»Wir müssen die Marktschwankungen sehr genau beobachten und erkennen, denn sonst bricht das System zusammen«, gibt Lutz van Remmen, Sales Manager Geography & Distribution, Freescale, zu bedenken. So sei es im letzten Jahr phasenweise einfach nicht mehr möglich gewesen, die Bestellungen zu erfüllen, weil alleine die physikalischen Durchlaufzeiten eines Halbleiterherstellers nicht mit den Kundenwünschen in Einklang zu bringen waren.
Leichter haben es die Steckverbinder-Hersteller. Hier liegen die Produktionszeiten zumindest theoretisch bei wenigen Wochen. Aber um solche niedrigen Durchlaufzeiten auch tatsächlich umsetzen zu können, ist schon ein ausgeklügeltes Logistik- und Materialmanagement in der Fertigung notwendig, wie Michael Clarner berichtet, Distribution Key Account Management EMEA von FCI Electronics: »Wir wollen jedes Produkt innerhalb von zwei Wochen produzieren. Dazu stellen wir derzeit unsere eigene Fertigung um auf eine Pull-Planung in Verbindung mit einem Kanban-System.« Aber, so Clarner, auch wenn die Fortschritte in der Fertigung sogar für den Besucher sichtbar sind: Von heute auf morgen geht so etwas nicht. Und auch die Materiallieferanten müssen mitziehen und pünktlich liefern. Zu guter Letzt versagt aber das beste Logistik-System, wenn der Input der Kunden nicht stimmt. Und die waren nach Ansicht von Hans-Peter von der Borch, Einkaufsleiter von BuS Elektronik, schlicht und einfach über die letzten zehn Jahre sehr verwöhnt, denn es gab seit 2001 nur wenig bis gar keine Lieferengpässe. Jetzt müssen sie erst einmal umdenken. »Wenn wir von unseren Kunden Forecasts einholen wollten, hieß es ’Wozu? Ware gibt es doch?’« Jetzt, da die Lager leergefegt sind, müsse man den Kunden klar machen, dass Forecasts essenziell seien. Und das, so von der Borch, funktioniere mittlerweile schon ganz gut.
Extreme Marktschwankungen werden eher die Regel als die Ausnahme
Dass die Dynamik des Elektronikmarktes insgesamt in den nächsten Jahren weiter zunehmen wird und damit auch die Amplituden zwischen den Hochs und Tiefs extremer werden, »daran müssen wir uns gewöhnen«, meint Dr. Uwe Schmidt-Streier, General Manager bei Flextronics SBS Germany. »Jede Krise«, so Schmidt-Streier, »hat andere Symptome, und damit muss die Branche nun mal umgehen können.«
Allerdings reicht es nach Auffassung von Waldemar Christen, Leiter Vertrieb und Marketing der BMK Group, auch nicht, sich alleine auf die – zusehends kurzfristigeren – Forecasts zu verlassen, denn »dann wird es immer wieder so laufen wie im letzten Jahr!«
Wer jedoch in der Lieferkette diese zunehmend extremeren Ausschläge abfedern soll, darüber herrscht noch wenig Einigkeit. Da wird einerseits die Forderung nach mehr Liefertreue laut, andererseits fordern einige Teilnehmer auch mehr Risikobereitschaft von den Herstellern: »Wenn die Hersteller, wie im letzten Jahr der Fall, erst wieder Kapazitäten aufbauen müssen, kann die Distribution die daraus entstehenden Engpässe jedenfalls nicht mehr abfangen, gibt Thomas Ulinski, Director Linemanagement von Rutronik Elektronische Bauelemente, zu bedenken.
Die Erklärung einiger Hersteller, es hätte einfach zu wenig verlässliche Forecasts gegeben, lässt Schmidt-Streier jedenfalls nicht gelten: »Wir haben einigen Herstellern ein festes Commitment gegeben, aber sie haben sich trotzdem geweigert, ihre Kapazitäten auszubauen.« Die Bauelementehersteller müssen ihre Prozesse dynamischer gestalten, fordert auch Christen, schließlich werde auch von einem EMS-Dienstleister erwartet, dass er in Vorleistung gehe, um die Dynamik des Marktes mitmachen zu können. Andernfalls, so Christen, »wird sich der Markt helfen, indem er sich Alternativen schafft, um die Abhängigkeiten zu reduzieren.«
Liegt der Schwarze Peter also bei den Herstellern? Zumindest helfen die besten Forecasts nichts, wenn am Ende Lieferzusagen nicht eingehalten werden, weil der eine oder andere Hersteller bereits zugesagte Lieferungen vom Distributor an den OEM umleitet oder einen Großteil seiner Kapazitäten für große OEMs »reserviert«. Dieses Top-down-Prinzip mag einerseits aus Sicht der Hersteller verständlich erscheinen, andererseits sind dadurch die Handlungsmöglichkeiten der restlichen Lieferkette – da kann das Vertrauen und die Zusammenarbeit noch so gut sein – von vorne herein erheblich eingeschränkt.