Netzgeräte für Industriecomputer

CompactPCI-Systeme richtig versorgen

14. Juni 2012, 9:20 Uhr | von Oliver Kistner und Martin Traut

Für viele Industrieanwendungen mit Prozessoren der »Pentium M«-Klasse reichen ATX-Netzgeräte aus. Doch bei modernen Multicore-Prozessoren und hohen dynamischen Anforderungen führt oft kein Weg an 19-Zoll-Einschubnetzgeräten vorbei, soll das System funktionssicher arbeiten. Denn gerade beim Betrieb von High-Speed-Anwendungen ist die Auswahl der richtigen Stromversorgung essenziell, um Ausfälle und Probleme zu vermeiden.

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Bei CompactPCI-Systemen sind in der Regel Ausgangsspannungen mit 5 V und 3,3 V für Prozessoren sowie ±12 V zum Beispiel für Festplattenlaufwerke und Lüfter nötig. Die Spezifikationen der einzelnen Bustechnologien enthalten sehr unterschiedliche Vorgaben für die jeweiligen Systemstromversorgungen. Außerdem stellen die eingesetzten Prozessoren der Systeme bestimmte Anforderungen an das dynamische Verhalten der Netzgeräte.

Pentium-M-Prozessoren werden nach wie vor in Mid-Range-Applikationen eingesetzt, zum Beispiel in der Prozesskontrolle in Industrieanlagen. Multicore-Prozessoren finden sich vor allem in Hochleistungsanwendungen mit großen Datenmengen, beispielsweise in der Telekommunikation sowie bei WiFi und Fahrgastinformationssystemen.

Werden Pentium-M-Prozessoren eingesetzt, also keine Highspeed-Prozessoren, gibt es einen etwas erhöhten Anlaufstrom, der dann im Betrieb relativ stabil bleibt, also keine Stromspitzen. Neuere Multicore-Prozessoren haben wesentlich höhere Anforderungen an die Stromversorgung. Hier ist der Anlaufstrom sehr klein, doch im Betrieb treten immer wieder kurze Stromspitzen im Bereich 100 µs mit Werten bis zu 18 A auf. Außerdem sind Boards mit Multicore-Prozessoren in der Regel mit einem Stromsparmodus ausgestattet, sodass der Prozessor immer wieder aus dem Ruhemodus in relativ kurzer Zeit mit sehr hoher Dynamik zur vollen Leistung hochfahren muss. Dadurch entstehen die Stromspitzen im laufenden Betrieb.

ATX oder 19 Zoll?

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Bild 1: CompactPCI-System mit ATX-Netzgerät (links) und mit 19-Zoll-Einschubnetzgerät (rechts)
Bild 1: CompactPCI-System mit ATX-Netzgerät (links) und mit 19-Zoll-Einschubnetzgerät (rechts)
© Schroff

Bisher sind in Industrieanwendungen CompactPCI-Systeme (vorwiegend mit Pentium-M-Prozessoren) mit ATX-Netzgeräten ausgestattet worden, solange keine Redundanz gefordert ist. Andernfalls ist der Einsatz von steckbaren 19-Zoll-Einschubnetzgeräten empfohlen (Bild 1). Bei Parallelschaltung der Ausgänge im Redundanzbetrieb (n+1) gewährleistet dann der Current-Share-Bus eine gleichmäßige Stromaufteilung.

Der vermehrte Einsatz von Multicore-Prozessoren könnte ebenfalls zum Einsatz von 19-Zoll-Einschubnetzgeräten führen. Die Bauart ATX bedeutet »Advanced Technology eXtended« und hat üblicherweise etwa 350 W Nennleistung. ATX-Netzgeräte werden vorwiegend im Office-PC-Bereich eingesetzt, sind aber auch für viele Industrieanwendungen geeignet.

Diese Stromversorgungen sind für den Massenmarkt konzipiert, was sie relativ preiswert macht. Ein ATX-Netzgerät wird entweder in einem ganz einfachen Blechgehäuse, eventuell mit integriertem Lüfter, untergebracht oder auch ganz ohne Gehäuse als bestückte Leiterkarte mit Kühlkörpern in ein System integriert. Der Netzanschluss zur Stromversorgung und die Ausgänge zur Backplane sind über Kabel zu verdrahten. Damit ist ein solches Netzteil fest im System eingebaut und lässt sich im Bedarfsfall nicht so einfach und schnell tauschen.

Da sie auch nicht im definierten Luftstrom des Kartenraumes untergebracht sind, müssen für die Entwärmung oft zusätzliche Maßnahmen ergriffen werden. Steckbare Netzgeräte im 19-Zoll-Formfaktor haben üblicherweise eine Ausgangsleistung von 250 W. Sie fügen sich in die Systeme sehr gut ein, da sie wie eine andere Steckbaugruppe auch einfach von vorne in einen dafür vorgesehenen Slot eingeschoben werden.

Es ist keine weitere Verdrahtung oder ähnliches notwendig. Diese einfache Steckbarkeit ist auch wichtig für einen schnellen Austausch beziehungsweise zur Gewährleistung der Hochverfügbarkeit eines Systems, falls dies gefordert ist. Außerdem ist die Anordnung im Kartenraum vorteilhaft hinsichtlich des Wärmemanagements. Die Entwärmung des Systems mit Lüftern oder Lüfterkassetten ist speziell auf diese Kartenanordnung abgestimmt, sodass keine zusätzlichen Maßnahmen zu treffen sind.

Die Stromversorgung wird durch den definierten Luftstrom gekühlt. Durch die vorgegebene Baugröße des Netzgerätes ist man bei der Entwicklung an bestimmte Dimensionen gebunden, sodass oft teurere Bauteile eingesetzt werden müssen.

Dynamisches Verhalten

Bild 2: Kostengünstigere Ein-Konverter-Lösung, wie sie in ATX-Netzgeräten vorkommt
Bild 2: Kostengünstigere Ein-Konverter-Lösung, wie sie in ATX-Netzgeräten vorkommt
© ON Semiconductor

Durch die unterschiedliche Regelungstechnik von ATX- und 19-Zoll-Einschubnetzgeräten zeigen diese auch ein unterschiedliches dynamisches Verhalten.

Die kostengünstigen ATX-Netzgeräte sind technologisch nicht so anspruchsvoll, denn in ihnen ist ein einziger Wandler für alle Spannungen zuständig (Bild 2).

Er muss alle vier Spannungen zur Verfügung stellen und gleichzeitig beurteilen, wie der aktuelle Status ist.

Wenn nun zum Beispiel auf der 5-V- oder der 12-V-Schiene ein plötzlicher Lastwechsel stattfindet, dann kommt der Wandler mit seiner Reaktionszeit nicht hinterher (Bild 3).

Bild 3: Ein dynamischer Lastwechsel einer »Core i7«-CPU von Intel wirkt sich auf die Ausgangsspannungen aus
Bild 3: Ein dynamischer Lastwechsel einer »Core i7«-CPU von Intel wirkt sich auf die Ausgangsspannungen aus

Negativ wirken sich hier auch die Induktivitäten der Leitungslängen der Verkabelung des ATX-Gerätes aus.

Die Folge: Durch ihre langsame Reaktion verursacht diese Stromversorgung einen zu großen Spannungsabfall am Prozessor.

Auf dem Prozessorboard wiederum sitzt eine Spannungsüberwachung. Diese prüft die ankommenden Spannungen, und sobald auch nur eine von ihnen nicht in Ordnung ist, bekommt der Prozessor einen Reset-Befehl.

So kann es unter Umständen passieren, dass der Prozessor in einer Highspeed-Anwendung mit ATX-Netzgerät beispielsweise immer wieder einen Reset durchführt und die Applikation nicht zum Laufen kommt.

Bild 4: Zwei-Konverter-Lösung, wie sie in 19-Zoll-Einschubnetzgeräten vorkommt
Bild 4: Zwei-Konverter-Lösung, wie sie in 19-Zoll-Einschubnetzgeräten vorkommt
© Power One

In den 19-Zoll-Einschubnetzgeräten arbeiten in der Regel zwei getrennte Wandler, die paarweise die Spannung zur Verfügung stellen (Bild 4).

Da sich die Wandler die Arbeit teilen, können sie auch einfacher extreme Dynamiken ausregeln.

Hinzu kommt, dass bei solchen Stromversorgungen auch die 12-V-Schiene überwacht wird.

Eine separate Fühlerleitung misst am Ort des Geschehens, ob sich die Spannung im vorgeschriebenen Bereich bewegt. Durch diese Maßnahmen und die teurere Technologie, sind auch plötzliche Lastwechsel für diese Netzgeräte beziehungsweise die damit versorgten Prozessoren unkritisch.

Welches Netzgerät für welche Applikation?

Bei Anwendungen, in denen sehr große Datenmengen zu verarbeiten sind und daher auch Multicore-Prozessoren zum Einsatz kommen, empfiehlt sich somit der Einsatz von 19-Zoll-Einschubnetzgeräten. Dies betrifft auch bestehende CompactPCI-Systeme, die mit neuen CPU-Karten mit Multicore-Prozessoren auf den neuesten Stand gebracht werden. Hier sind eventuell eingesetzte ATX-Netzgeräte durch 19-Zoll-Einschubnetzgeräte zu ersetzen.

Für CompactPCI-Serial-Systeme kommen von Anfang an nur Letztere zum Einsatz. Im Vergleich zum Gesamtsystem ist der Kostenanteil des Netzgerätes relativ gering, dafür garantieren sie aber den sicheren Betrieb der Systeme. Wer ein spezifikationskonformes CompactPCI-System einsetzen will beziehungsweise muss, hat nur die Möglichkeit, 19-Zoll-Einschubnetzgeräte einzusetzen. Sie lassen sich redundant betreiben und von vorne und von hinten in das System einschieben.

ATX-Netzgeräte können nicht redundant betrieben werden und sind fest im System eingebaut. Ein weiterer Vorteil beim Einsatz von 19-Zoll-Einschubnetzteilen: Sogar wenn nur zwei von ihnen (Redundanzbetrieb) im System eingebaut sind, benötigen diese etwa ein Drittel weniger Platz als ein ATX-Netzgerät. Schroff bietet schon seit Jahren parallel zu den ATX-Netzgeräten für kleinere CompactPCI-Systeme auch 19-Zoll-Einschubnetzteile an.

In zwei Systemserien werden standardmäßig Letztere integriert. Die Systeme sind mit einer monolithischen Backplane ausgestattet, in welche die Netzgeräte direkt gesteckt werden.

Speziell für CompactPCI-Plus-IO- und CompactPCI-Serial-Systeme entwickelt Schroff derzeit ein neues 19-Zoll-Einschubnetzgerät, das folgende nach der Spezifikation geforderten Spannungen liefert: die sogenannte Payload-Spannung 12 V und die Management-Spannung 5 V. Alle anderen Spannungen werden über DC/DC-Wandler auf den Anwendungsboards erzeugt. Das bedeutet, das Netzgerät wird weniger aufwändig und rückt trotz besserer Technologie beim Preis näher an die ATX-Netzgeräte heran.

Über die Autoren:

Oliver Kistner ist Principal Engineer Power Electronics, Martin Traut ist Produktmanager Subracks & Cases, beide bei Schroff.


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