Das Jahr 2021 hat der Automobil-Branche viel abverlangt. Durch instabile Lieferketten, Absatzschwierigkeiten und Chipmangel entstehen nie dagewesene Herausforderungen. Eine bessere Vernetzung entlang der Supply Chain macht es möglich, proaktiv auf solche Krisen zu reagieren.
Aus wie vielen Einzelteilen besteht ein Antriebsstrang? Zum einen sind dies natürlich unterschiedliche Bauteile, die zusammengesetzt werden, zum anderen besteht jedes Bauteil wiederum aus Rohmaterial wie Dichtungsringen, Spezialschrauben, Elektronikkomponenten, etc. So ein Powertrain ist hohe Ingenieurskunst und eine logistische Meisterleistung der modernen Automobilindustrie. Jedem in der Branche ist bewusst, dass das globale Produktionsnetzwerk für jedes Modul optimal ineinander greifen muss, damit alles zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort ist.
Da ist ein Schiff, das im Suezkanal quer steht, oder ein Lieferant, der seine Preise erhöht, bzw. gar nicht mehr liefert, kein willkommener Anblick. Nicht nur die instabilen Lieferketten im Jahr 2021 haben schmerzhaft offengelegt, wie empfindlich das Netzwerk gegenüber Störungen ist. Schon kleinste Änderungen im Prozess ziehen im Volksmund einen »enormen Rattenschwanz« an Anpassungen nach sich. Wird nur ein Bauteil optimiert, muss dies haarklein dokumentiert und kommuniziert werden – über das globale Netzwerk hinweg und intern zu allen Stakeholdern vom Supply-Chain-Management bis zum Controlling.
Heute ist es oft noch der Fall, dass Planungen in komplexen Excel-Tabellen aggregiert werden. Das Controlling pflegt seine Tabellen für die Übersicht aller Finanzen; die Logistik hat ihre eigenen Datensätze für Produktionspläne, Produktlisten, Lieferkosten; der Vertrieb erfasst seine Absatzzahlen und Sales-Forecasts. Jedes Silo sitzt auf seinem persönlichen Datenschatz. Gibt es nun eine drastische Veränderung im Prozess, werden mühsam alle Daten einmalig in E-Mails hin- und hergeschickt und miteinander verbunden. Doch was wäre, wenn alle Abteilungen im Konzern, alle Zulieferer und Produktionsstätten auf eine gemeinsame Datenbasis zugreifen könnten?
Das Analyseunternehmen Gartner spricht hier von xP&A (Extended Planning and Analysis), und erklärt damit die Verbindung und Verzahnung von Finanzplanung und operativer Planung. Genauer bedeutet das, dass Unternehmen traditionelle Silos auflösen und die Daten aus verschiedenen Bereichen in Echtzeit in der Cloud zusammenbringen. Ein Single-Point-of-Truth (frei übersetzt: »Einzig wahrer Datenpunkt«) hat das Potenzial, den gesamten Produktionsprozess zu optimieren. Anstatt im Falle einer Veränderung Daten aus allen Richtungen zusammenzubringen, sind sie bereits an einem Ort. Das schafft eine enorme Flexibilität für alle Entscheidungsträger entlang der Supply Chain.
Nehmen wir als Beispiel, dass ein Bauteil im Antriebsstrang optimiert wird. Sind alle Daten verfügbar, kann sich innerhalb eines Meetings ein Überblick verschafft werden, ob das Bauteil weiterhin per Schiff geliefert, oder von nun an auf die Schiene verlagert werden sollte. Vielleicht ist es auch günstiger, das neue Teil selbst zu produzieren, da der bisherige Zulieferer die neue Variante nicht in ausreichender Stückzahl oder notwendiger Qualität herstellen kann. Da diese Daten auch mit der Finanz- und Personalabteilung verbunden sind, können die Szenarien in Echtzeit miteinander verglichen werden, Kosten abgeschätzt und realistische Entscheidungen getroffen werden. Grundvoraussetzung ist natürlich, dass sämtliche Daten in einer leistungsstarken Cloud-Lösung vorliegen.
Aber auch unabhängig von der Supply-Chain bietet ein Single-Point-of-Truth hervorragende Prognose-Möglichkeiten, beispielsweise im Vertrieb: Die Brake-Business-Unit der Hitachi-Automotive Systems Group verbindet seine Absatz-, Kapazitäts-, Einkaufs-, Ressourcen- und Finanzpläne. So ist es ihnen möglich, die Absatzmengen sieben Jahre in die Zukunft vorauszusagen. Darüber hinaus ziehen sie Informationen über die Pläne der OEMs aus Drittquellen hinzu.
Auf dieser Datenbasis kann das Unternehmen entscheiden, welche neuen Projekte und Aufträge sie gewinnen können und wie viel sie verkaufen werden. Von dort aus kann das Team Kapazitäten und die Kapitalinvestitionen, wie zum Beispiel Maschinen und Werkzeuge, bestimmen, die für den prognostizierten Absatzplan erforderlich sind. Dieser Echtzeitabgleich zwischen Vertrieb und Finanzen war während der Verwerfungen der Lieferketten 2020/21 besonders wichtig. Dem Geschäftsbereich war es möglich, unter unübersichtlichen Bedingungen die Reaktionszeit minimal zu halten.
Die Beispiele zeigen, wie ein Single-Point-of-Truth gerade im komplexen Geflecht der Automotive-Branche einen Wettbewerbsvorteil bietet. Gartner erwartet, dass 30 Prozent der zukünftigen Planungs-Implementierungen bis 2024 sowohl operative als auch finanzielle Prozesse unterstützen werden. Die Verbindung von Daten in der Cloud schafft eine nie dagewesene Transparenz aller Prozesse und lässt somit zu, kollaborativ über alle Silos hinweg zu arbeiten. Am Ende entsteht für First-Mover der Wettbewerbsvorteil schnell und selbstbewusst zu planen, während andere noch Datenpunkte zusammensuchen.
Pascal Weinrich
ist Solutions Consultant bei Anaplan, der digitalen Plattform für vernetzte Unternehmensplanung, Geschäftsanalytik und Forecasting. Der Automotive-Experte ist in seiner Rolle unter anderem für die Entwicklung von bereichsspezifischen Lösungen und die kundenorientierte Anpassung der Software zuständig.