Digitalisierungs- und IIoT-Projekte in der Industrie scheitern oft aufgrund ihrer Komplexität und ihres schwer abschätzbaren Aufwands zur Implementierung. Aber wie können Digitalisierungsprojekte trotzdem erfolgreich umgesetzt werden? Und welche Rolle spielt dabei eine Industrie-4.0-Plattform?
Industrieunternehmen sehen sich heutzutage mit riesigen (Produktions-)Datenmengen, meist in Echtzeit, konfrontiert. Dies stellt viele IT-Abteilungen vor große Herausforderungen, denn die gestiegene Komplexität ist mit der aktuellen IT-Infrastruktur nicht mehr abbildbar. Ein ganzheitlicher Digitalisierungsansatz einschließlich Industrie-4.0-Plattform wird zur Grundvoraussetzung, um den reibungslosen Austausch von Daten, über alle Unternehmensbereiche hinweg, zu ermöglichen und die systemische Komplexität zu verringern. In fünf wesentlichen Schritten lässt sich der Weg für erfolgreiche IIoT-Projekte ebnen.
Die Einführung vieler einzelner, auf einen bestimmten Use-Case zugeschnittener Insellösungen hat in vielen Industrieunternehmen in den vergangenen Jahren mehr und mehr zu einer unüberschaubaren und schwer zu verwaltenden I(Io)T-Infrastruktur geführt. Das Problem dabei ist, dass die meisten Lösungen auf Punkt-zu-Punkt-Verbindungen zwischen Datenproduzenten und Datenkonsumenten beruhen (Client-Server-Architektur). Dies hat viele direkte Abhängigkeiten zwischen den einzelnen Komponenten zur Folge.
Je mehr Komponenten beteiligt sind, desto stärker wächst der Verwaltungsaufwand und verlangsamt sich die Kommunikation. Denn gerade im Produktionsumfeld erhöht sich das Volumen der Maschinendaten rasant und zugleich nimmt deren Wichtigkeit für die Datenkonsumenten zu. Somit steigt der Druck auf die Unternehmen; eine flexible IT-Architektur, die eine schnelle und flexible Kommunikation im Shopfloor gewährleistet, wird Grundvoraussetzung.
Ansonsten wird auch die Integration neuer und die Anpassung bestehender Anwendungen immer komplizierter. Eine nachhaltige Digitalisierungsstrategie sollte auf einem flexibel erweiterbaren IIoT-Ecosystem beruhen, das mit zunehmender Größe nicht schwieriger, sondern leichter zu verwalten ist. Ein wichtiger Schritt hin zu einer solchen Infrastruktur ist die Einführung und konsequente Nutzung von Publish-Subscribe-Kommunikationsmustern, besonders für die Interaktion mit Edge-Komponenten wie etwa Maschinensteuerungen und Sensoren. Pub/Sub-Kommunikation verhindert eine direkte Abhängigkeit zwischen Datenkonsumenten und -produzenten (Punkt-zu-Punkt-Integration).
Eine Architektur auf Pub/Sub-Basis, etwa mithilfe des Broker-gestützten MQTT-Protokolls, sorgt für die nötige Abstraktion in der Kommunikation und die Auflösung direkter Verbindungen zwischen den einzelnen IIoT-Komponenten. In einer solchen Architektur werden die einzelnen Systeme nicht als starre, hierarchisch organisierte Schichten betrachtet, sondern als lose miteinander verknüpfte Knoten eines ganzheitlichen digitalen Ecosystems. Dies ermöglicht eine einfache Erweiterung und Anpassung aller beteiligter Komponenten und schafft eine zukunftsfähige Lösung.
Wichtig ist auch, dass die Kommunikation auf offenen Standards beruht, sodass keine unnötige Abhängigkeit von Softwareherstellern entsteht. Kein Hersteller kann für das vielschichtige Portfolio an IIoT-Anwendungen von Datenerfassung und -visualisierung über Produktionsplanung bis hin zu künstlicher Intelligenz die bestmögliche Lösung bieten. Es ist deshalb von entscheidender Bedeutung, dass Unternehmen sich mit einer offenen Architektur für die Zukunft positionieren. So stellen sie sicher, dass sie alle zukünftigen Komponenten, unabhängig vom Hersteller und Zweck, nahtlos als Datenproduzenten und/oder -konsumenten in die Infrastruktur eingliedern können.
Um erfasste IIoT-Daten flexibel mit anderen Abteilungen oder sogar Unternehmen teilen zu können, ist der nächste essenzielle Schritt hin zu einer gesamtheitlich digitalisierten Produktion die Einführung eines über alle Unternehmensbereiche hinweg konsolidierten Datenmodells. Häufig liegt die große Herausforderung nämlich nicht in der Datenerfassung an sich – sie ist bei Maschinen häufig etwa über OPC UA (Open Platform Communications Unified Architecture) verlässlich gegeben –, sondern am Fehlen eines unternehmensweit verständlichen Kontextes.
Dies führt dazu, dass Maschinendaten die Grenzen der Abteilung niemals verlassen. Für die bestmögliche Optimierung der Unternehmensprozesse ist es aber zwingend erforderlich, auch anderen Abteilungen wie Einkauf oder Finanzen einen verständlichen Zugriff auf die nötigen Informationen zu ermöglichen. Hierfür schafft ein einheitliches Datenmodell die Basis. Ein Beispiel wäre die Modellierung nach ISA-95-Standard, der die Strukturierung des Unternehmens in seiner Gesamtheit in fünf hierarchisch unterteilte Ebenen vorsieht (Enterprise -> Site -> Area -> Line -> Cell).
Eine weitere Grundlage für den abteilungsübergreifenden Datenaustausch ist die Verteilung der relevanten Daten an alle Unternehmensbereiche. Hierzu ist die Integration in ein konsistentes System zur zentralen Verwaltung der Unternehmensdaten aus allen Abteilungen nötig. Eine nachhaltige IIoT-Infrastruktur ist ohne die nahtlose Einbindung des ERP-Systems folglich undenkbar. Die hier existierenden Datenstrukturen und der gepflegte Datenstamm können ein entscheidender Baustein für den Erfolg einer jeden IIoT-Initiative sein, denn das ERP-System stellt schon heute in vielen Unternehmen eine wichtige Schnittstelle zwischen den unterschiedlichen Abteilungen dar. Erst durch die Verknüpfung der im Shopfloor erfassten Livedaten mit den unterschiedlichen Komponenten im ERP-System lassen sich völlig neue Optimierungspotenziale entlang der Wertschöpfungskette erschließen, weil alle beteiligten Entscheider mit den wesentlichen Informationen versorgt werden.
Eine der zentralen Voraussetzungen für den Erfolg von Digitalisierungsprojekten ist die Akzeptanz bei den Anwendern im jeweiligen Unternehmensbereich. Denn nur eine intuitive und leicht zu bedienende Lösung ermöglicht durch schnellere Arbeitsabläufe und weniger Dokumentationsaufwand eine höhere Wertschöpfung. Fachbereiche ohne fundierte IT-Expertise werden so befähigt, komplexe IT-Systeme zu bedienen und Daten direkt im komplexen ERP-System zu verbuchen. Ein modularer Aufbau der Lösungsarchitektur bietet Unternehmen sowohl technisch als auch anwendungsseitig die größte Flexibilität.
Modulare Apps erlauben maßgeschneiderte Use Cases und schnellere Abläufe im Shopfloor. Dies sorgt für zukunftssichere Investitionen, da diese Lösungen updatefähig sind (Hard- und Software). Ein im SAP-Umfeld aktuell häufig durchgeführter Wechsel, z. B. auf S/4 HANA (High Performance Analytic Appliance), lässt sich mit diesem Ansatz problemlos realisieren. Eine hohe Flexibilität der eingeführten Architektur mitsamt Schnittstellen ist dabei besonders wichtig. Denn nur so ist ein Technologiewechsel leicht möglich und nahtlos durchzuführen.
Um eine ganzheitliche Digitalisierung zu gewährleisten, müssen alle IT-Systeme, Maschinen, Steuerungen und Automatisierungsgeräte nahtlos miteinander vernetzt werden. Dafür ist eine universelle Industrie-4.0-Plattform (IIoT-Plattform) als Kommunikations-Datendrehscheibe erforderlich. Der entsprechende strategische Ansatz lässt sich am besten anhand der Automatisierungspyramide beschreiben, die den konzeptionellen Aufbau eines produzierenden Unternehmens in seinen hierarchischen Strukturen darstellt.
Bei der Automatisierungspyramide handelt es sich um eine hierarchische Darstellung der Steuerungs- und Automatisierungsebenen in industriellen Prozessen. Sie beschreibt einen hierarchischen Aufbau und dient der Einordnung von Techniken und Systemen in die Ebenen.
Die Basis bildet die Feldebene, auf der sich Sensoren und Aktoren befinden, die mit der Umwelt und mit Maschinen interagieren. Dank der Steuerungseinheiten der zweiten Ebene lassen sich Daten aus der Feldebene der dritten Ebene zur Verfügung stellen und entsprechend systemisch verarbeiten – infrage kommen SCADA- (Supervisory Control and Data Acquisition) und MES-Systeme (Manufacturing Execution System) bis hin zum ERP-System (Enterprise Resource Planning).
Dabei beruht die Kommunikation zwischen den Ebenen der Pyramide auf Punkt-zu-Punkt-Verbindungen. Bedingt durch den Aufbau der Pyramide ist die Kommunikation träge, weil Ebene für Ebene durchlaufen werden muss – von unten nach oben und gegebenenfalls zurück. Zudem ist eine Erweiterung (Systeme, Sensoren, Aktoren) nur über die Schaffung neuer Punkt-zu-Punkt-Verbindungen möglich, die jedoch die Nutzung hinsichtlich Flexibilität und Leistungsfähigkeit stark einschränken. Nicht von ungefähr gehört dieser architektonische Ansatz, auch als Industrie-3.0-Ansatz bezeichnet, der Vergangenheit an.
Als innovatives Gegenkonzept soll der Industrie-4.0-Ansatz Punkt-zu-Punkt-Verbindungen eliminieren, um alle Ebenen der gesamten Automatisierungspyramide unabhängig und flexibel miteinander zu verknüpfen. Dies gelingt mithilfe einer universellen Industrie-4.0-Plattform wie etwa Membrain-IoT, die relevante Daten dort bereitstellt, wo sie erforderlich sind. Architektonisch bedeutet das, dass die einzelnen Komponenten der Automatisierungspyramide in ihre Einzelteile zerlegt werden. Die Struktur wird also aufgeweicht, und es wird eine neue geschaffen.
Im Zentrum dieser neuen Struktur steht eine universelle
Industrie-4.0-Plattform, die die einzelnen Systeme und hierarchischen Ebenen direkt miteinander verknüpft. Diese Vorgehensweise hat deutliche Vorteile. Zunächst einmal ist das System einfach und beliebig erweiterbar. So lassen sich etwa mobile Anwendungen in die Industrie- 4.0-Struktur schnell und problemlos einbinden. Auch SQL-Datenbanken oder Zeitreihendatenbanken sind beliebig integrierbar. Auf Basis dieser Daten lassen sich außerdem beispielsweise Algorithmen, Machine Learning und KI problemlos anwenden. Dabei läuft die Kommunikation zwischen den einzelnen Komponenten in diesem Ecosystem und der zentralen Indus- trie-4.0-Plattform bidirektional. Das bedeutet, dass die Möglichkeit, sowohl zu lesen als auch zu schreiben, besteht. So können beispielsweise mithilfe von KI-Modulen Entscheidungen getroffen und diese den relevanten Systemen (z. B. MES-System, SPS) direkt zur Verfügung gestellt werden.
Diese Architektur bietet Unternehmen hohe Flexibilität und Skalierbarkeit. So lassen sich beispielsweise Systeme neu einführen und austauschen bzw. unterschiedliche Protokolle oder Sensoren hinzufügen. Ziel dieser Architektur ist eine optimale Datenverfügbarkeit: Es gilt, Datenproduzenten und Datenkonsumenten direkt und ohne zeitliche Verzögerung miteinander zu verbinden. Relevante Daten sollen Fachbereichen direkt unter Berücksichtigung der Aspekte bereitgestellt werden, welche Daten sie benötigen, wann sie die Daten benötigen und in welcher Form sie die Daten benötigen.
Speziell in der Industrie haben sich native Applikationen wegen ihrer vielen Vorteile gegen Browserlösungen durchgesetzt. Dabei spielt die Performance leistungsfähiger Anwendungen eine wesentliche Rolle. Außerdem ermöglichen native Apps ein unterbrechungsfreies, transaktionssicheres Arbeiten dank des Offline-Modus. Bei Ausfall oder Nichtvorhandensein der Verbindung zum System (z. B. SAP) werden die erfassten Daten gepuffert (in der App zwischengespeichert). Sobald wieder eine Onlineverbindung zum System besteht, werden die Daten synchronisiert. Des Weiteren erfüllen native Apps einen deutlichen höheren Sicherheitsstandard, denn die Kommunikation erfolgt verschlüsselt, und dank zertifizierter Schnittstellen sind die Wege ins SAP-System gesichert.
Die Modularität und Flexibilität der Plattform ermöglicht eine einfache An- bindung an Subsysteme sowie problemlose Erweiterbarkeit. Dies erleichtert unter anderem die Integration von Drittsystemen, etwa BDE (Betriebsdatenerfassung) und MES sowie Qualitätssicherung – Bereiche, die traditionell nicht zu den Stärken von SAP gehören. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf Usability, sie erhöht die Produktivität und Benutzerakzeptanz.
Wenn es um das Betreiben einer Industrie-4.0-Plattform geht, spielt wie bei allen IT-Projekten das Thema Cybersecurity eine wichtige Rolle. Denn viele Projekte scheitern bereits mit dem PoC (Proof of Concept), wegen nicht abschätzbarem Projektaufwand sowie nicht ausreichend gesicherter Schnittstellen zu Subsystemen.
Die über die Industrie 4.0 zur Verfügung gestellten Produktions-Live- daten sorgen für deutlich mehr Transparenz und Produktivität im Shopfloor. Technologie hilft dabei, Produktionsprozesse zu automatisieren und Fabriken zu digitalisieren. Werker werden beispielsweise automatisch per Push-Nachricht auf dem Smartphone in Echtzeit über kritische Maschinenzustände (Über- oder Unterschreitung von vordefinierten Grenzwerten) informiert und können Instandhaltungsmaßnahmen direkt systemisch mobil starten. Darüber hinaus visualisieren Dashboards grafisch den Livezustand einzelner Maschinen und überwachen so die Produktion.
Echtzeitdaten aus dem Shopfloor sorgen somit für mehr Transparenz und machen Maschinendaten (z. B. Produktionszeiten, Stillstände), Prozessdaten (z. B. Temperatur, Druck) oder Energiedaten (z. B. Strom- und Wasserverbrauch) systemisch verfügbar. Mobiles Arbeiten beschleunigt nicht nur Prozesse, sondern sorgt außerdem für eine automatische und lückenlose Dokumentation von Abläufen.
Der Autor
Christian Jeske ist Marketing Director bei Membrain.