkstandard. Zweitens kann DECT-2020 heute einen eigenen global verfügbaren Frequenzbereich bei 1,9 GHz nutzen, und der Standard ist darauf vorbereitet, auf andere Frequenzzuweisungen bis zum 6-GHz-Bereich zu skalieren.

Und da DECT-2020 weltweit dieselbe Betriebsfrequenz und denselben Transceiver nutzen kann, verfügen DECT-2020-Endgeräte über eine einzige Stückliste und Gerätekonfiguration, egal wo es eingesetzt werden soll. Das ist bei vielen der bestehenden Funktechniken, die im lizenzfreien Frequenzbereich arbeiten, nicht der Fall. Diese stützen sich auf eine Reihe verschiedener SRD/ISM-Bänder (Short Range Device/Industrial, Scientific and Medical) mit lokalen Vorschriften, was dazu führt, dass regionalspezifische Varianten oder zusätzliche Funktionen erforderlich sind, die alle die Gesamtkosten erhöhen.

Version 1 der DECT-2020-Spezifikation ist verfügbar und wird die Grundlage für die ersten kommerziellen DECT-2020-Produkte von Wirepas, Nordic Semiconductor und anderen Herstellern bilden. Sie steht jedem offen, der sich weiter mit ihr befassen oder einen Beitrag zu den laufenden DECT-2020-Entwicklungen leisten möchte.

Obwohl DECT-2020 keine Mobilfunktechnik ist, weist seine Implementierung grundlegende Ähnlichkeiten mit der zellularen Funktechnik auf. Dazu gehört die Verwendung einer modernen und robusten Funk-Bitübertragungsschicht mit Modulations- und Codierungsschemata, die jedem aus der Mobilfunkwelt bekannt sein dürften.

Hinzu kommen selbstorganisierende Netzwerkfähigkeiten, hochentwickelte Interferenzvermeidung und Koexistenz sowie Zuverlässigkeit, Sicherheit und Leistung bei hoher Knotendichte (Massive IoT). DECT-2020 hat sich seinen Platz in den 5G-Standards redlich verdient.

 

Die Autoren

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Martin Lesund, Nordic Semiconductor
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Martin Lesund

geboren in Trondheim, Norwegen, ist Technical Marketing Manager – Cellular IoT bei Nordic Semiconductor. Zuvor arbeitete er über drei Jahre als Applikationsingenieur in der Technical Support Group bei Nordic, wo er sich auf die nRF91-Serie, nRF Connect SDK und Cellular IoT konzentrierte. Jetzt unterstützt er Kunden dabei, die bestmögliche IoT-Funktechnik für ihre neuen Anwendungen zu verstehen und einzusetzen.

Lesund hat sein Studium der Elektrotechnik an der Technisch-Naturwissenschaftlichen Universität Norwegens (NTNU) in Trondheim mit dem Master (M. Sc.) abgeschlossen.

martin.lesund@nordicsemi.no

 

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Heikki Berg, Nordic Semiconductor
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Heikki Berg

wurde in Kemijärvi, Finnland, geboren und hat Telekommunikation (M. Sc.) an der Universität Oulu studiert. Er verfügt über mehr als 25 Jahre Erfahrung in der Signalverarbeitung und im Entwickeln von Funksystemen sowie in der Implementierung von Soft- und Hardware von Funksystemen. Berg kam 2019 zu Nordic Semiconductor und ist Architekt für die DECT-Implementierung. Er ist auch der Verfasser des Kapitels über den Physical Layer in der DECT-Standardisierung des ETSI.

heikki.berg@nordicsemi.no

 

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Kristian Sæther, Nordic Semiconductor
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Kristian Sæther

wurde in Lillehammer, Norwegen, geboren und hat sein Kybernetik-Studium an der Technisch-Naturwissenschaftlichen Universität Norwegens (NTNU) in Trondheim mit dem Master abgeschlossen. Er verfügt über mehr als 18 Jahre Erfahrung in verschiedenen Funktionen in den Bereichen F&E, Anwendungen, Marketing und Produktmanagement für Mikrocontroller, Prozessoren, UWB-Radar und Funksysteme. Sæther kam 2019 zu Nordic Semiconductor und ist Produktmanager für mobilfunkbasierte IoT-Anwendungen und DECT.

kristian.saether@nordicsemi.no


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