Erfahrungsgemäß stehen die Aussichten, dass die Prognosen des Wetterberichts zutreffen, 50:50. Ähnlich sieht es derzeit offenbar mit der Versorgungslage des deutschen und europäischen Bauelementemarktes in den nächsten Monaten aus: Neigt man dazu, ein halb leeres Wasserglas als halb voll zu interpretieren, dann werden die nächsten zwei, drei Monate wohl ohne besondere Beeinträchtigungen vorübergehen.
Deutet man die Aussagen am Markt vorsichtiger, dann scheint sich etwas zusammenzubrauen. Zwar war der Schock unmittelbar nach der Naturkatastrophe in Japan groß, aber die Komplexität der Auswirkungen und das hinzukommende Problem »Fukushima« sorgten dafür, dass über die Auswirkungen dieses Ereignisses auf die Elektronikbranche in den ersten Wochen nur vage Einschätzungen kursierten. Eine vor kurzem veröffentlichte Studie, was eine ähnliche Katastrophe in Taiwan für die Elektronikindustrie bedeuten würde, kam übrigens zu drastischen Ergebnissen: Im Halbleiterbereich würde ziemlich schnell nur noch ziemlich wenig gehen.
Im Fall Japan mehren sich die positiven Nachrichten: So hat eine Reihe von beschädigten Fabs außerhalb der Evakuierungszone inzwischen wieder die Produktion aufgenommen, sie werden ihr volles Produktionsvolumen wohl spätestens im Mai/Juni wieder erreichen. Doch gleichzeitig wird klar, dass der Puffer der Waren, die vor der Katastrophe produziert wurden, allmählich abschmilzt. Die Lieferkette droht auszutrocknen. Das gilt natürlich nicht im Allgemeinen, sondern nur für diejenigen Produkte, die durch die Ereignisse in Japan besonders betroffen sind, wie etwa Elektrolytkondensatoren. Es mag ja sein, dass sich die eine oder andere Produktionslinie im Bedarfsfall verlagern lässt, aber wenn auch die Fabs für die Basismaterialien von den Auswirkungen der Katastrophe betroffen sind, dann hilft auch eine Produktionsverlagerung nicht mehr.
Während Elektronikhersteller in Deutschland also darauf warten, was die Lieferkette in den nächsten Monaten noch in der Lage ist zu leisten, äußern die Ersten Zweifel daran, dass es wirklich zu Verknappungen kommt. Eigentlich, so der Vorwurf, müssten ja alle Abnehmer im gleichen Maße von den Problemen betroffen sein. Offensichtlich ist dem aber nicht so.
Zu einer wirklichen Herausforderung könnten die nächsten Monate für diejenigen werden, die sich auch 2011 hoher zweistelliger Zuwachsraten erfreuen dürfen. Mit Second-Sourcing dürfte es dort oftmals nicht mehr getan sein. »Sonderfreigabe« dürfte die meistgenutzte Vokabel in den Qualifizierungsprozessen der letzten Wochen gelautet haben.
Und König Kunde, der sehr wohl darüber informiert ist, dass die Mehrzahl der für Europa produzierten japanischen Autos eben auch in Europa hergestellt werden, ist nur schwer zu erklären, warum sich sein Liefertermin auf einmal um vier Wochen oder mehr nach hinten schiebt. Ob das mit den Ereignissen in Japan in Zusammenhang gebracht und Verständnis aufgebracht wird, bleibt abzuwarten. Wir leben in schnelllebigen Zeiten. Noch im Sommer 2008 hätten wohl auch die alten Haudegen der Branche es nicht für möglich gehalten, welche Herausforderungen auf sie in den nächsten drei Jahren zukommen könnten.