Industrieprodukte müssen in zweierlei Hinsicht langlebig sein: Einerseits sind Ersatzteile über den gesamten Lebenszyklus einer Maschine vorzuhalten. Andererseits müssen sich vorhandene Plattformen vom Hersteller weiterentwickeln lassen. Idealerweise sind neue Geräte abwärtskompatibel, so dass Anwender ihre Anlagen kontinuierlich ausbauen können. Hier spielt Linux seine Vorteile aus: Linux ist langfristig verfügbar, lizenzfrei, weltweit etabliert und arbeitet auf den unterschiedlichsten Hardwareplattformen. Der Anwender muss nicht befürchten, dass der Support für das Betriebssystem zugunsten einer neueren Version eingestellt wird oder aufgrund unternehmenspolitischer Entscheidungen nur auf bestimmten Hardwareplattformen lauffähig ist. Durch die große Zahl von Entwicklern werden Fehler im Betriebssystem rasch beseitigt. Unbekannte Funktionalitäten oder geschützten Quellcode gibt es bei Linux nicht. Mittels Virtualisierung ist unter Linux selbst „alte“ Software auf neuester Hardware lauffähig.
Und das geistige Eigentum?
So offen und tolerant sich Linux zeigt, in Sachen Lizenzrecht versteht die „Community“ keinen Spaß. Änderungen am Betriebssystem sind zu veröffentlichen. Das ist aber keinesfalls ein K.-o.-Kriterium für den Einsatz in der Automation, denn die Programmierung der Anwendung – das Know-how – muss niemand offen legen, vorausgesetzt in der Applikationssoftware werden keine Algorithmen genutzt, die unter einer Open-Source-Lizenz stehen, und es werden nur die Standard-Schnittstellen zum Linux-Kernel verwendet.
Will ein Desktop-Anwender Linux installieren, greift er zu einer Linux-Distribution, der Zusammenstellung eines Linux- Betriebssystems mit einigen Anwendungen. Zu den populärsten Distributionen für Büro- und Heimanwendungen zählen beispielsweise die Distributionen von Suse und Red-Hat. Für die Steuerungstechnik sind sie allerdings weniger geeignet. Auch dafür gibt es spezielle Distributionen, beispielsweise ELinOS. Sie enthalten nahezu dasselbe Linux-Betriebssystem sind jedoch anders konfiguriert und auf die Steuerungshardware abgestimmt. Optimal ist es, wenn der Hardware-Lieferant selbst Linux mit allen Treibern und Entwicklungstools beistellt. Wago liefert eine eigene Distribution mit den Linux-Controllern aus. Daraus lassen sich die benötigten Funktionen auswählen und eine applikations-spezifische Linux- Edition compilieren.
Theoretisch kann jeder Anwender seine eigene Linux-Distribution erstellen, da die Quellen für Linux im Internet frei verfügbar sind. Bei der Entwicklung der Anwendungen gibt es vielfältige Möglichkeiten, beispielsweise Editoren und auch integrierte Entwicklungsumgebungen wie Eclipse, welche die Arbeit deutlich vereinfachen. Das Betriebssystem mit seinen Treibern und einer Reihe von Anwendungen ist kostenlos, der Support ist es in der Regel nicht. Mangels eines Betriebssystem- Herstellers muss sich der Anwender an Systemintegratoren und vergleichbare Anbieter wenden, die sich über diese Art von Dienstleistung finanzieren. Es kann sich aber lohnen, eigene Kompetenz aufzubauen. Der Start erfordert entsprechendes Personal und Schulungen, jedoch keine großen finanziellen Investitionen in Softwaretools. Im Internet finden sich reichlich Fachwissen und Unterstützung. Hier gibt es Mailinglisten und Links zu weiteren Informationsquellen bis hin zu kompletten Büchern, die kostenlos zum Download bereit stehen. Eine Organisation, die den Einsatz von Linux in der Automatisierung unterstützt, ist die OSADL (s. Kasten „Linux fürs Feld“).
Es besteht die Wahl zwischen dem Aufbau einer eigenen Linux-Kompetenz oder die Unterstützung durch externe Dienstleiter. Im einfachsten Fall, wenn Anwender nur ein Programm unter Linux laufen lassen wollen ohne den Kernel zu ändern, sind keine tiefen Linux-Kenntnisse notwendig. Da die Programmierung normalerweise jedoch auf einem Linux-Rechner durchgeführt wird, sollten sich Entwickler in der Bedienung von Linux auskennen. Kenntnisse der Entwicklungsumgebung sowie der Test- und Diagnosetools sind natürlich Voraussetzung.