China: Von der klassischen Second-Source-zur First-Source-Region

Modernes Einkaufsmanagement ist viel mehr als nur Kosten drücken

23. November 2015, 15:01 Uhr | Engelbert Hopf
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Fortsetzung des Artikels von Teil 1

Sourcing in China

Modernes Einkaufs- management ist viel mehr als nur Kosten drücken

Die Teilnehmer des Forums Peter Adomeit, Leiter strategischer Einkauf, BMZ Stefan Hansmann, Leiter Strategischer Einkauf, Stiebel Eltron Richard Kauschinger, Head of Commodity Management Active, Zollner Gerhard Otto, Einkaufsleiter Inpotron Schaltnet
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Die Teilnehmer des Markt&Technik-Forums »Aktuelle Herausforderungen und Chancen für den Einkauf in Elektronik
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»Preise sind immer nur eine Variable in Verhandlungen«, versichert auch Kauschinger, »entscheidend ist letztlich das Gesamtpaket, das muss für beide Seiten stimmen, der Preis ist letztlich nur eine Teilfacette«. Für Adomeit sind es vor allem auch Faktoren wie Qualität und Liefertreue, die stimmen müssen, »in diesem Punkt beweisen sich eben auch Partnerschaften, die sich über Jahre entwickelt haben«. Er macht auch auf den Aufwand aufmerksam, den eine Lieferantenreduzierung nach sich ziehen würde: »Man müsste die Produkte ja nicht nur ausdesignen, sondern sie auch aus den Artikel- und Ersatzteillisten streichen.« Der Aufwand, versichert er, sei viel zu groß, deshalb werde man nur ganz zuletzt zu diesem Mittel greifen.

Doch manchmal liegt die Weiterführung der Vorzugslieferanten und die Fortführung der Artikelliste gar nicht im Einflussbereich des Einkäufers, wie Wiegand hervorhebt. »Das wirklich überraschende dieses Jahr waren ja die zahlreichen Merger, vor allem im Halbleiterbereich«, so der Jumo-Einkäufer, »das wird auf der Produktseite sicher noch Konsequenzen nach sich ziehen«. Man müsse seine bisherigen Strategien auf den Prüfstand stellen,  schließlich bestehe die Möglichkeit, dass in der neuen Konstellation neue Prioritäten gelten, sich Hersteller aus einzelnen Bereichen zurückziehen oder sich überdeckende Produktportfolios reduzieren.

Auch Kauschinger zeigt sich von der Dynamik und der Marktgewalt, mit der diese Akquisitionswelle über die Branche hinweggelaufen sei, beeindruckt: »Natürlich hat es solche Wellen auch schon früher gegeben, aber nicht in dieser kurz aufeinander folgenden Häufigkeit und in diesen Größenordnungen«. Wiegand macht sich auf jeden Fall schon einmal darauf gefasst, dass die Zahl der PCNs, die eingehen, in Zukunft noch ansteigen dürfte. Schon heute, so der Jumo-Einkäufer, »gehen bei uns in der Spitzen 160 PCNs im Monat ein, bei den Abkündigungen lag der Spitzenwert bislang bei 15 im Monat«. Wiegand schiebt aber nach, »dass Jumo noch einen EMS-Zweig hat, der da natürlich auch mitzählt«.

Bei den anderen scheint die Zahl deutlich geringer zu liegen. Otto berichtet, dass die PCNs bei Inpotron Schaltnetzeile zentral über die Entwicklungsabteilung eingesteuert werden, von dort wird auch die Suche nach neuen Lösungen angestoßen, für den Fall, dass es keine Second Source gibt: »Probleme mit Abkündigungen haben wir aber wenig«. Auch Adomeit kann sich nicht erinnern, dass Abkündigungen in den letzten fünf Jahren wirkliche Probleme bei BMZ verursacht hätten. Kauschinger weist in diesem Zusammenhang noch auf ein ganz besonderes Phänomen hin: »Es gibt ja auch die Lieferanten, die immer betonen, dass sie nicht abkündigen, dann aber die Preise für Produkte so nach oben ziehen, dass das Kaufinteresse für diese Produkte erlischt«. Speziell im Bereich Optokoppler scheint es da in jüngster Vergangenheit einen brachenweit bekannten Fall gegeben zu haben.

Vor diesem Hintergrund kommt Obsolescence-Management heute eine deutlich größere Rolle zu als noch zu Zeiten der Gründung des deutschen Industrie-Interessenverbandes COG (Component Obsolescence Group) im Jahr 2004. Damals standen die Beschaffungsprobleme im Bereich Atomkraftwerke, Flugzeuge und Bahntechnik im Vordergrund. Heute sind Obsolescence-Betrachtungen Teil des alltäglichen Risikomanagements im Bereich der Elektronikindustrie. Mit SiliconExpert und Caps von IHS stehen dazu entsprechende Softwarelösungen zur Verfügung.

»Wir betreiben heute ein reaktives, ein pro-aktives und ein strategisches Obsolescence-Management«, beschreibt Wiegand die aktuellen Herausforderungen der Branche. Wenn man sehe, dass bereits während der Entwicklung neuer Produkte die ersten Abkündigungen kommen, müsse man reagieren, so Wiegand, »es kann nicht sein, dass die Entwicklung zu einem Großteil mit Redesigns beschäftigt ist, weil dieser Aspekt in der Planungsphase zu wenig berücksichtigt wurde«. Seit drei Jahren verfolgt man deshalb bei Jumo nun ein klares Obsolescence-Management. Bei Zollner gibt es inzwischen einen eigenen Bereich, der für das Obsolescence-Management zuständig ist. »Zu Beginn waren es vor allem Automotive-Lösungen und der Bahnverkehr, der entsprechende Lösungen forderte«, so Kauschinger, »angesichts der immer größer werdenden Produktvielfalt stellt das eine stetig wachsende Herausforderung dar«. Über entsprechende Vereinbarungen mit den Lieferanten der Kunden wird versucht, möglicherweise auftretenden Problemen vorzubeugen. 

Nicht die Kontrolle verlieren, unter dieser Prämisse steht auch die Wechselbeziehung zwischen Einkauf und Entwicklung. In der Vergangenheit hätten diese beiden Abteilungen vielerorts sehr isoliert voneinander gearbeitet, heute verschränkten sich die Aufgabenbereiche immer mehr. »Aus meiner Sicht steht dabei die Teamleistung im Vordergrund«, betont Hansmann, »auf diese Weise gewinnt man Verbündete im Unternehmen«. Schließlich hätten die technischen Abteilungen Herstellkostenziele, die sie optimieren wollen, »ohne einen leistungsfähigen Einkauf – ein nur schwer zu erreichendes Ziel«.

Dass Einkäufer von den Vertriebsleuten der Komponentenhersteller als Torwächter gesehen werden, die ihnen den ungehinderten Zugang zur Entwicklungsabteilung verstellen, nötigt Hansmann ein Grinsen ab. »Vertriebsmitarbeiter sind sich viel zu selten bewußt, dass der Einkauf intern ja auch als Verkäufer aktiv ist«, so Hansmann, »ein entsprechend aufmunitionierter Einkäufer ist so gesehen eigentlich der ideale Partner für Vertriebs-mitarbeiter – unabhängig davon, ob er nun für einen Hersteller, oder einen Distributor arbeitet«.

Stattdessen werden etwa Messen häufig dazu genutzt, Entwicklern Flöhe ins Ohr zu setzen: »Der Entwickler kommt dann ganz verliebt zurück, und Verliebte reden ja manchmal auch wirres Zeug, und unsere Aufgabe ist es dann, den wieder einzufangen«. Gibt es wirklich nur diese Lösung für das technische Problem? Gibt es nicht eine ähnliche oder vergleichbare Lösung von einem unserer Vorzugslieferanten? Ganz schlimm wird es, wenn der Einkauf am Anfang außen vor gelassen wurde und auf einmal Projektschutz geltend gemacht wird, und man damit über Jahre an eine bestimmte Lieferantenquelle gebunden ist. 

Entsprechend rigoros wird der Zugang zur Entwicklungsabteilung von einigen geregelt. »Es bringt nichts, uns umgehen zu wollen«, so Adomeit, »ohne uns kann die Entwicklung nichts einsetzen und bestellen«. Bei Jumo ist das ähnlich: »Wenn ein Lieferant zur Entwicklung möchte, dann muss der Einkauf auf Kopie gesetzt werden.« Auch bei Inpotron Schaltnetzteile ist der Zugang klar reglementiert: »Wir üben eine Filterfunktion dahingehend aus, wer die Möglichkeit hat, sich mit unserer Entwicklung zu unterhalten«. 

Hansmann hält an sich nichts von Reglementierungen in dieser Richtung, »das führt nach meiner Einschätzung eher zu Distanzierung«. Stattdessen wird er nicht müde, die Erfolge des Einkaufs und die positiven Auswirkungen dieser Erfolge auf das Gesamtunternehmen darzustellen. Ein Ansatz, der neu ist und Erfolg zeigt, der Einkäufer gibt aber auch zu, »dass wahrscheinlich erst noch eine neue Entwicklergeneration nachrücken muss, für die das gelebte Normalität ist, dann wird das Ganze noch schneller und die Gewinneffekte noch größer«. (eg)                                 


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