Interview mit Dirk Finstel, Advantech

»Das Verschmelzen von IoT und KI ist unvermeidlich«

22. April 2020, 9:40 Uhr | Manne Kreuzer
Dirk Finstel, Advantech, steht Rede und Antwort zu den Entwicklungen von KI und IoT.
© Advantech Europe BV

Die Konvergenz des Internet der Dinge (IoT) und der Künstlichen Intelligenz (KI/AI) sind für Dirk Finstel, Associate Vice President Embedded IoT Europe von Advantech, eine logische Konsequenz mit vielen Vorteilen – aber noch steht der Markt für AIoT erst am Anfang.

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Markt&Technik: Embedded IoT und KI – Sind das neue Kundengruppen oder Bestandskunden die aufrüsten wollen/müssen?

Dirk Finstel: Sowohl, als auch. Im klassischen Industriebereich findet eine Evolution hin zu IoT und AI statt. Durch die Verschmelzung von  IoT und AI werden aber auch völlig neue Lösungen möglich, die insbesondere von Software und Cloud-orientierten Neukunden entwickelt werden. Bestehende Kunden für Embedded Computing werden sowohl ihre heutigen Applikationen und Lösungen erweitern und anpassen,  als auch neue Applikationen und Lösungen entwickeln, um den neuen und stetig wachsenden Anforderungen der Märkte gerecht zu werden. Unternehmen, die sich heute ausschließlich um Software kümmern, werden durch das Zusammenwachsen der beiden Themenbereiche zu potenziellen neuen Kunden.

Wie realistisch ist die Verschmelzung von IoT und KI zu AIoT?

Ich denke, im ersten Ansatz sind die beiden Technologien erst mal unabhängig voneinander anwendbar. Aber eine zukünftige Fusion ist mehr als nur realistisch, sie ist letztendlich  unvermeidlich, da beide Technologien sich nicht völlig unabhängig voneinander weiterentwickeln können. Das IoT ist in der Lage große Datenmengen zu sammeln und diese Daten zur Analyse harmonisiert zusammenzuführen. Dies ist von grundlegender Bedeutung für KI-Prozesse. KI kann nur dann einen Mehrwert schaffen, wenn sie schnell und effektiv die richtigen Entscheidungen unter den richtigen Umständen trifft. Der einzige Weg, eine gute KI-Modellierung zu erstellen ist die Nutzung großer Mengen realer Daten. Das Schöne an einer echten IoT-Architektur mit integriertem Edge-Computing-Teil ist, dass die KI-Algorithmen dann in die Edge-Komponenten ausgelagert werden können. So lässt sich das Gesamtsystem hinsichtlich Latenz und Bandbreite optimieren. Dadurch erhalten wir das Beste aus beiden Welten, nämlich Zugang zu großen Mengen an „Live“-Daten, mit der Option, gleichzeitig den Overhead zu reduzieren und die Abhängigkeit des Cloud Computing von niedrigen Latenzzeiten zu verringern.

Wie nahe sind wir schon daran?

Es existieren heute bereits erst Ansätze, was an dem Beispiel „Automated Pass Control“ (APC) an vielen Flughäfen zu sehen ist. Dabei werden Daten über Kameras erfasst, dann über ein Edge Device und Gateway zu einem zentralen Server übermittelt, dort per Software automatisch ausgewertet und mit einer entsprechenden Aktionsanweisung an das Edge Device in den Automaten rückübermittelt. Wir werden in der Zunft aber noch in vielen weiteren Bereichen diese Verschmelzung von IoT Devices und AI zu sehen bekommen. Typische Anwendungen erwarte ich zum Beispiel auch im Umfeld von Security, Automotive, Smart Home und auch in der Medizintechnik, ganz besonders im Bereich Healthcare. Zu beachten ist hier in jedem Fall die Anwendung des Datenschutzes, insbesondere bei Applikationen mit Personenerkennung in öffentlichen Bereichen. Hier  gilt es mögliche Interessenkonflikte zu lösen. Werden beide Schlüsseltechnologien IoT und AI verschmolzen, ergibt sich so eine wesentlich höhere Transformationskraft. Im globalen Wettbewerb wird es für unsere europäischen Kunden sehr wichtig sein, hier den Anschluss nicht zu verpassen.

Bauen die Kunden das dafür notwendige zusätzliche Know-how selber auf oder kaufen sie lieber zu?

Auch hier gilt: Teils, teils und abhängig welche Wertschöpfungsmodelle bei den Kunden bevorzugt werden. Im Grunde handelt es sich hier um zwei  Kundengruppen. Kunden die klassisch von der Hardwareseite kommen und Kunden die sich auf Anwendersoftware spezialisiert haben. Nur sehr wenige Kunden werden eigene Entwicklungsabteilungen für diese beiden Themenfelder aufbauen. Ein kontinuierlicher Ausbau von Wissen und Erfahrung zu unterschiedlichsten Themenfeldern ist für AI-IoT-Applikationen erforderlich. Es wird für Kunden einfacher sein, sich Fachleute für die jeweilige Applikation/Anforderung von extern zu holen. Natürlich muss die Kernkompetenz immer beim Kunden bleiben. Aber auf Grund der Komplexität der Lösungen, werden vermehrt Technologiepartner wie Advantech eingebunden.

Wie kann man als Hardware-Hersteller hier helfen?

Erst mal muss ein Hardware-Hersteller die Komplexität der Lösungen, vor allem in Bezug auf Software, Cloud Technologien und das Deployment verstehen, um einen Mehrwert bieten zu können. Deswegen investiert Advantech seit Jahren in eine  eigene IoT-Plattform und diese Erfahrung bringen wir immer stärker in Kundeprojekte ein. Darüber hinaus helfen wir Kunden mit Hilfe von Solution Ready Platforms, schneller am Markt zu sein. Und natürlich können wir  als Advantech dem Kunden natürlich schon heute „Building Blocks” aus Hard- und Software anbieten, die helfen eine kombinierte  IoT-AI-Lösungen zu schaffen. Hierzu gehören fertige Plattformen wie Gateways und VPU-Module aus der Vega-Produktlinie, die in Verbindung mit den passenden Software-Modulen das Remote/Device Management übernehmen. Funktionen wie Update, Upgrade, Fernsteuern und die Kontrolle von Datenspeicherung und Übermittelung, Sicherheit und Schutz sowie die Anbindung an die Cloud  - zum Beispiel Azure , AWS und andere - sind heute schon möglich. Hierfür bauen wir konsequent eine Abteilung in München auf und aus, die sich ausschließlich mit diesem Themen beschäftigt und kontinuierlich neue Lösungen in Zusammenarbeit mit unseren Kunden schafft.

Was machen die Entwickler und die Fertigung des Kunden dabei?

Die Mehrzahl konzentriert sich auf die Implementation und Schaffung der Infrastruktur mit entsprechender Connectivity, Edge Devices und Gateways, sowie die Adaption der entsprechenden Software. Dies bindet vermehrt Kapazitäten und bringt neue  Anforderungen mit sich. Die Erfassung und Auswertung der Daten,  die Überwachung der Ergebnisse sowie die Optimierung der Ergebnisse wird an die Fertigung neue Herausforderungen stellen, um Produktivität und Qualität weiter zu optimieren. Die Kunden fokussieren sich dabei auf die jeweilige Kernkompetenz in der jeweiligen Domäne und die Schnittstellen in die Lösungslandschaft, nicht nur, aber auch bedingt durch den Fachkräftemangel und demographischem Wandel.

Wie wichtig ist es dabei die Märkte der Kunden zu verstehen?

Dies ist essentiell für uns. Nur ein hohes Verständnis der Kundenmärkte, deren Anforderungen beziehungsweise ihrer Applikationen ermöglicht es uns das Produktportfolio bestehend aus Hard- und Software gezielt und erfolgreich weiterzuentwickeln. Mit unseren Experten für die unterschiedlichen Märkte und Applikationen stehen wir unseren Kunden beratend zur Seite. Auch deshalb hat Advantech mittlerweile eine so große Präsenz und Kompetenz in Europa aufgebaut inklusive lokalen Entwicklungsressourcen und einem großen Team von IoT-Experten

Soll das Software/Middleware-Geschäft weiter ausgebaut werden?

In jedem Fall. Bedingt durch die Transformation in der Industrie ist das ein essentieller Teil  unserer Firmen- und Wachstumsstrategie. Als der führende Anbieter für Embedded-Computing-Lösungen stehen wir hier geradezu in der Pflicht und kombinieren die verschiedenen Business-Modelle von Hard- und Software.

Wie läuft eigentlich das klassische Board- und Modulgeschäft?

Sehr gut, da immer mehr Kunden unsere lokale Kompetenz und die Stabilität und die Leistungsfähigkeit der weltweit größten Embedded-Firma zu schätzen wissen. Aktuell investieren wir mehr denn je in unsere Produkt- und Technologie-Roadmap und das eh schon sehr breite Portfolio wird weiterhin konsequent mit neuen Lösungen und Technologien ausgebaut. Dies wird die Grundlage des Wachstums für die nächsten Jahre sein.

Allokationen, Strafzölle, Quarantäne – wie kann man hier den Kunden helfen?

Durch Proaktivität und Flexibilität. Unsere lokalen Service und Integrations-Center helfen uns natürlich hier in Europa. Es gibt aber auch immer mehr Kunden, die unsere globale Infrastruktur für ihr Auslandsgeschäft nutzen. Denn wir stehen am Anfang einer neuen weltweiten Ausnahmesituation. Während unsere Fabriken wieder die Kapazitäten aufnehmen und zurzeit nur bei einigen Komponenten Verzögerungen in der Lieferkette haben, sehen wir gleichzeitig dass viele Fertigungsstandorte unserer Kunden in Europa herunterfahren werden. Wo es auch immer notwendig ist, werden Fertigungslose und Lieferungen priorisiert, um die Verzögerungen so gering wie möglich zu halten. Von Strafzöllen sind unsere Produkte zurzeit nicht betroffen und wir haben einen Notfallplan, falls dies tatsächlich eintreffen sollte.

Was muss noch gesagt werden?

Der Markt für kombinierte  IoT- und AI-Lösungen steht erst am Anfang und wir sehen weitere zwei bis drei Jahre in der sich der Markt signifikat weiterentwickeln wird. Wir werden weiterhin in diesen wichtigen Zukunftsmarkt investieren. Aber vor allem: Danke an alle, die in diesen schweren Zeiten helfen, unser Land und Europa am Laufen zu halten!

Das Interview führte Manne Kreuzer

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