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Perspektiven der Aktorik

23. September 2006, 17:38 Uhr |
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Fortsetzung des Artikels von Teil 2

Piezo-Aktoren – kleine Auslenkung, hohe Kräfte

Typische Einsatzgebiete der piezoelektrischen Kristalle sind die mechanische Positionierung z.B. beim Rastertunnelmikroskop [2], die Formveränderung in adaptiven Strukturen oder die Ventilsteuerung in Dieselmotoren. Industriell eingesetzt werden die Piezo-Aktoren in Dieselmotoren mittlerweile im großen Stil: Die Siemens VDO Automotive AG berichtete auf der Bremer Messe "Aktuator" im Juni 2002, dass in rund 200 000 Motoren der Firmen Peugeot und Ford Einspritzsysteme mit Siemens-Piezo-Elementen arbeiten. Vorteile bieten die Piezo-Injektoren durch ihre kurzen Reaktionszeiten: Der Kraftstoff wird in bis zu sieben Portionen von jeweils 1,5 mm3 eingespritzt, im Gegensatz zum "Common Rail"-Verfahren, das global mit Drücken bis zu 0,16 MPa (1600 bar) arbeitet. Der Verbrennungsvorgang lässt sich auf diese Weise präziser steuern und es lassen sich nicht nur die Verbrauchswerte reduzieren, sondern auch mit einem Hitzestoß die Dieselruß-Partikel verbrennen. Siemens VDO setzt als Piezokristalle Blei-Zink-Titan-Keramiken ein, die in mehr als 100 Lagen bis zu einer Länge von 30 mm übereinander gestapelt werden; der Hubweg beträgt dann 0,4 mm.

Auf die Herstellung von Aktoren für den Einsatz in so genannten adaptiven Strukturen hat sich die AVC-Gruppe (Active Vibration Control) der PCB Piezotronics spezialisiert. Piezoelektrische Aktoren für die aktive Schwingungsdämpfung finden ihre Anwendung heute u.a. in Flugzeugen und Helikoptern. Das Prinzip besteht darin, dass ein Piezokristall durch einen elektronischen Verstärker zum Schwingen angeregt wird; dabei erzeugt der Kristall in enger Kopplung mit der Masse der zu dämpfenden Konstruktion einen definierten zeitlichen Kraftverlauf. Bei gegenphasiger Einleitung dieser Kraft können störende Vibrationen neutralisiert oder vermindert werden. Diese Technik eignet sich besonders gut bei Motoren und Antriebsaggregaten, bei denen mit konstanter Drehzahl gearbeitet wird. Passende Leistungsverstärker und Phasenschieber sind ebenfalls von AVC erhältlich.

Zu den Produkten des Unternehmens zählt ein piezoelektrischer Trägheits-Aktor, der oberhalb 400 Hz, im hier so genannten "mittleren Frequenzbereich", hohe mechanische Kräfte aufbauen kann. In einem geschlossenen Regelkreis kann der Aktor in einer mechanischen Struktur durch den Aufbau von Gegenkräften Schwingungen unterdrücken oder auch Geräuschentwicklungen dämpfen. Typisch wird der Aktor nach Angaben des Herstellers in Flugzeugen und Helikoptern eingesetzt. Für die Unterdrückung höherer Frequenzen bis 50 kHz eignet sich der "Piezoelectric Patch Actuator", der mit einem Epoxy-Zweikomponentenkleber mit der mechanischen Struktur verbunden wird. Dieser Aktor eignet sich besonders für die Realisierung adaptiver Strukturen in der Luftfahrttechnik oder zur Unterdrückung hochfrequenter mechanischer Vibrationen bei Maschinen.

Wohl die erste der zu Beginn der 60er Jahre gefundenen Legierungen mit Formgedächtnis (SMA – Shape Memory Alloy) war Nickel-Titan, dessen Handelsname Nitinol (Nickel Titanium Naval Ordnance Laboratory) auf den Arbeitgeber seines Entdeckers hinweist. William J. Buehler hatte dort die spezielle Eigenschaft dieser Legierung durch Zufall im Forschungslabor der Navy gefunden. Ein aus Nitinol hergestellter Draht oder Blechstreifen kann zwar verbogen – also plastisch verformt – werden, nimmt aber durch Erwärmung wieder seine ursprüngliche Form an. In der Medizintechnik hat das Material weite Verbreitung gefunden, chirurgische Instrumente aus diesem Werkstoff sind biologisch "inert" und wegen ihrer besonderen Eigenschaft zudem knicksicher. Bei der Konstruktion neuer Aktoren wird das Material bisher kaum eingesetzt; in den USA wird von dem Hersteller Mondo-tronics, Inc., zu Demonstrationszwecken ein "Space Wings Kit" angeboten, bei dem die Nickel-Titan-Drähte zwei Flügel in Bewegung setzen (Bild 7). Auch hier wird deutlich, wie bei den piezokeramischen Elementen auch, dass "neue Aktoren" nur dann ein Chance am Markt besitzen, wenn sie spezifische Anforderungsprofile erfüllen, die von den bewährten Lösungen nicht abgedeckt werden können.

Auch bei den Aktoren (engl. actuators) werden mittlerweile Mikromechanik und "Nanotechnologie" eingesetzt, allerdings stellen in der makroskopischen Welt die mechanischen Bewegungen unter Last die Mehrzahl der Anwendungen. Zu den kommenden Einsatzgebieten mikromechanischer Aktoren im industriellen Umfeld zählt die "Nanopositionierung" für die Integrierte Optik [3]. Dort müssen sich u.a. die Lichtleitfasern in Bezug auf die aktiven optischen Elemente im Nanometer-Bereich justieren lassen.

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Bild 7. Mit einem elektronisch gesteuerten Bausatz für knapp 20 $ demonstriert Mondo-tronics die Einsatzmöglichkeiten von Nitinol. Der "Space Wings Kit" ist 15 cm hoch und schlägt bis zu 36 Mal pro Minute mit den "Flügeln". (Bild: Mondo-tronics)

  1. Perspektiven der Aktorik
  2. Der Elektromotor als Universalaktor
  3. Piezo-Aktoren – kleine Auslenkung, hohe Kräfte
  4. Literatur / Links zum Thema

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