Algorithmen nutzen Algorithmen

Neue Möglichkeiten von Algorithmen in der Industrie

12. April 2024, 20:45 Uhr | Von Johannes H. Diedrich

Algorithmen sind in der Industrie nichts wirklich Neues, aber sie eröffnen immer mehr Möglichkeiten in immer mehr Anwendungen. Gerade in der Instandhaltung greifen sie dabei inzwischen sogar auf andere Algorithmen zurück, um Daten zu erheben und Handlungsoptionen aufzuzeigen.

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Fällt heutzutage der Begriff »Algorithmus« außerhalb des Mathematikunterrichts, so ist meistens ein streng gehütetes Geheimnis gemeint: Die Vorschrift, nach der den Nutzern einer digitalen Plattform Inhalte angezeigt werden. Google, Facebook, Instagram, YouTube, TikTok, - sie alle verwenden einen solchen Algorithmus. Und das aus gutem Grund. Auch in der Industrie finden sich unzählige Einsatzmöglichkeiten für Algorithmen, und viele werden bereits genutzt. Der nächste logische Schritt? Algorithmen, die Algorithmen nutzen.

Was ist ein Algorithmus?

Algorithmen sind nicht notwendigerweise Quellcodes. Im Grunde sind es einfache Schritt-für-Schritt-Anweisungen zur Abarbeitung von Aufgaben. Typische Beispiele sind Kochrezepte, Bauanleitungen für Möbel und Modellbau oder auch Routen- und Wegbeschreibungen. Ihren vollen Nutzen erlangen Algorithmen, wenn sie maschinenlesbar beschrieben werden. Denn dann werden sie nicht nur zur fachlichen Anforderung an ein Automatisierungsvorhaben, sondern lassen sich in ihm auch direkt ein- und umsetzen.

Ein einfaches Beispiel: Innerhalb einer Fertigungsstrecke soll eine bestimmte Aufgabe in Zukunft nicht mehr manuell, sondern automatisiert durchgeführt werden. Dazu muss die Aufgabe interpretationsfrei und lückenlos beschrieben werden, damit sie mit geeigneter Hard- und Software umgesetzt und schließlich von der Automatisierungslösung reibungslos ausgeführt werden kann. Sinnvoll ist es dabei, die Beschreibung mittels geeigneter Werkzeuge direkt so anzufertigen, dass sie (auch) als Quellcode für die Automatisierungs-Software zur Verfügung steht. Idealerweise bieten solche Werkzeuge auch Möglichkeiten zu virtuellen Tests der Anforderung und ihrer theoretischen Umsetzung.

Dieses Beispiel macht deutlich, dass die Verwendung von Algorithmen in der Industrie keineswegs Neuland ist. Jetzt ist die Zeit für den nächsten Schritt gekommen.

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Algorithmen greifen auf Algorithmen zurück

Johannes H. Diedrich, Leiter Industrieprojekte der Synostik GmbH
Johannes H. Diedrich, Synostik GmbH: »Konsequenter nächster Schritt sind Algorithmen, die sich wiederum an Algorithmen bedienen.«
© Synostik GmbH

Kommen wir noch einmal zurück auf die Algorithmen der großen Internet-Plattformen. Diese haben Auswahl- und Vorschlags-Algorithmen entwickelt, um möglichst solche Inhalte anzuzeigen, die ihre Nutzer auf der Plattform halten, ihnen also weiterhelfen. In der Industrie sollten Fachkräfte immer dann mit hilfreichen Inhalten versorgt werden, wenn sie das Ende ihres eigenen Wissens erreicht haben. Besonders kritisch ist diese Versorgung bei der Instandhaltung technischer Systeme.

Die Instandhaltung hat zum Ziel, die Funktionsfähigkeit eines Systems erstens zu erhalten und zweitens bei Verlust wiederherzustellen. Ersteres geschieht meist durch Inspektion und Wartung, letzteres durch Fehlersuche und Reparatur. Weil das System für Inspektion und Wartung häufig heruntergefahren werden muss, entstehen proportional zur Dauer Kosten durch Produktionsausfälle. Kommt es trotz allem zu ungeplantem Stillstand, ist jede Sekunde, die bei Fehlersuche und Reparatur eingespart werden kann, viel Geld wert. Je besser Instandhaltungs-Fachkräfte bei ihren Aufgaben unterstützt werden, desto effizienter und vor allem zuverlässiger können sie arbeiten.

Dazu bedarf es eines Auswahl- und Vorschlags-Algorithmus nach Vorbild der Internet-Plattformen: Im Instandhaltungsfall sammelt ein solcher Algorithmus alle verfügbaren Daten und fragt gegebenenfalls weitere Informationen bei der Fachkraft nach. Für die Erhebung der Daten greift der Algorithmus seinerseits auf Algorithmen zurück, die vom System automatisch ausgeführt oder der Fachkraft als Arbeitsanleitung zur Verfügung gestellt werden. Auf Basis der gesammelten Daten schlägt der Algorithmus Handlungsoptionen zur Behandlung des vorliegenden Instandhaltungsereignisses vor. Diese Handlungsoptionen liegen wiederum – wer hätte es gedacht – als Algorithmen vor, die vom System selbst oder einer Fachkraft umgesetzt werden. Die Kernaufgabe des Auswahl- und Vorschlags-Algorithmus ist es also, den richtigen Algorithmus zur richtigen Zeit auszuführen oder ausführen zu lassen.
Dazu benötigt es drei Dinge:

1. die Algorithmen zur Datenerhebung und Ereignisbehandlung
2. Metadaten zu diesen Algorithmen
3. einen Algorithmus zur kontinuierlichen Verbesserung der Metadaten

Bei den Algorithmen zur Datenerhebung und Ereignisbehandlung ist wichtig, dass sie methodisch strukturiert, vollständig und als einzelne, inkrementelle Abschnitte erstellt werden. Ein bewährtes Vorgehen dabei ist, zunächst einen Überblick über alle Bestandteile eines technischen Systems zu schaffen, die Gegenstand von Instandhaltungsmaßnahmen werden können. Als nächstes muss für jeden zuvor ermittelten Bestandteil des Gesamtsystems hinterlegt werden, welche Instandhaltungsereignisse hier auftreten und durch welche Symptome sie identifizierbar sind. Als letztes müssen inkrementelle Algorithmen definiert werden, die einem von zwei Zwecken dienen: Entweder generieren sie Daten und Informationen, um vom Symptom auf das ursächliche Ereignis zu schließen, oder sie dienen der Behandlung des Ereignisses.

Die Metadaten zu diesen inkrementellen Algorithmen dienen dem Auswahl- und Vorschlagsalgorithmus als Arbeitsgrundlage. Zum einen handelt es sich dabei um die Angabe, welche Informationen mit dem Algorithmus generiert werden. Auf Basis von Informationen lässt sich die Wahrscheinlichkeit ermitteln, dass ein bestimmtes Ereignis vorliegt. Der Algorithmus wird also möglichst solche Algorithmen vorschlagen, die das vorliegende Ereignis weiter eingrenzen, indem viele Ereignisse ausgeschlossen werden oder ein bestimmtes Ereignis verifiziert wird. Zudem sollten Metadaten zur Dauer der Durchführung eines Algorithmus hinterlegt werden. Wenn sich von fünf möglichen Ereignissen eines innerhalb von sieben Minuten als das mit Sicherheit vorliegende identifizieren lässt, ist das gut. Können aber vier der Ereignisse in jeweils einer Minute mit Sicherheit ausgeschlossen werden, ist das besser. Abhängig vom konkreten Anwendungsfall können weitere Metadaten zielführend sein.

Initial lassen sich die Metadaten als Expertenschätzung erheben und dokumentieren. Der Lern- Algorithmus zur kontinuierlichen Verbesserung der Metadaten überprüft sie in der Praxis und passt sie gegebenenfalls an. Zum Beispiel könnte ein Algorithmus, dessen Dauer ursprünglich zu kurz geschätzt wurde, mit der Zeit weniger häufig vorgeschlagen werden, weil seine tatsächliche Dauer nun bekannt ist. Auf diese Weise werden die Metadaten immer besser, und der Auswahl- und Vorschlagsalgorithmus kann seine Aufgabe immer präziser erfüllen.

Nächster Schritt: Algorithmen, die sich an Algorithmen bedienen

Algorithmen sind ein fester Bestandteil industrieller Anwendungen. Vor allem wenn es um Digitalisierung und Automatisierung geht, führt kein Weg an ihnen vorbei. Konsequenter nächster Schritt sind Algorithmen, die sich wiederum an Algorithmen bedienen. Fachkräfte können so beispielsweise bei der Instandhaltung unterstützt werden und ihren Aufgaben effizienter nachkommen.

 

Der Autor:

Johannes H. Diedrich ist Leiter Industrieprojekte der Synostik GmbH.


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