Hat sich das Bestellverhalten der Kunden seit August wirklich merklich verändert? Zumindest der Bedarf ist im Markt ja nach wie vor vorhanden, schließlich müssen die Aufträge bis Jahresende ja erst mal abgearbeitet werden. Fakt ist, dass viele Kunden verunsichert sind und deshalb ihren Lagerbestand auf möglichst niedrigem Niveau halten und sich mit Neuaufträgen zurückhalten. »Die Kunden hamstern in der Regel nicht mehr, sondern kaufen wieder mehr mit Bedacht und nach tatsächlichem Bedarf«, weiß Klein. Hinzu kommt laut Karlheinz Weigl, Vice President Zentral- und Osteuropa von Silica, dass die Kunden wegen der Produktverknappung in der ersten Jahreshälfte weit hinaus disponiert hatten. »Bedarf wird nachjustiert, Aufträge werden verschoben, aber nicht storniert«, so Weigl. Diese Situation hat nach Ansicht von Weigl ihren Ursprung aber nicht in der Finanzkrise, sondern sei »eine natürliche Abkühlung in einem Markt, der über die letzten zwei Jahre nur Wachstum gesehen hat - uns war klar, dass das auf diesem Level nicht weitergehen kann«.
Einen weiteren Grund für das veränderte Bestellverhalten sieht Knappmann in den kürzeren Lieferzeiten: »Wenn Lieferzeiten von 40 auf 4 Wochen fallen, hat das zwangsläufig Konsequenzen auf das Bestellverhalten. Kunden haben in den letzten Monaten zunehmend Lager aufgebaut und profitieren jetzt von kürzeren Lieferzeiten.« Nicht vergessen sollte man laut Knappmann auch die Reaktion auf die Japan-Katastrophe: Die Kunden haben bestellt und Lieferungen vorgezogen, um ihre Warenverfügbarkeit und die Produktion zu sichern. »Diese Kunden werden im zweiten Halbjahr weniger bestellen. Das war vorherzusehen. Leider gibt es aber genügend Marktbeobachter, die in einer Beruhigung sofort eine Stagnation sehen«, beklagt Knappmann.
Die vorsichtigeren Dispositionen der Kunden könnten aber schnell wieder zu Verfügbarkeitsproblemen führen, mahnt Krieg: »Die Wiederbeschaffungszeiten haben sich zwar normalisiert, aber »Normal« bedeutet trotzdem typischerweise 12 Wochen. Das heißt, eine schnelle Anpassung der Lieferzeiten ist nur innerhalb der bestehenden Rahmenbedingungen mit allen Vorlieferanten möglich.«
Und damit wären wir im Kern wieder beim Hauptproblem des letzten Jahres: der Verfügbarkeit von Bauteilen und der Frage: Haben die Akteure der Lieferkette nichts aus der Krise 2009 und der anschließenden Knappheit gelernt? Hier sind die Distributoren unterschiedlicher Ansicht: Von »nein« über »teilweise« bis »ja« reichen die Antworten der Befragten. Laut Jean Quecke, Regional VP Sales Europe von TTI, zeichnet sich ein sehr unterschiedliches Bild, von Hersteller zu Hersteller, Kunde zu Kunde, ab. Ein deutlich negatives Zeugnis hingegen stellt Klein der Lernfähigkeit der Lieferkette bzw. deren Akteuren aus: »Zum einen mag das daran liegen, dass es sich inzwischen bei fast allen großen Bauelemente-Herstellern um börsennotierte und deshalb letzten Endes immer einem gewissen Quartalsdenken verpflichtete Unternehmen handelt. Zum anderen ist das Vertrauen vieler Kunden in unsere Beschaffungs- und Logistikkompetenz aufgrund ihrer bisherigen positiven Erfahrungen inzwischen so groß, dass sie sich auch ohne weiteres eigenes Zutun gegen unvorhersehbare Ereignisse ziemlich gut geschützt fühlen. Natürlich ehrt uns dieses Vertrauen. Aber das sollte niemand davon abhalten, sein Dispositionswesen weiter zu optimieren.«
Laut Markus Krieg disponieren die Hersteller aber inzwischen ihre Vormaterialien und Rohmaterialien so, dass sie z.B. über Die-Banking und Wafer-Banking zusammen mit den Backend-Produktionen schnell auf steigenden Bedarf reagieren könnten. Aber das alleine reicht noch nicht, »denn«, so Krieg, »gleichzeitig müssen wir uns bewusst sein, dass man auch innerhalb der Logistik nicht zaubern kann, solange speziell passive Bauelemente meist auf dem Seeweg nach Europa gelangen.«