Wo liegt dann der aktuelle Stand der Technik?
Weil das hochautomatisierte Fahren eine Vielzahl von Gebieten umfasst, greife ich beispielhaft den Themenkomplex Objektklassifizierung auf, bezogen auf Radfahrer oder Fußgänger: Man verwendet Bilddaten von Radfahrern, um ein generalisiertes Bild des Radfahrers zu bekommen. Aus 100, 300, 500 oder 1000 Bildern wird ein generalisiertes Bild erzeugt – je mehr Bilder eingelernt werden, desto zuverlässiger arbeitet das System. Dabei werden Methoden aus der Disziplin des Machine Learning angewandt. Es werden natürlich auch viele andere Objekte detektiert, etwa Verkehrszeichen.
Etwas komplexer gestaltet sich die berühmt-berüchtigte Situation »der Ball rollt auf die Straße, und das Kind rennt hinterher«: Kinder sind mittels Bilddaten noch relativ leicht einzulernen – sie alle sehen ähnlich aus und laufen meist -, aber beim Ball wird es schwieriger: Bälle sind immer rund, aber manchmal einfarbig, manchmal mit Streifen oder Punkten, manchmal weiß, blau, rot, gelb oder grün – und dann einen einfarbig roten oder grünen Ball von einer roten oder grünen Ampel zu unterscheiden, ist auch nach dem Einlernen von Bildern vieler Bälle nicht ganz trivial.
Hochautomatisiertes Fahren wird sehr viel Rechnerleistung erfordern. Könnte dies ein limitierender Faktor sein?
Die Rechnerleistung ist beim automatisierten Fahren zwar ein Thema, aber nicht der limitierende Faktor schlechthin. Je mehr Rechnerleistung erforderlich ist, desto mehr Energieverbrauch, Wärme und natürlich Kosten entstehen, aber schon die derzeit aktuellen Systeme machen vieles möglich. Ein größeres Problem wird in Zukunft darin liegen, immer mehr Vorgänge zu parallelisieren. Hierfür werden Multicore-Prozessoren gefragt sein oder FPGAs für am Anfang der Prozessierungskette angesiedelte Vorgänge. Beim hochautomatisierten Fahren dürfte es darauf hinauslaufen, jedem Prozess seinen Baustein und jeder Aufgabe ihr Tool zuzuordnen.
Auch eine Datenverarbeitung außerhalb des Autos ist elementar, weil sie viele innovative Problemlösungen gestattet, die bei einer Beschränkung auf das Auto nicht möglich sind. Hier bieten wir Lösungen für die Systemarchitektur und die Implementierung im Fahrzeug sowie im Backend an, die auch den Aspekt der funktionalen Sicherheit behandeln.
Wie ist es beim hochautomatisierten Fahren um das Thema „Reaktion in Echtzeit“ bestellt?
Die technischen Systeme sind hier an der Reaktionsfähigkeit des Menschen zu messen. Sie sollten gerade in kritischen Situationen deutlich schneller reagieren als der Mensch. Dies ist durchaus eine hohe Hürde: Die 3D-Bilddaten und die Lidar-Daten müssen zum verarbeitenden System gelangen, das sie eventuell fusioniert und daraufhin zum entscheidenden System überträgt, das wiederum die entsprechenden Aktoren ansteuert. Wo genau wir da momentan technisch stehen, ist schwierig zu sagen, aber die Notbremsassistenten haben schon jetzt eine sehr geringe Latenz. Und dass die technische Entwicklung sich irgendwann verlangsamen wird, ist nicht absehbar. Weil wir vom vollständig autonomen Fahren aber noch sehr weit entfernt sind, wird die Reaktionszeit im Voraus für bestimmte Funktionen festgelegt, so dass man die Funktionen entsprechend testen kann.
Wie lässt sich die Fehlerrate beim hochautomatisierten Fahren bestmöglich verringern?
Dies hängt hauptsächlich von der Qualität der Daten und der Algorithmen ab. Entscheidend sind die Datenmenge und die Prozessierung der Daten. Zudem kommt es darauf an, wie viele Verkehrssituationen eingelernt sind und sich einlernen lassen. Wichtig ist außerordentlich intensives Testen aller Funktionen, sowohl mit Testfahrten auf der Straße als auch mit synthetisch erzeugten Daten. Auf diese Weise lässt sich die bestmögliche Sicherheit für den Fahrer gewährleisten.
Wie lässt sich beim hochautomatisierten Fahren das Problem der Systemkalibrierung lösen?
Dies ist ein nicht zu unterschätzendes Thema: Die Alterung der Kamera ist ein Aspekt, ebenso die Ausrichtung der Kameras und Lidar-Systeme – sie verändert sich durch Umwelteinflüsse während des Fahrens allmählich. Die Kalibrierung könnte regelmäßig im Rahmen der Inspektion stattfinden, oder der Fahrer bekommt angezeigt, dass die Kalibrierung nicht mehr stimmt, und fährt dann so bald wie möglich in die Werkstatt. Dort werden Kalibriermatten ausgelegt oder aufgehängt, und dann wird das Auto kalibriert.
Wir bieten Verfahren für die Selbstkalibrierung während der Fahrt an, die für eine optimale Ausrichtung von Kameras und Lidar zueinander sorgen. Wie hoch die Genauigkeit überhaupt sein muss, hängt von den Szenarien ab, die das System beherrschen soll. Aus diesem Grund entwickeln wir die Verfahren stetig weiter, um Lösungen für eine möglichst große Vielfalt von Systemen anbieten zu können.
Wie schätzen Sie generell die Zukunftspotenziale des hochautomatisierten Fahrens ein?
Bis ein hochautomatisiertes Fahrzeug sicher auf alle möglichen Verkehrssituationen reagieren kann, wird es meines Erachtens noch lange dauern. Letztlich wird man kaum alle denkbaren Situationen einlernen können, so dass ein Restrisiko bleibt. In der Praxis werden wohl immer wieder Situationen auftreten, die in den eingelernten Daten nicht enthalten sind. Entsprechend ausgelegte technische Systeme „vergessen“ aber einmal eingelernte Situationen nicht mehr.
Der Übergang zum hochautomatisierten Fahren wird ein gradueller sein. Viele damit verbundenen Fragen, besonders rechtliche, sind ja nach wie vor ungeklärt, und auch der Fahrer muss sich daran gewöhnen, die Kontrolle an ein solches System abzugeben. Aber sowohl diese Probleme als auch das technologische – an dem mit Ingenieursgeist und Leidenschaft gearbeitet wird – werden gelöst werden. Denn die gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Vorteile sind extrem groß und vielfältig: Effizientere Mobilität, keine Staus, höhere Verkehrssicherheit und neue Geschäftsmodelle für Mobilitätsdienstleister sind nur einige Beispiele.
Das Interview führte Andreas Knoll.