Die Kritik an Dii seitens der Desertec Foundation überrascht Prof. Jochen Kreusel, der ABB bei der Dii GmbH vertritt. »Die Dii hat viel zur Glaubwürdigkeit des Wüstenstromprojekts beigetragen und ganz neue, vielversprechende Erkenntnisse geliefert«, erklärt er in einem Interview mit Energie & Technik.
Energie & Technik: Aus Sicht der Desertec Stiftung ist bei Dii einiges schief gelaufen. Dr. Thiemo Gropp, Vorstand der Desertec Foundation, hat die nach außen gedrungen Querelen als einen der Gründe dafür benannt, dass die Stiftung aus Dii ausgestiegen ist. Können Sie diese Kritik nachvollziehen?
Jochen Kreusel: Wir diskutieren in der Tat immer wieder intensiv die aktuelle Entwicklung, sowohl unter den Gesellschaftern als auch innerhalb der Dii. Diese Diskussion ist angesichts der laufenden Änderungsprozesse in Europa – Stichwort: Wirtschaftskrise) – und in der MENA-Region – l Stichwort: politisch-/gesellschaftliche Entwicklungen – und der Einzigartigkeit dieses Konsortiums richtig und auch notwendig. Leider hat es in den zurückliegenden Wochen zusätzlich persönliche Debatten gegeben, die der Sache nicht dienen.An den Zielen oder der Strategie von Dii hat sich jedenfalls nichts geändert.
Die Aussage der nicht glücklichen Strategie in Europa und Afrika kann ich überhaupt nicht nachvollziehen. Wir haben am 25. Juni in Brüssel die zweite große Studie der Dii vorgestellt - mit dem Leiter der marokkanischen Solarenergie-Agentur, einem tunesischen Minister, einem Vertreter des Büros des französischen Premierministers, einem exponierten Mitglied des europäischen Parlaments und dem Kabinetts-Chefvon Kommissar Oettinger, die sich alle aktiv an der Vorstellung beteiligt haben. Wir haben in der jüngeren Zeit Acwa Power aus Saudi Arabien als neuen, sehr aktiven Gesellschafter gewonnen. Daraus zu schließen, wir hätten in Europa und Afrika ein Problem, fällt mir schwer. Wir müssen auch darüber sprechen, warum dies in der Öffentlichkeit nicht stärker wahrgenommen wird.
Können Sie die Befürchtungen der Desertec Foundatin nachvollziehen, dass der Ruf der der Stiftung Schaden nimmt? Wie wäre dem künftig abzuhelfen?
Wenn ich es richtig verstanden habe, ist die Desertec-Stiftung besorgt, dass der Ruf des Begriffs Desertec Schaden nimmt. Eine sehr offensichtliche Maßnahme, das zu verhindern, wäre, gemeinsam daran zu arbeiten, die vorhandenen Probleme zu lösen und die erreichten Ergebnisse, die meines Erachtens sehr ermutigend im Sinn der ursprünglichen Idee sind, gemeinsam zu würdigen. Sicherlich dient es weder der Idee noch dem Ruf, sich aus der Verantwortung als Gesellschafter zu verabschieden. Wir bedauern diesen Schritt.
Wie stellt sich ABB als Mitglied von Dii die künftige Strategie des Energiekonsortiums vor?
So, wie bisher auch: Das Ziel der Initiative ist es,aufzuzeigen, welchen finanziellen, politischen und technischen Nutzen ein integrierter Markt für erneuerbare Energie in der Region aus Nordafrika, Nahem Osten und Europa hat und wie er - ausreichenden Nutzen vorausgesetzt - erreicht werden kann. Das war von Anfang an das Hauptziel. Vor diesem Hintergrund sind wir sehr überrascht von der in den zurückliegenden Wochen entstandenen Wahrnehmung einer Strategieänderung. Schon in den Papieren der DLR stand immer, dass in der Aufbauphase vor allem lokale Versorgung in Nordafrika und Nahem Osten stattfinden wird, und ein Energieexport nach Europa erst später relevant wird.
Was hat Dii aus ihrer Sicht bisher gut gemacht? Welche positiven Nachrichten gibt es zu vermelden?
Meiner Meinung nach hat sie sehr viel sehr gut gemacht. Mit den beiden Studien "Desert Power 2050" aus dem Jahr 2012 und der aktuellen "Getting Started" liegen Untersuchungen in einer Breite und Tiefe vor, die einzigartig sind - und die erfreulich klare Ergebnisse geliefert haben: Erneuerbare Energien sind in Nordafrika und dem Nahen Osten bereits heute an vielen Stellen wettbewerbsfähig oder sehr nahe daran. Sie können deshalb sofort einen wichtigen Beitrag zur Deckung des wachsenden Energiebedarfs leisten - vor Ort. Auf mittlere und lange Sicht bringt die Vernetzung der Regionen Vorteile, sowohl wegen der weitaus größeren Zahl sehr guter Standorte für die Nutzung erneuerbarer Energie in Nordafrika und dem Nahen Osten im Vergleich zu Europa als auch wegen der Komplementarität von Angebot und Verbrauch zwischen den Regionen. Deshalb ist die Entwicklung eines integrierten Netzes sinnvoll - und es kann kurzfristig sogar helfen, die zunehmenden Überschüsse aus erneuerbaren Energien in Südeuropa zu nutzen. Am Anfang hätten wir dann sogar einen Energiefluss von Nord nach Süd. Diese Zusammenhänge hat bisher noch niemand aufgezeigt, und sie machen die sogenannte Vision plötzlich sehr greifbar. Darüber hinaus haben heute praktisch alle Länder in Nordafrika und dem Nahen Osten substanzielle Programme zur Nutzung erneuerbarer Energien - das war 2009 keineswegs der Fall. Natürlich hat die Dii die Entstehung dieser Programme nicht aktiv betrieben - dafür ist sie sicherlich zu klein. Aber die Existenz eines einzigartigen Industrienetzwerks, das in diese Idee investiert, hat die Glaubwürdigkeit sicherlich wesentlich erhöht.
Wie wird sich Dii künftig finanzieren?
Das werden die Gesellschafter in nächster Zeit zu beantworten haben.
Die politisch instabile Situation in Ländern wie Ägypten und Tunesien verzögert die Projekte. Wird sich Dii – und auch ABB –l deshalb eher auf Marokko konzentrieren?
Hier ist es wichtig, zwischen heutigen Projekten und der Arbeit der Dii zu unterscheiden. Die Dii soll an einem Rahmen arbeiten, der künftig einen integrierten Markt in der Gesamtregion ermöglicht – diese Arbeit ist ohnehin nicht auf einzelne Länder beschränkt. ABB verfolgt Projekte im Markt und bietet dort an, wo wir etwas beitragen können und wo die Rahmenbedingungen stimmen.
Sehen Sie die Idee, in den Wüstengebieten Energie aus erneuerbaren Quellen wie Wind, Photovoltaik und Solarthermie zu gewinnen grundsätzlich immer noch als vielversprechend an? Auf welche Energiequelle sollte der Schwerpunkt gelegt werden?
Die bisherigen Studien bestätigen, dass die Integration der Regionen nützlich wäre. Zur Energiequelle kann man auf Basis der vorliegenden Ergebnisse sagen, dass alle drei genannten Quellen ihre Rolle spielen. Für viele unerwartet war die große Bedeutung der Windenergie. Grundsätzlich halte ich es aber für wichtig, einen technologieoffenen Markt zu schaffen. Wir sollten nicht heute versuchen, die Zeit bis zum Jahr 2050 technisch zu planen. Allerdings können wir heute schon festhalten, dass technische Probleme die mit Abstand kleinste Barriere sind.
Es gab ja schon immer Gegner aus verschiedenen Richtungen, die der Desertec-Idee und der Umsetzung in Nordafrika sehr skeptisch gegenüber standen. Beispielsweise die „Dezentralisten“, die meinen, dass große zentrale Kraftwerke im Zuge der Energiewende sowieso überflüssig seien. Halten sie dieses Argument für stichhaltig?
Die Idee eines offenen Marktes für erneuerbare Energien ist hinsichtlich der Anlagengröße völlig neutral. Die von Ihnen angesprochenen "Dezentralisten" stellen allerdings oft auch die Notwendigkeit eine Verbundnetzes in Frage - und dem möchte ich deutlich widersprechen: Bei sehr hohen Anteilen erneuerbarer Energie muss man Probleme wie hohe lokale Überschüsse oder den Jahresgang des Primärenergieangebots lösen. Salopp formuliert: Netze sind einfach billiger als Speicher – und deshalb so wichtig.
Andere Skeptiker haben schon vor dem „Arabischen Frühling“ bezweifelt, dass sich solche Großprojekte in einer politisch nicht gerade stabilen Region durchführen ließen…
…die politische Instabilität ist ein stichhaltigeres Argument - und niemand behauptet, dass das in jedem Fall zu lösen ist. Nur ist das eine Frage, die nicht nur die elektrische Energieversorgung betrifft, sondern die Gesellschaft insgesamt. Deshalb ist meine Antwort dazu eine Gegenfrage: Ist es eine politisch akzeptable Option, davon auszugehen, dass die Instabilität - direkt vor den Toren Europas - bis 2050 bleibt?
Welche Argumente der Gegner halten Sie für nicht stichhaltig? Welche Argumente ärgern Sie am meisten?
Für nicht stichhaltig halte ich die Aussage, dass der Verbundgedanke in Zeiten dezentraler – also sehr vieler, kleiner Anlagen – hinfällig sei – das habe ich ja schon erläutert. Und ich ärgere mich über den Hinweis auf die politische Instabilität - der erstaunlicherweise immer nur von Europäern kommt. Wir Europäer sollten uns an der Stelle mal fragen, wie es hier aussähe, wenn zum Beispiel die Amerikaner vor 70 Jahren so gedacht hätten - nachdem Europa über mehrere Jahrhunderte die instabilste Region der Welt war.
Die Erzeugung von Energie in der Sahara, der Transport nach Europa und die Verteilung in Europa muss sicherlich im europäischen Maßstab geplant werden. Reicht die derzeitige Zusammenarbeit auf europäischer Ebene dazu aus, machen genug Unternehmen aus den anderen Ländern Europas bei Dii mit, etwa französische?
Dii hat inzwischen eine regional breit verteilte Gesellschafterstruktur. Aber wir haben eine Reihe von Initiativen, die im Prinzip am selben Thema arbeiten – Dii, Medgrid, Friends of the Supergrid, um nur einige Beispiele zu nennen. Eine Intensivierung der - vorhandenen - Zusammenarbeit wäre sicherlich sowohl für die Politik als auch für die in diesen Initiativen engagierten Unternehmen vorteilhaft. Und konkret im Hinblick auf Ihre Frage nach stärkerer französischer Beteiligung: Dii und Medgrid zusammen hätten eine sehr gute regionale Balance.