Ethernet kann in Autos an die Stelle von CAN, LIN, MOST und FlexRay treten

Bussysteme im Auto: Weniger ist mehr

29. Juni 2011, 14:38 Uhr | Dr. Markus Plankensteiner
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Die Echtzeitlösung TTEthernet in mobilen Anwendungen

Schematische Darstellung eines Netzwerks im Auto
Schematische Darstellung eines Netzwerks im Auto
© TTTech

Bei Autos und anderen Fahrzeugen sowie Flugzeugen handelt es sich um geschlossene Systeme. »Anders als im Büro, wo Geräte an- und abgekoppelt werden, bleibt die Anzahl der Geräte und die Netzwerktopologie statisch«, formuliert Plankensteiner. »Auf dieser Basis lässt sich das Zeit- und Lastverhalten des Netzwerks genau vorherbestimmen. Dies ist der Kernansatz des Echtzeit-Ethernet-Systems TTEthernet, wobei bei TTEthernet dynamisch ohne Probleme Standard-Ethernet-Knoten hinzugefügt werden können.«

TT steht für Time-Triggered (zeitgesteuert), was bedeutet, dass zeitkritische Nachrichten nach einem genauen Zeitplan über das Netzwerk transportiert werden. »Auf diese Weise lässt sich TTEthernet auch für die höchste Sicherheitsklasse einsetzen, bei der Menschenleben von der zuverlässigen Funktion eines Systems abhängen können«, hebt Plankensteiner hervor.

Darüber hinaus ist TTEthernet offen für alle bekannten Protokolle, die auf klassischem Ethernet beruhen. »Über ein und dasselbe Netzwerk lassen sich also Web-Anwendungen, IP-Sprache, Telemetriedaten, Multimedia-Streams und Diagnoseinformationen übertragen«, stellt Plankensteiner klar. »Zeit- und sicherheitskritische Daten haben aber immer absoluten Vorrang.«

TTEthernet ist für die reibungslose parallele Übertragung von Daten mit harten, weichen oder auch keinen Echtzeitanforderungen sowie nach unterschiedlichen Sicherheits- und Verfügbarkeitskriterien geschaffen. Weil es die Daten durchgängig kollisionsfrei sendet und empfängt, nutzt es die Bandbreite von Ethernet optimal aus.

Bei TTEthernet werden drei Kommunikationsklassen unterschieden:

  • Zeitgesteuerte Kommunikation: Sie entspricht dem SAE-6802-Standard. Die Daten werden zeitgesteuert über das gesamte Netzwerk übertragen. Sender, Empfänger und alle dazwischen liegenden Komponenten wissen aufgrund eines vorkonfigurierten Fahrplans, zu welchem Zeitpunkt welche Daten von wo wohin übertragen werden sollen. Quittierungen sind nicht nötig, weil der Zeitplan jedem Teilnehmer vorliegt. Die Bandbreite wird optimal genutzt. Fehlende Daten werden auf diese Weise sicher erkannt, und das System kann darauf zuverlässig reagieren. Die zeitgesteuerte Kommunikation betrifft vor allem sicherheitsrelevante Systeme, die im Fehlerfall funktionstüchtig zu halten sind. Das Netzwerk muss ein hochverfügbares Redundanzkonzept anbieten. Auch Regelungssysteme mit hoher Verfügbarkeit beruhen meist auf synchroner Kommunikation. Die nötige Regelgüte fordert dabei extrem stabile Nachrichtenlaufzeiten (Jitter).
  • Rate-constrained-Kommunikation: Sie wird nach dem ARINC-664-Part-7-Standard abgewickelt. Eine Integration mit AVB (Audio/Video Bridging) wäre laut Plankensteiner aber ebenfalls möglich. Für diese Art von Kommunikation ist Bandbreite am Netzwerk reserviert. Sobald keine zeitgesteuerte Kommunikation gebucht ist, kann rate-constrained-Kommunikation mit vordefinierter Bandbreite stattfinden. Dieses Verfahren entspricht ungefähr den bekannten Quality-of-Service-Mechanismen für Sprach- und Multimedia-Übertragung via Ethernet. Rate-constrained-Kommunikation sorgt dafür, dass bestimmte Daten mit einer vordefinierten Bandbreite am Netzwerk übertragen werden können. Rate-constrained-Kommunikation eignet sich für Anwendungen mit weniger restriktiven Anforderungen, etwa für Audio und Video-Anwendungen. Seltene Verzögerungen werden toleriert. Die Daten treten meist nicht zyklisch zu fix vorgegebenen Zeiten auf, sondern werden bei Bedarf übertragen. Für diese Art von Daten lässt sich eine gewisse Bandbreite reservieren, um eine entsprechende Übertragungsqualität zu gewährleisten.
  • Best-effort-Kommunikation: Sie entspricht dem Standard-Ethernet IEEE 802.3. In den Intervallen zwischen dem Versenden der zeitgesteuerten und der rate-constrained-Daten lassen sich alle anderen Daten transferieren, bei denen keine Übertragungsqualität garantiert werden muss. Sobald aber zeitgesteuerte oder rate-constrained-Daten auftreten, kann die best-effort-Kommunikation unterbrochen werden. Ein Beispiel dafür sind Diagnosedaten, die keine hohen Anforderungen in punkto zeitliche Präzision an das Netzwerk stellen. Ausfälle sind unkritisch.

TTEthernet lässt sich Plankensteiner zufolge als Erweiterung bestehender Ethernet-Systeme sehen: »Es beruht auf IEEE-802.3-Ethernet und ergänzt es um zeitgesteuerte und rate-constrained-Mechanismen«, sagt er. »Dies ermöglicht nicht nur eine problemlose Migration von Standard-Ethernet-Anwendungen, sondern auch die Nutzung bereits verfügbarer, kostengünstiger Ethernet-Controller.« Auch die Unabhängigkeit von der konkreten Implementierung eines Physical Layers sei damit gegeben.

Auch in der Raumfahrt kann Ethernet andere Bussysteme ersetzten
© TTTech

TTEthernet dient unter anderem als Backbone-System im NASA-»Orion«-Raumschiff, dem Nachfolger des Space Shuttle. Ein weiteres typisches Anwendungsgebiet sind laut Plankensteiner hochverfügbare Systeme, bei denen ein Ausfall mit hohen Kosten verbunden ist. Das sind beispielsweise Safety-Management-Systeme oder Offshore-Windkraftanlagen. Darüber hinaus wird TTEthernet in einer Reihe von Aerospace-Projekten eingesetzt, und es gibt Interesse aus der Medizintechnik und verwandten Bereichen, die vor ähnlichen Anforderungen wie die Automobil- oder Luftfahrtbranche stehen: Hohe Verfügbarkeit, zeitliche Präzision und unterschiedliche Dienste auf einem einheitlichen, kostengünstigen, standardisierten Netzwerk.

Vor allem bei höherem Bedarf an Bandbreite bieten sich Plankensteiner zufolge Ethernet-Lösungen an, die 100 MBit/s und potenziell auch mehr unterstützen können: »Weil die Anwender ein möglichst einheitliches Kommunikationsprotokoll mit großem Wiederverwendungspotenzial wünschen, wird Ethernet vermehrt Einzug in Anwendungen mit hohen Anforderungen an Verfügbarkeit und Sicherheit von Systemen halten, was zusätzliche Flexibilität, Kosteneffizienz und die reibungslose Kombination mit anderen Bussystemen ermöglicht«, sagt er.

Die genannten Kommunikationsklassen von TTEthernet entsprechen laut Plankensteiner voll den Anforderungen an ein solches Netzwerk: »Auf diese Weise öffnet TTEthernet den Einsatz von Ethernet für alle Anwendungsbereiche«, führt er aus. »Von klassischen Web-Services bis zu zeit- und sicherheitskritischen Steuerungssystemen stellt das Netzwerk alle dafür nötigen Dienste zur Verfügung.« Durch die Unterstützung von Standard-Ethernet lassen sich bestehende Ethernet-Netzwerke leicht in ein TTEthernet-Netzwerk migrieren: »Die Netzwerke sind mit TTEthernet-fähigen Switches und Endgeräten schrittweise in Richtung zeit- und sicherheitskritischer Kommunikation erweiterbar«, resümiert Plankensteiner. »Änderungen an bestehenden Anwendungen sind nicht erforderlich.«


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