Netzwerktechnologie

Leistungsfähigere und -kostengünstigere Fahrzeugnetzwerke dank Ethernet

4. Oktober 2012, 9:18 Uhr | Von Mike Jones
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Fortsetzung des Artikels von Teil 1

Unterschiede zwischen Fahrzeug- und Heimanwendungen

Die Fahrzeugumgebung weist insofern deutliche Unterschiede auf zu anderen Anwendern des AVB-Standards wie digitale Heim- und professionelles AV-Anwendungen, da sie im Allgemeinen klar definiert ist. Anders als bei Heim-anwendungen, bei denen die Spezifikation eine garantierte Funktion gewährleisten muss, bei der jeder alles mit allem jederzeit verbinden kann, ist ein Fahrzeugnetzwerk meist fest eingebaut und bekannt und weist nur begrenzte zusätzliche Nutzerverbindungen auf, so dass eine ausreichende Datenrate und die Vermeidung von Staus garantiert sind.

Daher kann man argumentieren, dass Fahrzeuganwendungen nicht unbedingt die IEEE-802.1Qat-Datenfluss-Reservierung und vielleicht nicht einmal den erweiterten Warteschlangen- und Weiterleitungs-Standard IEEE 802.1Qav benötigen. Durch die Optimierung der Ethernet-AVB-Spezifika-tion für die Bedürfnisse der Automo-tive-Branche ist dann eine noch kostengünstigere und leistungsstarke Lösung möglich.

BMW hat kürzlich selbst eine Informationsschrift veröffentlicht, in der genau dieses Thema „Audio/Video-Übertragung in Fahrzeugen mit Ethernet“ diskutiert wird. Der Beitrag legt nahe, dass nur eine Teilmenge der AVB-Spezifikation notwendig ist, die als AVA (Audio-Video-Bridging für Automotive) bezeichnet wird. Hier wird eine Lösung empfohlen, die aus den AVB-Teilen von „IEEE 1722 AVB-Paket“ und „PTPv2 Zeit-Synchronisation (IEEE 802.1as)“ besteht.

Ethernet über ungeschirmte Twisted-Pair-Kabel

Da der Bedarf an netzwerkbasierter Kommunikation steigt stetig, ist die Verwendung dedizierter Punkt-zu-Punkt-Verbindungen für Audio- und Videodaten mit Technologien wie LVDS über geschirmte Kabel sowohl unpraktisch als auch teuer in Bezug auf Kabelbäume, das Verlegen und die Zuverlässigkeit.

Die Verwendung von geschirmten Kabeln im Auto ist in der Regel wegen der zusätzlichen Kosten gegenüber ungeschirmten Kabeln unerwünscht. Fast Ethernet wird für den Betrieb über ungeschirmte Twisted-Pair-Kabel (CAT5) mit einer minimalen Reichweite von 100 m spezifiziert.

Ein standardmäßiges CAN-Kabel weist ähnliche Eigenschaften wie ein CAT5-Kabel auf. Tests haben die Machbarkeit einer langfristigen fehlerfreien Übertragung von Ethernet über mehr als 100 m CAN-Kabel bewiesen. Der Hauptunterschied zwischen den beiden Kabeln ist, dass ein CAN-Kabel nur teilweise spezifiziert ist und keine kontrollierte Impedanz und kein definiertes Verdrillungsverhältnis bietet. Als Folge davon können das EMV-Verhalten und die Signalintegrität nicht garantiert werden, was das CAN-Kabel in der Regel für Hochgeschwindigkeits-Datenübertragung ungeeignet macht. CAN-Kabel wird derzeit für die Ethernet-On-Board-Diagnose (OBD) verwendet, weil es nicht notwendig ist, die OEM-Umgebungsbedingungen, insbesondere für die Störabstrahlung, vollständig zu erfüllen. Für Hochgeschwindigkeitsübertragungen über ungeschirmte Kabel wird oftmals FlexRay-Kabel bevorzugt.

Damit Ethernet für jede Fahrzeuganwendung in Erwägung gezogen werden kann, muss es uneingeschränkt die OEM-EMI-Bedingungen erfüllen. Genau darin liegt die Herausforderung, da die typischen Strahlungsemissionen eines Fast-Ethernet-Transceivers nicht die von den Automobilherstellern festgelegten Grenzwerte einhalten.

Beispiel für die Strahlungsemission einer 100-Mbit/s-Ethernet-Karte
Bild 2. Beispiel für die Strahlungsemission einer 100-Mbit/s-Ethernet-Karte
© Micrel Semiconductor

Bild 2 zeigt die typischen Strahlungsemissionsmerkmale für eine 100-Mbit/s-Ethernet-Schaltung in Relation zu den OEM-FlexRay-Stripline-Grenzwerten. Der höhere Energiegehalt bei höheren Frequenzen (>50 MHz) kann kaum den geforderten Werten gerecht werden.

Lichtwellenleiter als Alternative?

Eine einfache Lösung ist, nicht Kupferkabel, sondern Kunststoff-Lichtwellenleiter (Polymeric Optical Fibre; POF) zu verwenden, wie sie auch in MOST-Netzwerken eingesetzt werden. Die gleiche 1-mm-LED-POF-Technologie von MOST (einschließlich der neuen MOST 150) kann auch für die 100-Mbit/s-Fast-Ethernet-Übertragung mit einer Reichweite von 100 m verwendet werden. Eine POF ist extrem robust, leicht und völlig immun gegen elektroma-gnetische Störungen. Allerdings liegt der Nachteil bei der Verwendung von POF offenbar auch in den Kosten; diese sind sogar höher als bei geschirmten Twisted-Pair-Kabeln.

Die Verwendung geschirmter Kabel bietet eine Lösung zur Reduktion von Strahlungsemissionen im Fahrzeug, ist jedoch in der Regel unerwünscht. Geschirmte Kabel führen zu Komplikationen bei den Erdungsstrategien, werfen Fragen hinsichtlich der Zuverlässigkeit und Leistungsfähigkeit auf und führen zu erhöhten Produktionskosten. Die ultimative Herausforderung liegt also darin, Ethernet über ungeschirmte Twisted-Pair-Kabel zu betreiben und gleichzeitig die Automotive-Herstellergrenzwerte für elektromagnetische Emissionen einzuhalten.

Dadurch ließen sich die Kosten für die Verkabelung drastisch reduzieren, während die Interoperabilität mit beliebigen anderen Standard-Ethernet-Bausteinen erhalten bleibt. Die Nutzung der standardisierten 100Base-TX-Ethernet-PHY-Technologie kann das bestehende IEEE-802.3-Ökosystem nutzen, so dass der Bedarf zur Schaffung neuer Standardisierungsgruppen entfällt, die Konstruktions-, Konformitäts- und Interoperabilitätsspezifikationen erstellen müssten. Prüfinstitute, Prüfgeräte und die entsprechende Fachkompetenz sind bereits vorhanden, und zwar reichlich und zu relativ geringen Kosten.

Lösungen, die auf dem interoperablen Standard-Ethernet basieren, bieten Ethernet-Halbleiterherstellern eine einfache, kostengünstige Methode, um Lösungen mit geringen Emissionen auf der Basis ihrer bestehenden 100Base-TX-Technologie anzubieten. Ein solcher Weg führt zu schnelleren Markteinführungszeiten, mehreren Anbietern und beschleunigten Produktangeboten, indem die Zeit, Kosten und Risiken für eine gründliche Neuentwicklung vermieden werden, die für einen neuen Transceiver erforderlich wären. Die Möglichkeit zur Verwendung der gleichen Bausteine in einer Fülle von Anwendungen, die Ethernet-Verbindungen nutzen - in Fahrzeugen, im Heimbereich, im Büro oder in der Produktion - führt zu Skaleneffekten, die von keiner proprietären oder anwendungsspezifischen Lösung erreicht werden können - das ist der entscheidende Faktor, der hinter dem Erfolg von Ethernet steht. Jeglicher nicht Ethernet-basierte PHY-Ansatz sieht sich der gleichen Kritik gegenüber, die an die MOST-Technologie gerichtet wird, und steht damit im Widerspruch zur wachsenden Präferenz für Ethernet-basierte Lösungen.

In der Vergangenheit wurde oft davon ausgegangen, dass die auf dem IEEE-Standard basierenden Fast-Ethernet-PHYs nicht in der Lage sind, die niedrigen EMV-Grenzwerte der Automotive-Branche einzuhalten. Diese Fähigkeit wurde jedoch schon von mehreren unabhängig voneinander arbeitenden Anbietern unter Beweis gestellt, sowohl hinsichtlich der Leistungsfähigkeit als auch der erfolgreichen Interoperabilität untereinander und mit jedem anderen IEEE- 802.3-Ethernet-PHY. Durch die Anwendung einfacher Signalbearbeitung auf die standardmäßige 100Base-TX-PHY-Technologie ist es möglich, die Emis-sionen in ausreichendem Maße zu reduzieren, ohne die PHY-Architektur oder Modulations- und Codierungsschemata ändern zu müssen. Die 100Base-TX-Ethernet-PHY-Technologie ist weit verbreitet und bei zahlreichen Anbietern problemlos verfügbar.

Gigabit-Ethernet für Automotive

Wenn Ethernet als ein wahrer Automobil-Netzwerk-Bus angenommen werden soll, werden die Fahrzeughersteller sicherlich eine gemeinsam vereinbarte Lösung fordern, die offen und frei zugänglich ist. Spricht man mit Herstellern von industriellen Steuerungskomponenten, werden diese der Aussage vor dem Hintergrund ihrer Erfahrungen mit den ursprünglich vielfältigen, nicht interoperablen Feldbusstandards, die mittlerweile auf Ethernet basieren, sicherlich zustimmen. Die Entwicklung von Fahrzeugnetzwerken der nächsten Generation schreitet bereits voran, was sich in der Bildung einer neuen Stu-diengruppe zum „IEEE 802.3 Gigabit Ethernet für Automotive“ niederschlägt.

Der unbestrittene Erfolg von Ethernet im industriellen Vernetzungssektor hat Zuverlässigkeit und Qualität in einem extremen Umfeld bewiesen. Die Verbindung dieser industriellen Stärke und des Schubes der Konsumententechnologie bietet die perfekte Lösung für die Bit-Übertragungsschicht im Fahrzeug, die erfolgreich die Lücke zwischen langen Fahrzeug-Design-Zyklen und der schnelllebigen IP-Welt schließt. Ethernet findet sich schon heute im Fahrzeug und bietet eine IP-basierte Standard-Schnittstelle für Diagnose- und Software-Downloads. Der nächste Schritt ist, dass Ethernet das Rückgrat der nächsten Generation von Automotive-Multimedia-Netzwerken bildet. Neue Standards wie IEEE-802.3-AVB (Audi/Video-Bridging) eignen sich für Echtzeitanwendungen, während viele Anbieter bereits Ethernet mit nachgewiesen niedriger Störabstrahlung bieten, das untereinander sowie mit beliebigen anderen IEEE-802.3-Ethernet-PHYs interoperabel ist.

Ethernet ist einfach, bewährt und offen - der Grund für den Erfolg. Kosten sind ein entscheidender Faktor in jdem Markt und Ethernet hat stets die niedrigsten Betriebskosten aller Netzwerke gezeigt.

 

Der Autor

Mike Jones
hat Electronic Systems Engineering an der Aston Univer-sity in Birmingham (England) studiert. Er verfügt über mehr als zwanzig Jahre Erfahrung in der Halbleiterindustrie und ist bei Micrel als Senior Product Marketing Manager für „High Speed Networking“- und Ethernet-Anwendungen verantwortlich.

  1. Leistungsfähigere und -kostengünstigere Fahrzeugnetzwerke dank Ethernet
  2. Unterschiede zwischen Fahrzeug- und Heimanwendungen

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