Alexander Bergner, Product Manager Industrial IoT bei TTTech Computertechnik, liefert eine kurze und knackige Definition des Edge-Computing-Begriffs: »Edge Controller sind Geräte, die die Anwendung von Cloud-Technologien in Produktionshallen und bei Maschinen ermöglichen«, sagt er. »Durch die Verwendung von Virtualisierung lösen sie aktuelle Restriktionen von Embedded Systems auf und ermöglichen höhere Flexibilität von der Steuerungsebene aufwärts.«
Nach Ansicht von Dr. Bernhard Quendt, CTO der Siemens-Division Digital Factory, hat sich die SPS bereits zum Edge Controller weiterentwickelt: »Schon seit Jahrzehnten ist sie eine Art Edge Controller, als es diesen Begriff noch gar nicht gab«, führt er aus. »Sie bildet nämlich die Grenze zur physischen Welt. In der Automatisierung war die Welt jenseits der physischen Welt bisher eher klein, aber in den letzten Jahren zeigt sich dort das größte Wachstum der Datenmenge. Dementsprechend hat die SPS ihre Außenschnittstellen angepasst, indem sie sich besser als früher in IT-Welten integrieren kann, in denen Ethernet und darauf aufsetzende Protokolle dominieren.«
Die Rolle der Edge Controller in der Industrie 4.0
In der Industrie 4.0 werden Controller beileibe nicht mehr nur Steuerungsaufgaben übernehmen, sondern weit mehr leisten: »Das Thema IoT oder Industrie 4.0 hat große Auswirkungen auf die Fertigungstechnik - es geht dabei tatsächlich um das nächste große ‚Ding‘: ein Netzwerk aus Tausenden von Sensoren, die mit noch nie dagewesener Embedded-Intelligenz ausgestattet sind und Unmengen an Big Analog Data erfassen, die anschließend über extrem schnelle Drahtlosnetzwerke weitergeleitet werden«, erläutert Rahman Jamal. »Weil es aber auch in der Produktion letztlich darauf ankommt, die richtigen Informationen rechtzeitig zur Hand zu haben, um korrekte Entscheidungen treffen zu können, reicht es nicht mehr aus, wenn die Controller lediglich Steuerungsaufgaben übernehmen. Die Anforderungen des IIoT ändern sich ständig, so dass die Controller zu wesentlich mehr fähig sein und zudem enorme Rechenleistung, Kommunikationsmöglichkeiten und präzise Regelung zugleich bereitstellen müssen.«
Alexander Bergner betrachtet Edge Controller auch als Infrastruktur für die industrielle Software: »Zentrale Themen für die Industrie 4.0 sind Datendurchgängigkeit und Flexibilität«, sagt er. »Diese Aspekte werden von Edge-Controllern integral unterstützt. Die Geräte werden die Infrastruktur bilden, auf der Programme der verschiedenen Software-Ebenen der industriellen Produktion ausgeführt werden.«
Laut Dr. Bernhard Quendt wird die SPS als Edge Controller künftig nicht mehr nur Aufgaben ausführen, die der Steuerungsebene der klassischen Automatisierungspyramide entsprechen: »Industrie 4.0 treibt den Wandel bezüglich Datenmengen und deren Verarbeitung weiter voran«, führt er aus. »In der bisherigen Automatisierungspyramide korrespondierte die Breite einer Ebene grob mit der in ihr anfallenden Datenmenge. In dieser Hinsicht wird sich die Pyramide mit der weiteren Digitalisierung quasi auf den Kopf stellen. Die Funktionalität der bisherigen Ebenen wird erhalten bleiben, die bisher fest definierte Zuordnung der Ebenen zu dedizierten Geräten wird aber verschwinden. Die SPS als Edge Controller und Gerät der Controller-Ebene wird im Rahmen von Industrie 4.0 beispielsweise auch Funktionen der SCADA- oder MES-Ebene ausführen.«
Edge Controller als SPS-Ersatz oder SPS als Edge Controller?
Ob der Edge Controller die SPS ersetzt, die SPS Edge-Controller-Funktionen übernimmt oder beide Konzepte verschmelzen, darüber sind sich die befragten Experten uneins. Alexander Bergner rechnet mit dem Ende der Hardware-SPS: »Edge Controller können die Logikfunktionen der SPS übernehmen«, sagt er. »I/O-Klemmen werden über Buskoppler angesteuert, komplexere Sensoren und Aktoren direkt über Feldbusse auf Ethernet-Basis.« Für Dr. Bernhard Quendt wird die SPS als Edge Controller fungieren: »Im Moment werden hier gegensätzliche Konzepte propagiert, die eigentlich gar nicht so gegensätzlich sind, sondern eher fließend ineinander übergehen«, führt er aus.
»Die SPS ist dadurch gekennzeichnet, dass sie einen physikalischen Prozess überwacht und steuert, der je nach Anwendung und Branche hohe Anforderungen an Determinismus und Reaktionszeit stellt. Sie ist darüber hinaus zunehmend in der Lage, Aufgaben zu übernehmen, die eine zeitunkritische Datenvorverarbeitung möglichst nahe am Prozess erfordern. Durch den Einsatz von Multicore-Prozessoren in der SPS hat diese zum einen genügend freie Rechenleistung und kann zum anderen auch sicherstellen, dass die zusätzliche Datenverarbeitung keine negativen Rückwirkungen auf die Qualität der echtzeitkritischen Prozesssteuerung hat.« Die SPS werde damit erweitert zum Edge Controller.