Markus Roschel ist CEO der Selcom-Gruppe und hat mit dem Verkauf von Flextronics SBS in Paderborn diese Funktion auch für den dortigen Standort übernommen, der jetzt unter dem Namen Periscope firmiert. Was sich ändern wird, berichtet er im Interview.
Markt&Technik: Vor 18 Monaten hat die Investorengruppe 4K Invest die Selcom Gruppe, ebenfalls ein EMS, übernommen. Vor wenigen Wochen folgte der Flextronics Standort Paderborn. Wie entstand dieser Kaufentschluss?
Markus Roschel: Flextronics wollte verkaufen und 4K Invest, die Eigentümer der Selcom-Gruppe, wollte sich eine industrielle Basis im deutschen Markt verschaffen. Wir hatten vorher keine deutsche Produktion. Die Selcom-Gruppe ist der größte italienische EMS Dienstleister mit Standorten in Bologna, Longarone und Sizilien. Fertigungsstandorte gibt es neben Italien auch in Shanghai und Tunesien. Insgesamt werden wir in diesem Geschäftsjahr voraussichtlich etwa 300 Millionen Umsatz erwirtschaften. Sie sehen also, wir sind kein kleines Unternehmen, sondern ein solider Mittelständler.
Deutschland ist bekanntlich der größte Markt in Europa und daher möchten wir auch hier präsent sein. Wir sind der Meinung, dass wir nun mit den technischen Möglichkeiten, die wir in Paderborn vorfinden, sehr gut aufgestellt sind. Periscope sehen wir ganz klar als mittelständisches Unternehmen und streben in diesem Geschäftsjahr eine Umsatzgröße von 100 Mio Euro an.
Warum hat Flextronics verkauft?
Ganz einfach, weil Flextronics SBS in Paderborn nicht mehr zum Kerngeschäft zählte.
Wird Periscope organisatorisch mit der Selcom-Gruppe zusammengeführt? Oder wie soll eine Zusammenarbeit aussehen?
Wir nutzen natürlich die Synergien an den Stellen, an denen es sinnvoll ist. Wir arbeiten derzeit im Einkauf und Vertrieb zusammen und tauschen uns im Technologiebereich aus, das heißt zum Beispiel, dass Selcom Entwicklungsdienstleistungen für Projekte von Periscope erbringen kann. Flextronics SBS und jetzt Periscope haben in Paderborn keine eigene Entwicklung. Aber eine spätere Fusion ist auch nicht ausgeschlossen …
Wie sehen die nächsten Schritte aus? Von heute auf morgen wird so eine Übernahme ja nicht funktionieren …
Das ist richtig. Flextronics ist ein riesiger Konzern und daher gab sehr viele globale Services, die Flextronics SBS in Paderborn in Anspruch genommen hat. Das heißt für uns, dass wir als erstes in einem Carve Out Prozess, den Standort aus dem Flextronics Konzern herauslösen, so dass wir komplett selbständig agieren können. Somit sind wir seit der Übernahme beschäftigt, neue eigene Systeme und Prozesse aufzubauen. Dazu zählen eine eigene Buchhaltung, eine eigene Verwaltung und eine eigene IT-Infrastruktur. Das wird uns noch bis Ende des Jahres beschäftigen.
In der Übergangszeit bestehen die Services bestehen erst einmal weiter. Alles läuft in bester Zusammenarbeit mit Flextronics, da Flextronics ja auch ein Interesse daran hat, dass die Entwicklung des Standortes gut weitergeht.
Wie viel werden Sie in die eigenen Strukturen investieren müssen?
Der größte Teil der Investitionen wird auf die IT-Infrastruktur entfallen. Hier werden wir zwei bis drei Mio Euro investieren.
Wird es innerhalb der Selcom-Gruppe bzw. Periscope weitere Zukäufe im EMS-Sektor geben? Ich habe gehört, Sie wollen sich noch im Medizinsektor verstärken?
Medizinelektronik ist einer unserer Ziel-Märkte, das ist richtig. – Aber wir wollen insgesamt organisch und auch anorganisch wachsen. Wir sind der Meinung, dass der EMS-Markt europa- und weltweit durchaus noch Konsolidierung verträgt. Wir führen derzeit weitere Gespräche. Details kann ich aber noch keine nennen.
Was wird sich – abgesehen vom Namen – organisatorisch noch ändern in Paderborn?
Es gab vorher den General Manager, der hat das Unternehmen verlassen. Neben mir als CEO haben wir seit 4. August einen Co-Geschäftsführer an Board: Heinrich Ollendiek, verantwortet als CFO und Geschäftsführer die Verwaltung und Administration, also die Bereiche, die vorher zentral von Flextronics abgewickelt wurden.
Wird Personal abgebaut?
Wir müssen uns auf alle Fälle effizienter aufstellen. Dazu führen wir im Moment Gespräche mit Gewerkschaften und Betriebsrat. Auch dazu kann ich Ihnen aktuell nicht mehr sagen.
Kerngeschäft oder nicht - wenn Flextronics den Standort verkauft, ist anzunehmen, dass er nicht rentabel war. Wie wollen Sie nun wieder für Rentabilität sorgen?
Wie gesagt: Wir müssen unsere Kostenstrukturen verbessern und das betrifft alle Bereiche des Unternehmens. Dazu bekommen wir von unserem Investor 4K Invest ein erfahrenes Restrukturierungsteam zur Seite gestellt, mit dem wir gemeinsam die Einsparpotenziale schnell erkennen und realisieren.
Es ist natürlich unser kurz- und mittelfristiges Ziel auch über den Umsatz wieder zu wachsen. Paderborn ist für uns nicht irgendein weiterer Standort, sondern der Standort Nummer 1! Wir haben mehr Flexibilität, als es im Konzernverbund möglich war. Wir können flexibler und schneller agieren.
Nun profitierte Flextronics SBS in Paderborn sicher von den günstigen Einkaufskonditionen der Konzernmutter. Diese Vorteile fallen ja nun weg – inwieweit ändern sich die Lieferantenpartner jetzt?
Wir nutzen derzeit noch Flextronics als Sourcing-Partner, aber das ist befristet so lange bis wir den Carve Out abgeschlossen haben. Aber die Lieferanten im Markt sind ja für alle die gleichen. Vor allem müssen wir ja weiter die zertifizierten Komponenten für unsere Kundenprojekte kaufen und können nicht einfach umstellen. Ich bin aber überzeugt davon, dass wir durch die Synergien mit der Selcom-Gruppe auch in Zukunft wettbewerbsfähig einkaufen.
Was spricht Ihrer Ansicht nach für den Standort Paderborn?
Technologische Kompetenz und das KnowHow der Mitarbeiter. Wir sind hier in der Lage Boards zu fertigen, die technologisch sehr anspruchsvoll sind, zum Beispiel für Automotive und Industrieanwendungen. Ich kann mit Fug und Recht sagen, dass wir hier Boards fertigen, die nicht jeder fertigen kann. Unser Fertigungsspektrum geht bis hin zu komplexen Komplettgeräten, die direkt an den Endkunden des Kunden ausgeliefert werden.
Es heißt, Paderborn wolle nun verstärkt auf Regionalität setzen? Wie können Sie hier punkten und wie das Image eines einstigen Großkonzern-Standortes „umdrehen“?
Man muss auf Augenhöhe mit den Kunden sprechen können. Und wir sehen uns wie gesagt als Mittelständler. Es gibt sehr viele Hidden Champions im Mittelstand, für die wir uns als starker Partner sehen, weil wir solchen Firmen Komplettlösungen anbieten können. Aber dazu braucht man die Nähe und das kulturelle Verständnis. Man muss die gemeinsame Sprache sprechen. Aber mit Regionalität meinen wir nicht im klassischen Sinne auf die Region begrenzt, sondern deutschlandweit.
Wie würden Sie Periscope zusammenfassend in einem Satz beschreiben?
Wir sind absolut flexibel und wollen den Kunden helfen, Lösungen zu finden und das wirklich mit einer ganz unkomplizierten und offenen Einstellung.