Kein eiserner Strom-Vorhang

Wirtschaftswoche erfindet deutsch-polnischen Strom-Krieg

21. November 2013, 17:14 Uhr | Hagen Lang
Der Ökostrom-Mord am eisernen Strom-Vorhang fällt aus.
© George Garrigues/ Wikipedia Commons

Mit als Phasenschiebern getarnten »Grenzschützern im Stromnetz« könnte Polen bald deutschen Ökostrom an der Grenze blockieren. So schreibt die Wirtschaftswoche unter dem Titel »Neuer Eiserner Vorhang«. 50Hertz Pressesprecher Volker Kamm ist das neu, das Verhältnis zum polnischen Netzbetreiber PSE »harmonisch«.

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Eine Nebenfolge erneuerbarer Energien sind volatile ungeplante Energieflüsse mit sehr steilen Gradienten. Produktionsspitzen in Deutschland können die Netzstabilität der Nachbarländer gefährden. Neben dem Redispatch von Kraftwerken oder dem Netzausbau bietet sich gegen dieses Problem der Einsatz von Phasenschiebern an. Letztere Maßnahme wurde im deutsch-polnischen Grenzgebiet schon seit Längerem in grenzüberschreitender Kooperation erfolgreich erprobt.

In einem vom Stromnetzbetreiber 50Hertz finanzierten Pilotprojekt hat 50Hertz gemeinsam mit dem polnischen Netzbetreiber PSE bis zum Frühjahr 2013 Maßnahmen zum Erhalt der Systemstabilität getestet, konret: Den Einsatz sogenannter »virtueller Phasenschieber«. Bei einer Überschreitung bestimmter Einspeisegrenzen simulierte dabei ein koordiniertes Eingreifen in die Kraftwerksfahrweise Entlastungen durch einen Phasenschiebertransformator.

Die Versuche verliefen so erfolgreich, dass sich die Deutschen und Polen darauf einigten, bis spätestens 2016 physische Phasenschiebertransformatoren auf den beiden grenzüberschreitenden Stromtrassen zwischen Mikulowa und Hagenwerder sowie Krajnik und Vierraden zu installieren.

Diese nachbarschaftlich-konstruktiven Planungen nutzt die »Wirtschaftswoche Green« aktuell zum Sensationalismus und titelt: »Neuer eiserner Vorhang: Sperrt Polen demnächst deutschen Ökostrom aus?« Ein Anruf bei Volker Kamm, Pressesprecher beim Netzbetreiber 50Hertz bringt Klarheit: Nein, er hat noch nichts davon gehört, dass die Polen unschuldigen Ökostrom im Todesstreifen eines neuen eisernen Energie-Vorhangs verbluten lassen wollen.

Im Gegenteil, man sei in einem sehr weit fortgeschrittenen Stadium vertraglicher Vorverhandlungen über Installation und Finanzierung der geplanten Phasenschiebertransformatoren. Er rechne vielleicht noch dieses, spätestens Anfang nächsten Jahres mit einer alle Seiten zufriedenstellenden vertraglichen Abmachung. Warum die Wirtschaftswoche einen neuen »Eisernen Vorhang« erfindet, der sich an Deutschlands Ostgrenze über das freie Ökostromeuropa senkt, kann er sich nicht erklären, kontaktiert habe man ihn nicht.

Die Phantasie der Wirtschaftswoche geht indes noch weiter. Grund für den slavischen Egoismus: »Mit den Grenzschützern im Stromnetz pampert Polen also nicht nur sein Netz, sondern gleich auch die Profite seiner staatlichen Kraftwerksbetreiber.« Na also, Profite. Für die phöse polnische Kohlen-Lobby. Aber das Karma solch schlechten Tuns könnte bald zurückschlagen, weiß das Magazin. Hat Polen nämlich seine Kohle erst einmal verfeuert, »würde Polen schon binnen kurzer Zeit seinem ungeliebten Nachbarn Russland ausgeliefert sein.«

Nach der Wirtschaftswoche-Logik sollte Polen lieber deutschen Ökostrom hereinlassen, wie er gerade anfällt. Ich rätsele seit gestern, wie es zu einem solchen Artikel kommen konnte. Habe ich das Thema Netzstabilität doch nicht verstanden? Was meinen Sie? Für Erklärungshilfen wäre ich dankbar.

 

 

 

 

 


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