Interview mit Gerd Ohl, Limtronik

»Die EMS-Industrie muss zusammenhalten!«

16. Juli 2020, 11:32 Uhr | Karin Zühlke
Diesen Artikel anhören

Fortsetzung des Artikels von Teil 1

"Kein EMS-Unternehmen ist eine Insel"

Der Bundesverband Materialwirtschaft verlautbart dieser Tage, dass kaum eine Lieferkette der aktuellen Belastung standhält. Wie beurteilen Sie die Lage aus Materialsicht?

Wir hatten sowieso besondere Voraussetzungen. Durch unser Schutzschirmverfahren waren wir bei den Lieferanten auf Vorkasse umgestellt und mussten alle Bestellungen von einem Sachwalter unterzeichnen lassen. Dadurch dauerte es jeweils drei bis vier Tage länger als üblich. Dann kam der China Lockdown durch Corona hinzu. Hier hatten wir aber relativ wenige Probleme, weil die Lager wohl noch gut gefüllt waren. Es bleibt weiter herausfordernd, aber die Liefer-Verzögerung bei Materialien beträgt derzeit nur wenige Wochen.

Kapazitätsengpässe bei der Fertigung werden dieser Tage auch mal gemeinsam mit dem Mitbewerber gelöst, siehe das Beispiel Limtronik und Eckelmann. Sie sind eigentlich Mitbewerber, aber praktizieren in der Corona-Krise den Schulterschluss. Wie kommt es?

Das ist nicht das einzige Beispiel. Wir kooperieren in einigen Fällen mit Mitbewerbern, auch schon vor der Corona-Krise. Limtronik und Eckelmann arbeiten bereits seit einiger Zeit in Teilbereichen, in denen sich die Leistungsfelder sinnvoll ergänzen, zusammen. Limtronik führt beispielsweise einen speziellen Prozessschritt der Elektronikfertigung für Eckelmann durch: das Lackieren von Leiterplatten. Den vor- und nachgelagerten Fertigungsprozess, der ebenfalls zum umfangreichen EMS-Portfolio von Limtronik gehört, wickelt Eckelmann auf eigenen Maschinen vor Ort in Wiesbaden ab. Im Sinne unserer Kunden ist es unser oberstes Ziel, die Lieferfähigkeit aufrecht zu erhalten. Sollte bei einem der Unternehmen ein Krisenfall eintreten, kann das Partnerunternehmen kurzfristig einspringen und die notwendige Unterstützung leisten. Möglich macht das unter anderem die sehr ähnliche Produktionstechnologie.

Auch Ihre Aufgaben als Demo-Fab für die Smart Electronic Factory e.V. oder kurz SEF nehmen Sie weiter wahr?

Natürlich. Wir sind weiter als Demofabrik im Verband sehr aktiv. Aktuell haben der SEF, die Technische Hochschule Mittelhessen und Limtronik einen Use Case im Sinne von „Energieeffizienz braucht Prozesstransparenz“ umgesetzt. Dabei geht es um eine Ad-hoc-Sensorik, mit der eine Reduzierung von Wartungsintervallen bei einem Reflow-Ofen erreicht wird. Diese Lösung wird in der Smart Electronic Factory im Hause Limtronik eingesetzt und gilt als Blaupause für mittelständische Produktionsunternehmen.

Die Basis des Projektes bilden Sensoren, die ohne Eingriffe in bestehende Anlagen Prozesszustände und Messwerte erfassen und über ein sicheres Gateway zur Verfügung stellen. Die Energieeffizienz wird in der Produktion zunehmend zu einem entscheidenden Faktor. Insbesondere Unternehmen der Fahrzeugbau- und Elektroindustrie besitzen hohes Potenzial zur Reduzierung des Energieverbrauchs in ihrer Produktion.

Die deutsche Wirtschaft rutscht laut Analysten und aktuellen Zahlen in eine tiefe Rezession. Inwieweit macht sich bei Limtronik der Corona-bedingte Abschwung bemerkbar?

Ein Kunde wurde von einem US-Unternehmen gekauft und hat infolge dessen große Teile ins Q2 geschoben. Ein weiterer Kunde liefert sein Produkt nach Südafrika und hat dort mit den Folgen des Lockdown zu kämpfen. Aber ansonsten halten sich die Auswirkungen bei uns auf die Produktion noch im Rahmen.

Inwieweit können Medizinprodukte Verluste aus anderen Branchen kompensieren?

Wir waren bisher nicht unbedingt auf Medizinprodukte fokussiert, haben aber innerhalb von drei Wochen ein neues Projekt für Baugruppen für einen Beatmungsgerätehersteller aufgesetzt und ausgeliefert. Durch unsere Tracking- und Tracing-Möglichkeiten war das gut machbar, auch ohne die dedizierte Medizin-Zertifizierung haben zu müssen.

Limtronik fertigt auch in den USA – wie meistern Sie dort die Krise?

In den USA sind wir als systemrelevant eingestuft, durften also weiter produzieren. Dort fertigen wir zu einem Großteil immer noch für die Investitionsgüterindustrie im Bereich der Infrastruktur als auch für die Solarindustrie. Das ist sehr materialintensiv, was an sich derzeit eine Herausforderung ist, aber dank unserer vorausschauenden Lagerhaltung und sehr guter Kontakte zu den Lieferanten und Herstellern sind wir noch gut versorgt. Wir haben zudem ein großes deutsches Industrieunternehmen als Kunden für die USA gewinnen können. Für diesen Kunden führen wir Montagearbeiten local-for-local aus, also in den USA für die USA. Hier wird das Material teilweise beigestellt; das vereinfacht die Sache.

Inzwischen ist die deutsche Wirtschaft aus dem Lockdown wieder erwacht – wie stellen sich der Alltag und die Auswirkungen bei Limtronik jetzt dar?

In Deutschland hatten wir bisher nur verhaltene Einschränkungen und haben fortlaufend weiter produziert.

Auch für das Automotive-Geschäft?

Aktuell fertigen wir für Nutzfahrzeuge und Ersatzteilbedarfe – und das läuft unvermindert weiter.

Eigentlich kommt an dieser Stelle die Frage nach dem Ausblick fürs laufende Jahr. Aber in diesen Zeiten ist ein Blick in die Zukunft wohl eher Makulatur. Stattdessen die Frage: Was hoffen Sie für die Zukunft?

Ich möchte vor allem unseren Kunden danken, dass die uns während der ganzen Zeit so fair begleitet haben. Das hat uns sehr geholfen. Die Partnerschaften haben sich bewährt. Das ist ein Geben und Nehmen – Dank an Mitarbeiter, Lieferanten und alle Stakeholder!

Kein EMS-Unternehmen ist eine Insel. Wir müssen uns gegenseitig aufbauen und zusammenhalten. Sicherlich ist ein Wettbewerb da, aber wenn wir eng zusammenstehen, können wir uns gegenseitig stärken. Davon bin ich überzeugt!


  1. »Die EMS-Industrie muss zusammenhalten!«
  2. "Kein EMS-Unternehmen ist eine Insel"

Lesen Sie mehr zum Thema


Das könnte Sie auch interessieren

Jetzt kostenfreie Newsletter bestellen!

Weitere Artikel zu Limtronik GmbH

Weitere Artikel zu EMS