Vor ein paar Jahren war unter Branchenexperten viel von OPC UA over TSN die Rede. Inzwischen steht eher die Spezifizierung von OPC UA Field eXchange (OPC UA FX) im Fokus. Peter Lutz, Director Field Level Communications der OPC Foundation, erläutert den Stand der Dinge.
Im November 2016, anlässlich der Messe SPS, wurde die OPC-UA-TSN-Initiative gegründet (später »Shapers« genannt), die im November 2018 in die OPC Foundation integriert wurde. Ebenfalls im November 2018, wiederum im Rahmen der SPS, initiierte die OPC Foundation die FLC-Initiative (Field Level Communications), um den Standard OPC UA Field eXchange (OPC UA FX) für den Datenaustausch über OPC UA bis hinunter in die Feldebene zu spezifizieren. Die Arbeiten hierzu umfassen drei Aspekte: Controller-to-Controller, Controller-to-Device und Device-to-Device.
Markt&Technik: Wie ist der Stand der Dinge bei der Spezifikation der drei OPC-UA-FX-Aspekte Controller-to-Controller, Controller-to-Device und Device-to-Device?
Peter Lutz: Die Spezifikation für die horizontale Kommunikation zwischen Steuerungen (C2C = Controller-to-Controller bzw. Machine-to-Machine) wurde im Januar 2024 publiziert und besteht aus fünf Spezifikationsteilen (Parts 80, 81, 82, 83 und 84). Dabei definiert der Part 84 das sogenannte OPC-UA-FX-Controller-Profil - Steuerungen müssen es unterstützen, damit sie zyklische und gegebenenfalls auch sicherheitskritische Prozessdaten über OPC UA PubSub austauschen können. Dieses OPC-UA-FX-Controller-Profil ist unabhängig davon, um welche Steuerung es sich konkret handelt. Es kann eine Speicherprogrammierbare Steuerung (SPS), eine Werkzeugmaschinensteuerung, eine Robotersteuerung oder ein Distributed Control System (DCS) in der Prozessindustrie sein.
Aktuell wird noch an einem Spezifikations-Update (Maintenance Release) gearbeitet, das bis Ende November fertiggestellt werden soll. Und zur SPS soll bereits die Verfügbarkeit des OPC-UA-FX-Konformitätstests angekündigt werden, so dass Hersteller ihre OPC-UA-FX-Steuerungen zertifizieren lassen und in den Markt bringen können. Die Zertifizierung ist übrigens verpflichtend, weil OPC UA im operativen Bereich einer Maschine oder Produktionsanlage eingesetzt wird.
Die weitere Roadmap sieht vor, dass aufbauend auf den für Controller-to-Controller (C2C) entwickelten Konzepten entsprechende Spezifikationserweiterungen für die Anwendungsfälle Controller-to-Device (C2D) und Device-to-Device (D2D) erarbeitet werden. Dazu gehören geräte- und anwendungsspezifische Informationsmodelle, etwa für Motion Control, Feldinstrumentierung und dezentrale E/A-Peripherie, für die bereits entsprechende Arbeitsgruppen gegründet wurden.
Unabhängig von der Spezifizierung von OPC UA FX wurden auf der Messe SPS 2018 die ersten funktionsfähigen Automatisierungsgeräte mit OPC UA over TSN vorgestellt. Wie verbreitet ist OPC UA over TSN derzeit auf dem Markt für industrielle Kommunikationstechnik?
Grundsätzlich ist OPC UA in der industriellen Kommunikationstechnik weit verbreitet. Allerdings kommen heute aktuell zumeist Client/Server-Dienste über TCP/IP oder PubSub-Dienste über UDP/IP und ein unterlagertes herkömmliches Ethernet zum Einsatz. Weil OPC UA jedoch transport-agnostisch ist, kann die Kommunikation aber natürlich auch heute schon über alternative unterlagerte Transportprotokolle (z.B. MQTT oder Layer 2 Ethernet TSN) und unterschiedliche Übertragungsphysiken (z.B. Single Pair Ethernet, Ethernet-APL, Wi-Fi, 5G) erfolgen. Man kann davon ausgehen, dass die meisten Hersteller neue Automatisierungsgeräte (Steuerungen oder auch Feldgeräte) zunehmend mit einem TSN-Kommunikationsbaustein ausstatten, weil dieser herkömmliches, nicht-deterministisches Ethernet genauso unterstützt wie das deterministische Ethernet auf Basis von TSN.
Welche Rolle spielt TSN bei OPC UA FX?
TSN spielt eine Schlüsselrolle bei OPC UA FX. Einerseits, um eine deterministische Übertragung von Echtzeitdaten über Standard-Hardware zu ermöglichen. Andererseits aber auch, um die Konvergenz von IT- und OT-Protokollen zu ermöglichen. Konvergenz bedeutet, dass IT- und OT-Protokolle eine gemeinsame Netzwerkinfrastruktur nutzen können, ohne dass deren Funktionalität eingeschränkt oder deren Charakteristik verändert wird. Wichtig ist dabei, dass sich der Markt auf ein gemeinsames TSN-Profil (IEC/IEEE 60802) einigt, damit die Koexistenz von Protokollen tatsächlich protokollübergreifend möglich ist. Diese Koexistenz ist auch ein wichtiger Aspekt bei der Migration bestehender »Brownfield«-Lösungen auf Basis herkömmlicher Feldbus- und Industrial-Ethernet-Protokolle.
Wodurch unterscheidet sich OPC UA FX von OPC UA over TSN?
OPC UA over TSN ist eine allgemeine Bezeichnung dafür, dass OPC-UA-Dienste und mit OPC UA modellierte Informationen über ein unterlagertes Ethernet-TSN-Netzwerk übertragen werden. Es kann sich dabei um Client-Server-Dienste über TCP/IP handeln oder um die Kommunikation zu einem Broker über MQTT. Mit OPC UA FX hingegen werden die Use Cases bezeichnet, in denen OPC UA in der Feldebene für die Übertragung echtzeitkritischer oder sicherheitsrelevanter Daten eingesetzt werden, wobei zwischen C2C (Controller-to-Controller), C2D (Controller-to-Device) und D2D (Device-to-Device) unterschieden wird. Weil OPC UA FX transport-agnostisch ist, wird TSN genauso unterstützt wie herkömmliches Ethernet. OPC UA FX beruht auf OPC UA, spezifiziert jedoch Erweiterungen, um die spezifischen Anforderungen der Feldebene zu erfüllen. Dies umfasst beispielsweise die zyklische Übertragung von Prozessdaten, ein Safety-Protokoll sowie ein Informationsmodell für Steuerungen und Feldgeräte (Motion, Instrumentierung, I/O) mit der Möglichkeit, Geräte offline und online zu projektieren.
Welche Bedeutung werden OPC UA FX und OPC UA over TSN künftig im Verhältnis zueinander haben?
OPC UA FX lässt sich mit oder ohne einem unterlagerten TSN-Netzwerk einsetzen, beruht aber immer auf OPC UA. Ein Schlüsselelement des OPC-UA-FX-Lösungsansatzes ist eine flexible Transportarchitektur, welche die Interoperabilität zwischen Automatisierungskomponenten mit zyklischer Kommunikation ermöglicht, einschließlich anwendungsspezifischer Abbildungen auf unterlagerte Kommunikationsprotokolle und physikalische Schichten, um den unterschiedlichen Kommunikationsbedürfnissen gerecht zu werden. Hierzu haben die technischen Arbeitsgruppen ein dreistufiges Konzept einer Transportarchitektur erarbeitet, bei denen Netzwerkfeatures so kombiniert werden, dass der Quality-of-Service (QoS) skaliert werden kann. Dabei geht die Bandbreite von einer Best-Effort-Übertragung mit möglichen Paketverlusten und Paketverzögerungen bis hin zu einem völlig durchgetakteten Netzwerk mit vorhersagbarer Übertragungscharakteristik.
Welche Rolle spielt TSN derzeit auf dem Markt für Industrial-Ethernet-Systeme?
Time-Sensitive Networking (TSN) gewinnt im Markt für Industrial-Ethernet-Systeme zunehmend an Bedeutung. Mehrere große Nutzerorganisationen entwickeln ihre Industrial-Ethernet-Protokolle in Richtung TSN weiter. Und auch große Industrie- und Automatisierungsunternehmen haben das Potential von TSN erkannt. So können wir erwarten, dass TSN mittel- und langfristig zur bevorzugten Standardlösung für zeitkritische Anwendungen in der Industrie werden wird.
Die Fragen stellte Andreas Knoll.
OPC Foundation auf der Messe SPS: Halle 5, Stand 140