Entwicklung von Embedded Systemen

Tipps gegen die Chipkrise und andere Risiken

16. August 2021, 6:00 Uhr | Harry Schubert
Johannes Lask, Produktmanager bei Segger Microcontroller für das Embedded-Betriebssystem emPower OS: »Ich bin sehr glücklich, dass wir so vielen Industrieunternehmen während der Chipkrise mit emPower OS aus der Patsche helfen können«.
© Segger Microcontroller

Hersteller von Embedded-Systemen leiden aktuell unter Lieferschwierigkeiten großer Halbleiterhersteller, der Chipkrise. Sie stellt auch Entwickler vor Herausforderungen. Im Interview erklärt Johannes Lask, von Segger, wie Industrieunternehmen die Chipkrise und andere Risiken managen können.

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Seit dem Stillstand von Fließbändern in der Automobilindustrie ist die Chipkrise auch zum Thema der Wirtschaftspresse geworden. Neben der Verknappung von Mikroprozessoren gibt es für Entwickler von Embedded-Systemen jedoch noch weitere Risiken zu bedenken. Im Interview mit der Elektronik verrät Johannes Lask, als Produktmanager bei Segger Microcontroller verantwortlich für das Embedded-Betriebssystem emPower OS, was Industrieunternehmen aktuell tun können. Er zeigt Risiken auf und gibt Tipps, um als Unternehmen unempfindlicher gegen Risiken zu werden.

?   Sogar überregionale Tageszeitungen berichten über den globalen Chipmangel, der die Bänder deutscher Automobilhersteller stilllegt und zu Kurzarbeit führt. Wie sieht es eigentlich bei den mittelständigen Unternehmen aus?

!   Johannes Lask: Noch schlimmer. Wir haben ja sehr viele kleine und mittelgroße Industrieunternehmen als Kunden und sehen die Auswirkungen unmittelbar. Die Unternehmen äußern sich in der Regel dazu nicht öffentlich, da sie nicht mit der Chipkrise in Verbindung gebracht werden und ihre Kunden nicht verunsichern wollen. Aber natürlich haben sie bei Halbleiterherstellern noch weniger Einkaufsmacht als z.B. ein VW-Konzern oder die großen Consumer-Elektronik-Hersteller wie Apple oder Samsung (Bild 1), Lieferzeiten bis ins Jahr 2022 für bestimmte Mikrocontroller sind derzeit leider nicht ungewöhnlich.

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Umsatzverteilung von TSMC für das Jahr 2020.
Bild 1. Der größte Auftragsfertiger für Halbleiter, TSMC (Taiwan Semiconductor Manufacturing Company), hat 2020 81 % seines Umsatzes in zwei Bereichen erwirtschaftet: leistungsfähige Computer und Smartphones.
© Segger Microcontroller

?   Was kann ein Unternehmen tun, das die benötigten Mikrocontroller nicht mehr wie gewohnt bekommt?

!   Lask: Es kommt darauf an, man muss den Markt sehr differenziert betrachten. Obwohl es z.B. bestimmte Cortex-M4-MCUs eines großen europäischen Halbleiterherstellers nicht mehr gibt, sind Alternativen aus Übersee verfügbar. Die große Frage lautet jedoch, wenn ich jetzt diese Mikrocontroller einkaufe, helfen sie mir zeitnah weiter.

Viele industrielle Unternehmen, die mit Embedded-Systemen arbeiten, waren und sind der Versuchung erlegen, für die Softwareentwicklung die kostenlosen Tools der jeweiligen Halbleiterhersteller einzusetzen. Tatsächlich sollen die Tools die Kunden an die Produkte des jeweiligen Halbleiterherstellers binden und ihm die freie Auswahl am Markt de facto unmöglich machen. Zwei Beispiele: Sie können den USB-Stack eines Halbleiterherstellers nicht für einen Baustein eines anderen Herstellers verwenden. Der Wechsel von einem limitierten RTOS auf ein anderes RTOS ist zumindest sehr aufwändig.

?   Segger bezeichnet sein Betriebssystem emPower OS als „All-in-One” Embedded-Betriebssystem. Was ist da anders?

!   Lask: Ganz einfach: emPower OS unterstützt out of the box fast 1.000 Mikrocontroller-BSPs und kann mit geringem Aufwand an rund 5.000 Derivate angepasst werden – ohne die Kunden-Anwendung neu schreiben zu müssen. Wir haben Kunden, die mit emPower OS in zwei Wochen von einem Mikrocontroller auf den eines anderen Herstellers gewechselt haben – diese zwei Wochen brauchten sie für das Redesign der Platine.

Einen Kunden darf ich sogar explizit benennen, weil wir ihm schon zweimal helfen konnten: Carel Industries, mit über 330 Mio. Euro Umsatz pro Jahr und mehr als 1.700 Mitarbeitern ein großer Anbieter u.a. von High-End-Steuerungen, musste einmal von einer nicht lieferbaren MCU-Familie zu einer anderen MCU desselben Herstellers und dann auf eine MCU eines anderen Herstellers wechseln. Betroffen war eine Produktfamilie, die extrem hohes Wachstum im Markt aufweist, da wäre ein Produktionsstillstand besonders schmerzhaft gewesen.

Vier Möglichkeiten die Chipkrise zu managen.
Bild 2. Im Vergleich von vier Vorgehensmodellen für Unternehmen, die von einem Lieferstopp eines Mikrocontrollers betroffen sind, bietet der Einsatz des Betriebssystems emPower OS die Chance ohne Produktionsstillstand die Krise zu meistern.
© Segger Microcontroller

In der Grafik (Bild 2) haben wir alle Alternativen bei einem Lieferstopp von den bislang eingesetzten Mikrocontrollern zusammengefasst und die jeweils resultierende Dauer eines potenziellen Produktionsstopps. Gar nichts tun und versuchen, die Sache auszusitzen, ist natürlich die schlechteste Alternative. Wer schon heute mit emPower OS arbeitet, kann übergangslos wechseln. Aber selbst Entwickler, die heute noch nicht emPower OS einsetzen, profitieren z.B. davon, dass unser RTOS alle möglichen Methoden und Objekte zur Intertask-Kommunikation bietet und einen Umstieg sehr einfach macht.

Mikrocontroller-Hersteller gehen gerne Partnerschaften mit einzelnen Cloud-Anbietern ein, um ihren Kunden alles aus einer Hand zu bieten, inklusive Cloud-Anbindung. Auch hier gibt es jedoch das Problem der Abhängigkeit wie beim Chip. Ein Wechsel zu einem anderen Cloud-Anbieter erfordert in der Regel einen unrealistischen Aufwand für die Portierung der Software, ganz zu schweigen vom erneuten Testen und Debuggen. Das Betriebssystem emPower OS läuft nicht nur wie gesagt auf tausenden Mikrocontrollern, sondern kann auch mit den Services aller gängigen Cloud-Anbietern verbunden werden.

Zwar haben Halbleiterhersteller wie TSMC, Intel und Globalfoundries angekündigt, massiv in neue Kapazitäten zu investieren, doch die stehen frühestens in 5 Jahren zur Verfügung. Das hilft kurzfristig Niemandem. Die Politik war leider über Dekaden der Meinung, dass Halbleiter, ähnlich wie Schrauben, Produkte sind, die man bei Bedarf irgendwo auf dem Weltmarkt kaufen kann – ein verheerender Irrtum, aber es wollte ja niemand auf die warnenden Stimmen z.B. aus den Reihen des ZVEI oder VDE hören.

?   Abgesehen von der Chipkrise, welche Risiken warten noch auf Entwickler von Embedded-Systemen?

!   Lask: Es gibt die Produktrisiken, die neben Lieferengpässen natürlich auch Preiserhöhungen und gesetzliche Änderungen oder Neuerungen umfassen. Dann die Unternehmensrisiken, welche die Lieferanten – gemeint sind neben Halbleiterherstellern natürlich auch Software-Lieferanten – auch als Unternehmen beleuchten: Wie stabil ist mein Zulieferer? Kann sein Image Auswirkungen auf die Reputation meines Unternehmens haben? Arbeitet er nachhaltig im Hinblick auf Umwelt und Gesellschaft? Ist er zuverlässig? Wie sieht es mit Qualität und Innovationsbereitschaft aus?

Hinzu kommen dann noch sogenannte Länderrisiken. Sie betreffen die finanzielle Stabilität eines Landes in der Lieferkette, Compliance bzw. Korruption, aber auch die Beachtung bestimmter Rechte oder Vorschriften. Natürlich auch die Frage der Auswirkungen regionaler Naturgefahren oder Pandemien, wie wir leider in den letzten anderthalb Jahren erleben mussten. Und wie wir spätestens seit der Blockade des Suez-Kanales wissen, gibt es auch Transportrisiken in der globalen Supply-Chain.

?   Was sind aus Ihrer Sicht die größten Risiken auf Unternehmensebene?

!   Lask: In den letzten Jahren gab es in der Halbleiter- und Software-Industrie reichlich Übernahmen. Die Folge ist häufig die Aufgabe von »nicht mehr strategischen« Geschäftsfeldern, die möglicherweise einfach eine zu geringe Marge abwerfen. Ein Beispiel ist der Kauf des ehemals unabhängigen Embedded-Software-Anbieters Micrium durch den Halbleiterhersteller Silicon Labs, dessen primäres und verständliches Interesse natürlich darin besteht, seine eigenen Chips zu verkaufen und zu unterstützen und nicht die Bausteine von STMicroelectronics, NXP, Renesas oder Microchip.

Johannes Lask, Produktmanager bei Segger Microcontroller, in seinem Büro.
Bild 3. Johannes Lask in seinem Büro in der Firmenzentrale in Monheim am Rhein: »Für die kostenlose Software der Halbleiterhersteller bekommen Sie keinen adäquaten Support«.
© Segger Microcontroller

Die Lizenzbedingungen für Entwicklungsumgebungen und Embedded-Software-Bibliotheken können versteckte Risiken bergen: Ist es mit dieser Lizenz möglich, im Falle einer Insolvenz oder Übernahme des Zulieferers von einem Produkt auf ein anderes zu migrieren oder mit dem lizenzierten Produkt weiter zu arbeiten? Wenn es möglich ist, wie schwierig ist es, welche Ressourcen werden benötigt, und kann man es selbst weiterentwickeln? Bei einem Lizenz-Abonnement-Modell beispielsweise ist der Kunde formal nicht der Eigentümer der Software. Wenn der Hersteller nicht mehr existiert, gibt es oft keine Möglichkeit mehr, die Software weiterzuführen.

Ein anderes Beispiel ist das Software-Lizenzmanagement, bei dem einige Anbieter mit Hardware-Locks (Dongles) oder Netzwerklizenzen arbeiten. Bei Netzwerklizenzen muss man den administrativen Aufwand beachten: Welcher Mitarbeiter darf wann mit welcher Lizenz arbeiten. Demgegenüber bedeutet ein kaputter Dongle jedoch, dass die Arbeit erst einmal stillsteht. Und dann ist da noch die Frage der Softwarequalität. Eine Evaluierungsversion ohne vollen Funktionsumfang bedeutet, dass Sie Teile der Software nicht evaluieren können. Sie müssen sich auf das Versprechen des Anbieters verlassen, dass diese nicht freigegebenen Teile die geforderten Qualitätsstandards erfüllen.

?   Wie sehen für Sie risikoarme Lizenzbedingungen aus?

!   Lask: Das Lizenzierungsmodell von Segger für emPower OS ist einfach und risikofrei für den Kunden: Alle Komponenten werden im Quellcode geliefert, was volle Transparenz und Portabilität ermöglicht. Es gibt keine undurchsichtigen Bibliotheken. Unter der kommerziellen Lizenzierung von Segger ist unsere Software lizenzgebührenfrei. Das bedeutet, dass jede erworbene Lizenz eine einmalige Zahlung ist, wodurch die Software zu einem Teil der Gerätekosten wird. Diese Kosten sind statisch. Für Schulungs- und Evaluierungszwecke ist die Nutzung der Objektcode-Bibliotheken kostenlos. Der Kunde kann also den vollen Funktionsumfang testen, bevor er die Software lizenziert. Zusätzlich bekommt er nach dem Kauf sechs Monate kostenlosen Support und Updates.

?   Erlaubt die Lizenz, dass Ihre Kunden ihren Code schützen können oder müssen sie wie bei Open Source Software mit Copyleft-Nutzungslizenzen wie der GPL den Quellcode eigener Entwicklungen offenlegen? 

!   Lask: Nein, emPower OS ist nicht durch eine virale oder copyleft-Lizenz abgedeckt. Daher drohen keine Rechtsstreitigkeiten mit der FSF oder anderen Urheberrechtsinhabern wegen Nichteinhaltung, die möglicherweise die Offenlegung des Quellcodes unserer Kunden erzwingen würden.

?   Vor einigen Jahren erlangte die »Entity List« der US-Regierung Berühmtheit, eine Art schwarze Liste auf der überwiegend chinesische Unternehmen stehen. Worauf sollten Unternehmen achten?

!   Lask: Die Auswirkungen sind drastisch:  Nicht nur, dass US-Firmen eine Sondergenehmigung benötigen, um die gelisteten Firmen mit ihren Produkten zu beliefern, auch für die Lieferung von Produkten, die geistiges Eigentum oder Komponenten von US-Firmen enthalten oder in den USA entwickelt wurden, ist eine Lizenz erforderlich.

Einkäufer von Hard- und Softwarekomponenten sollten bei ihren Lieferanten daher darauf achten, dass deren Komponenten eingebaut werden können, ohne dass das damit entwickelte Endprodukt von Exportbeschränkungen betroffen ist. Unser Betriebssystem emPower OS wird beispielsweise komplett in Westeuropa entwickelt. Es ist nicht mit US-Exportbeschränkungen belastet und enthält keinen in den USA entwickelten Code. Die Segger-Software ist zu einem einmaligen Festpreis ohne versteckte Folgekosten erhältlich. Und alles ist »Made in Germany«.

?   In vielen Firmen ist der Preis das wichtigste Entscheidungskriterium. Welchen »Preis« haben die genannten Risiken?

!   Lask: Wenn eines oder mehrerer der genannten Risiken eintritt, ist Ihre Kalkulation reif für den Papierkorb, dann wird es richtig teuer. In einem Risiko-Management-Seminar lernen Sie in der ersten Stunde, Risiken wirtschaftlich zu bewerten: Risiko in Euro ist gleich dem potenziellen Schaden multipliziert mit der Eintrittswahrscheinlichkeit. Der Industrie gehen durch die Chipkrise gerade Milliarden Euro durch Produktionsausfälle verloren. Was nützt es da, wenn man bislang ein paar Cent beim Mikrocontroller und vergleichsweise geringen Investitionen in Software gespart hat?

Zudem bekommen Sie in der Regel für die kostenlose Software der Halbleiterhersteller keinen Support und müssen dafür externe Consulting-Unternehmen beauftragen, die Sie natürlich bezahlen müssen – für die Ersteinrichtung und auch für den Wechsel.

Die Chipknappheit ist nur die Spitze des Eisbergs.
Johannes Lask, Produktmanager bei Segger Microcontroller für das Embedded-Betriebssystem emPower OS:
© Segger Microcontroller

Relevant für die effektiven Produktkosten einer Software sind auch die Fragen, ob und in welchem Umfang ein Anbieter bereit ist, bei Anpassungsbedarf seiner Software überhaupt mit einzelnen Kunden zusammenzuarbeiten und welche Unterstützung angeboten wird. Dies gilt insbesondere dann, wenn Softwarekomponenten von mehreren Lieferanten bezogen werden, die dann optimal zusammenarbeiten müssen. Denn ein »out of the box«-Erlebnis wird in solchen Fällen kaum möglich sein: Ein RTOS von Anbieter A, ein IP-Stack von Anbieter B, ein Krypto- und Sicherheitsmodul von Anbieter C, all das wird mehr oder weniger manuellen Anpassungsaufwand erfordern. Handelt es sich bei dem Kunden um ein großes Unternehmen wie Apple, wird die Unterstützung durch die jeweiligen Lieferanten wahrscheinlich nicht ausbleiben, aber was ist mit kleinen oder mittelständischen Unternehmen?

?   Nochmal zurück zu emPower OS, dem „All-in-One”-Embedded-Betriebssystem wie Sie es nennen. Woraus besteht es genau?

!   Lask: Mit emPower OS bieten wir alle Komponenten, die ein Softwareentwickler für die Entwicklung von Embedded-Anwendungen benötigt. Dazu gehören ein Echtzeit-Betriebssystem, drahtgebundene und drahtlose Konnektivität, Gestaltung von grafischen Benutzeroberflächen, Datenkompression und Sicherheit bei der Anbindung an die Cloud.

Es besteht keine Notwendigkeit, Software von Drittanbietern zu integrieren, was die Risiken und Kosten des Entwicklungsprozesses reduziert. Darüber hinaus wird emPower OS von Segger-Ingenieuren kontinuierlich verbessert und erweitert. Sie arbeiten gerne mit Kunden zusammen, um eine individuelle Lösung auch für exotische Hardware zu finden. Zusammen mit unserer IDE Embedded Studio und unseren J-Link-Debuggern bieten wir eine One-Stop-Solution für Embedded Entwickler.

?   Herr Lask, vielen Dank für Ihre Zeit.

 

 

Literatur

[1] emPower OS – The High-Performance Software Platform. Segger Microcontroller, Website, www.segger.com/products/empoweros.

[2] Kinzler, P.; et al.: Lieferanten-Risikomanagement in der deutschen Automobilindustrie 2020. Deloitte, Mai 2020, www2.deloitte.com/content/dam/Deloitte/de/Documents/finance/Supplier_risk_management_Studie_2020.pdf


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